7. Juli 1974, Olympiastadion München: Der Pokal, der den Siegern der zehnten Fußball-Weltmeisterschaft um Franz Beckenbauer überreicht wurde, war neu. Geschaffen hatte die Trophäe der italienische Bildhauer Silvio Gazzaniga, nachdem der Coupe Jules Rimet, um dem seit 1930 gespielt worden war, nach Brasilien gewandert war. Die Nationalelf des Landes hatte bei der WM 1970 in Mexiko den Titel zum dritten Mal gewonnen, weshalb das Land die Trophäe behalten durfte.
Die deutsche Nationalelf war in Mexiko im Halbfinale in der Verlängerung 3:4 unterlegen. Bei der Europameisterschaft 1972 hatte sie unter Helmut Schön den Titel gewonnen. Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Georg Schwarzenbeck, Paul Breitner, Günter Netzer, Uli Hoeneß, Jupp Heynckes, Gerd Müller: Die Auswahl galt als „Jahrhundertelf“ und für die WM im eigenen Land als Titelkandidat.
Das Turnier begann am 13. Juni 1974 in Frankfurt am Main. 16 Nationen nahmen teil. Es gab zwei Gruppenphasen. In der ersten gewann die deutsche Elf 1:0 gegen Chile und 3:0 gegen Australien, bevor sie im politisch aufgeladenen Duell gegen die DDR 0:1 verlor. Die Niederlage rüttelte die Mannschaft durch. In der zweiten Gruppenphase setzte sie sich 2:0 gegen Jugoslawien, 4:2 gegen Schweden und – in einer denkwürdig verregneten Partie in Frankfurt am Main – 1:0 gegen Polen durch, womit sie das Finale erreichte, in dem sie im für die Olympischen Spiele 1972 gebauten Stadion in München die Niederlande knapp 2:1 bezwang.
Anders als der EM-Triumph zwei Jahre zuvor war der Erfolg weniger spielerisch. Zu Turnierbeginn hatte es Streit über die Prämien gegeben, Günter Netzer war nicht in Form, es gab Debatten, ob die Deutschen zu viele Doppelpässe spielten, und am Ende gab es Ärger, weil die Frauen der Spieler nicht mit zum Siegerbankett durften. Gerd Müller, der „Bomber der Nation“, erklärte seinen Rücktritt aus der Nationalelf. „Es war ein bisschen chaotisch, eher zufällig, es hat mehr geholpert“: So erlebte Franz Beckenbauer den zweiten WM-Titel für Deutschland. Den ersten hatte die Nationalelf 1954 in Bern als Außenseiter gewonnen.
Tip und Tap

Maskottchen gibt es bei Fußball-Weltmeisterschaften seit der Endrunde 1966 in England. Dort trat Willie an, ein Löwe, der den Union Jack auf der Brust trug. 1970 in Mexiko kam Juanito ins Spiel, ein Junge, der einen großen Sombrero und ein eingelaufenes Fußballtrikot trug. Bei der WM in Deutschland gingen Tip und Tap an den Start, ebenfalls in auffallend knappen Trikots. Das Merchandising macht damals schon einen nicht unwesentlichen Teil der Einnahmen aus. Das Organisationskomitee kalkulierte mit Gesamteinnahmen von 80 Millionen Mark, zwölf Millionen davon durch Lizenzen für die Nutzung des Emblems, einen WM-Film, Programmhefte – und die Verkäufe von Tip und Tap.
0:1 gegen die DDR

Deutschland gegen Deutschland, ein Aufeinandertreffen der A-Nationalmannschaften der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der „Deutschen Demokratischen Republik“ (DDR): In all den Jahren der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg hat es das tatsächlich nur ein Mal gegeben – am 22. Juni 1974 im Hamburger Volksparkstadion in der dritten Partie der ersten WM-Gruppenphase. Die bundesdeutsche Auswahl galt als Favorit, sie hatte ihre beiden Partien zuvor gewonnen, das Team aus der DDR war mit einem 2:0 gegen Australien und einem 1:1 gegen Chile gestartet. Helmut Schön, der Trainer der BRD-Auswahl, stammte aus Dresden. Kapitän Franz Beckenbauer verlangte deshalb von all seinen Mitspielern, dass sie sich besonders in Zeug legten. Das aber misslang. Das Spiel blieb zerfahren, und in der 77. Minute glückte Jürgen Sparwasser vom 1. FC Magdeburg die Sensation: der Siegtreffer für die DDR. Nach der Niederlage zürnte Beckenbauer recht unkaiserlich, was einen Ruck durch die Mannschaft gehen ließ.

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TV-Boom

Bei den Olympischen Spielen 1972 in München hatten die öffentlich-rechtlichen Sender, ARD und ZDF, ein gemeinsames Vollprogramm in Farbe eingeführt. Die Möglichkeiten, es zu empfangen, waren aber noch eng begrenzt, in der Bundesrepublik gab es erst knapp 1,2 Millionen Farbfernsehgeräte. Zwei Jahre später waren es bereits knapp zwei Millionen – und es gab keinen Zweifel, was den Anstieg begründete: die Sehnsucht, die Kicker nicht nur in Schwarz-weiß zu sehen. Public Viewing sah damals noch ein wenig anders aus: Wo es Geräte gab – in Elektrogeschäften oder Gaststätten – bildeten sich mitunter große Menschenansammlungen.
Land unter in Frankfurt

Das letzte Zwischenrundenspiel der Deutschen sollte am 3. Juli um 16.30 Uhr in Frankfurt am Main stattfinden. Ein Unentschieden gegen Polen reichte der Elf zum Finaleinzug. Kurz vor Spielbeginn aber ging ein Wolkenbruch nieder, der dieses Vorhaben gefährdete. Der Platz stand unter Wasser. Mit Pumpen mühte sich die Feuerwehr, das Spielfeld zumindest von stehendem Wasser zu befreien, Helfer rückten mit gigantischen Walzen an. Mit einer halbstündigen Verspätung wurde die Partie angepfiffen – unter immer noch fragwürdigen Bedingungen: Oft blieb der Ball in Pfützen liegen. Sepp Maier hielt herausragend, Gerd Müller nutzte die eine Chance, die sich ihm bot – so gewann Deutschland 1:0.
Das Finale

„Zwei Minuten waren bis zur Halbzeit noch zu spielen, als der Engländer (Schiedsrichter John Taylor/Anmerkung der Redaktion) zum dritten Mal Tor pfiff (...), denn Gerd Müller hatte das 2:1 für seine Mannschaft erzielt. Rainer Bonhof hatte den Ball von der rechten Seite zu dem am Elfmeterpunkt lauernden Gerd Müller gepasst und der schoss die Lederkugel nach einer blitzschnellen Drehung ins leere Toreck“: So schilderte die SZ am Tag nach dem Triumph die entscheidende Szene des Endspiels, in dem die Deutschen früh in Rückstand geraten waren, weil der in der Nacht zuvor noch fieberkranke Uli Hoeneß Johan Cruyff, dem Star der Niederlande, in der ersten Minute im Strafraum seinen Oberschenkel in den Laufweg gestellt hatte (Johan Neeskens verwandelte den Elfmeter wuchtig in die Tormitte). In der 43. Minute hatte Paul Breitner nach einem eher fragwürdigen Foul an Bernd Hölzenbein ebenfalls per Strafstoß ausgeglichen. Breitner, 22, schnappte sich den Ball allerdings nur, weil die arrivierten Spieler zögerten. „Wenn ich gewusst hätte, was mit diesem Elfmeter passiert, hätte ich ihn nicht geschossen, weil ich nicht geboren bin zum Helden“, hat Breitner später erklärt. Es war ein Spiel, das viele Geschichten schrieb.