Süddeutsche Zeitung

Fußball:Wie die Auswärtstor-Regel die Branche aufwühlt

Thomas Tuchel, José Mourinho und weitere Trainer von Topklubs wollen die Vorschrift abschaffen. Eine Änderung würde das Spiel aber nicht unbedingt fairer machen.

Kommentar von Markus Schäflein

Die Auswärtstor-Regel ist beliebt unter Fußballfans, hat sie sich doch als exzellente Methode erwiesen, gänzlich Unkundigen beim Fernsehschauen mit Fachkompetenz zu imponieren. Zum Beispiel kann man zur Oma sagen: "Die Regel, dass bei unentschiedenem Spielstand in der Addition von Hin- und Rückspiel die Mannschaft die nächste Runde erreicht, die mehr Auswärtstore erzielt hat, wurde erstmals 1965 international angewendet." Nun hatte man gerade mal gut 50 Jahre Zeit, um die Regel lieb zu gewinnen, da kommen plötzlich Trainer daher, die sie abschaffen wollen. Die Übungsleiter mehrerer Topklubs, unter anderen Thomas Tuchel (Paris SG) und José Mourinho (Man United), trafen sich in Nyon und präsentierten diese Idee.

Der gemeine Fan ist beim leidenschaftlichen Erklären der Auswärtstorregel immer davon ausgegangen, dass es von Vorteil sei, das Rückspiel zu Hause - und mithin die Entscheidung vor eigenem Publikum und im gewohnten Umfeld - zu haben. Die Spitzentrainer haben Umgekehrtes beobachtet: Es lohne sich, zuerst zu Hause zu spielen. Heimmannschaften würden im Hinspiel oft defensiv agieren, um ein Gegentor zu vermeiden, im Rückspiel als Auswärtsmannschaft dann aber mutig. Ein aktuelles Beispiel ist die Champions-League-Qualifikation: RB Salzburg spielte erst 0:0 in Belgrad, führte dann im Rückspiel 2:0, ehe Roter Stern mit dem Mute der Verzweiflung in der zweiten Hälfte offensiv wurde und noch 2:2 spielte. Nun mag man argumentieren, dass den Salzburgern niemand verboten hat, noch ein drittes Tor zu schießen oder einfach eines weniger zu kassieren. Oder, dass die Pokalwettbewerbe ja ohnehin einem Losverfahren folgen. Möglicherweise wären die Salzburger weitergekommen, wenn das Los ihnen zuerst das Heimspiel beschert hätte. Möglicherweise wären sie aber auch weitergekommen, wenn sie schlicht einen ganz anderen Gegner erwischt hätten.

Bei einer Verlängerung in Spielzwei bleiben 30 Minuten mehr Zeit für das Auswärtstor

Entgegenhalten lässt sich wiederum, und da wird es schon recht akademisch, dass die Auswärtsmannschaft des zweiten Spiels für ein Auswärtstor im Falle einer Verlängerung 30 Minuten mehr Zeit hat. Doch bei Abschaffung der Auswärtstorregel wäre in der Verlängerung wiederum mutmaßlich die Heimmannschaft des zweiten Spiels bevorteilt, einfach nur, weil sie zu Hause spielt.

Die Verlängerungs-Probleme wären allerdings simpel zu lösen: Direkt nach 90 Minuten müsste das Rückspiel ins Elfmeterschießen gehen. Und bevor dieses beginnt, müssten sämtliche Zuschauer das Stadion verlassen, um den Heimvorteil zu vermindern. Am besten wäre es freilich, die beiden Mannschaften würden für das Elfmeterschießen auf einen neutralen Platz gebracht werden. Das alles zu erklären, wäre beim Fußballschauen eine ganz schöne Herausforderung.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2018
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