Fußball: Wettskandal in Italien:Das Puzzlespiel der Staatsanwälte

In Italiens Wettskandal wird gegen immer mehr Erstligisten ermittelt, noch offen ist, wie alles zusammenpasst. Stets wird der Name von Ex-Nationalspieler Giuseppe Signori in den Verhören genannt - der steht unter Hausarrest.

Birgit Schönau, Rom

Das Ausmaß der Mauscheleien erkennt man vermutlich erst, wenn man alle Puzzleteile aneinanderlegen kann. Eine wahre Papierflut an Details ergießt sich über Italiens Tifosi, die sowieso schon nichts Gutes gewöhnt sind und nun täglich auf vielen Zeitungsseiten nachlesen können, dass alle möglichen Spiele in der gerade abgelaufenen Saison verschoben worden sind.

Beppe Signori Arrested On Suspicion Of Match Fixing

Unter Hausarrest: Giuseppe Signori (links).

(Foto: Getty Images)

Egal, ob in der dritten Liga, in der Serie B oder in der Serie A, überall gab es Duelle, die jetzt die Staatsanwälte beschäftigen. Und die könnten am Ende mehr bewirken als die 16 Verhaftungen und 30 Ermittlungsbescheide bisher: Schon ist der Aufstieg der Zweitligavereine AC Siena und Atalanta Bergamo gefährdet, und niemand weiß, welche Erstligaklubs noch betroffen sind. Vielleicht kann die nächste Saison gar nicht pünktlich starten.

Ermittler in Cremona, Neapel, Bari, Potenza und Reggio Calabria mühen sich an diesem gigantischen Puzzle um schwarze Wetten und bestechliche Spieler, um Zockerkönige und Mafiapaten, um Geschäfte zwischen Italien, Österreich und Fernost.

Die ersten Verhöre sind gelaufen, erste Geständnisse protokolliert, aber das Bild ist unscharf und verwirrend. Was weiß ein Zahnarzt aus Ancona über erkaufte Resultate von Erstligaspielen? Wieso kann dieser Marco Pirani behaupten, um die fünf Serie-A-Klubs Cagliari, Lecce, AC Florenz, FC Genua und AS Rom seien Schiebereien gelaufen? Und was hat der ehemalige Nationalspieler Giuseppe Signori, 43, ein Mann mit 188 Toren in der Serie A, mit Camorra-Bossen aus den finsteren neapolitanischen Vorstädten zu tun?

Nichts, behauptet Signori. Und doch befindet er sich unter Hausarrest, wird sein Name von Männern genannt, die dem Staatsanwalt Rede und Antwort stehen. Und da sieht es so aus, als habe Signori nicht nur unfassbar viel Geld auf einzelne Spiele gesetzt - bis zu 150.000 Euro -, sondern auch engen Kontakt gepflegt zu einer Bande, von der man bis jetzt nur den Zahnarzt aus Ancona nennt, einen Torwart vom Drittligisten Benevent und einen albanischen Geschäftsmann. Noch kennt man nicht jene Hintermänner, die die Fahnder als Drahtzieher der Schieberei vermuten.

Es geht um großes Geld und große Spieler in der Serie A, und um kleines Geld und kleine Spieler in der dritten Liga. Dahin gehören der Zahnarzt, der Torwart und der Albaner, allesamt kleine Zocker und kleine Fische. In der dritten Liga ist das Wetten für viele überlebenswichtig. Man kann, das wissen die Ermittler aus abgehörten Telefonaten, Fußballer für ein Taschengeld von 1000 Euro kaufen, weil ihr monatliches Salär nicht viel höher ausfällt. In der dritten Liga gibt es Figuren wie den Sportdirektor von Ravenna Calcio, der unter Tränen gestand, er habe es "aus Liebe zum Verein" getan. Aus Liebe gewettet, mit Hingabe bestochen, aus Treue verloren - um ein bisschen Geld in die leeren Kassen zu spülen.

Die dritte Liga ist überall arm dran, aber vielleicht nicht ganz so arm wie in Italien. Und die Wetteinsätze für die dritte Liga sind fantastisch. In Kampanien vermutet die Staatsanwaltschaft auf dem untersten Profiniveau eine begehrte Geldwäsche-Liga für die Camorra. Die Mafia-Organisation kontrolliert andererseits auch das Geschäft mit den Sportwetten.

Merkwürdige Szenen

Die Region um Neapel verfügt mit Abstand über die meisten Wettbüros und die höchsten Einsätze: 220 Millionen Euro wurden dort allein von Januar bis April 2011 verwettet. Zum Vergleich: In der wohlhabenden norditalienischen Region Lombardei waren es 148 Millionen Euro, in Kalabrien, wo die 'Ndrangheta herrscht, nur 29 Millionen.

Seit Monaten ermitteln neapolitanische Staatsanwälte in Sachen Fußball und Camorra. Allmählich scheinen die Puzzlestücke zu passen. Noch laufen die Ermittlungen, man weiß aber, dass es auch um das Erstligaspiel SSC Neapel - FC Parma vom 10.April 2010 geht. Damals wurden in einem von der Camorra beherrschten Stadtviertel während der Halbzeitpause große Summen auf einen Sieg von Parma gesetzt - dabei lag Neapel 1:0 vorn.

Am Ende gewann Parma wie gewünscht 3:2. Ein Camorra-Boss war während der Partie im Stadion - am Spielfeldrand. Unmittelbar nach dem Match tauchte der Mann unter, er wird bis heute mit Haftbefehl gesucht.

Wo ist die Nahtstelle zwischen Mafia und Zockern? Gibt es überhaupt eine einzige Regie für das gesamte Spektakel, existiert ein Netzwerk, an dem eine Organisation verdiente? Oder wirtschaftete jeder in die eigene Tasche? Das sind die Fragen, die sich den Fahndern stellen.

Der österreichische Wettanbieter Skysport 365 hat der italienischen Justiz inzwischen auffällige Millionen-Wetteinsätze für 15 Erst- und Zweitligaspiele angezeigt. Am Donnerstag werden die Österreicher zur Vernehmung in Cremona erwartet. Um welche Spiele es sich handelt, darüber blühen Spekulationen. Die Ermittler haben bislang fünf Begegnungen aus der vergangenen Saison im Visier: CFC Genua-AS Rom 4:3 (20. Februar), ACFlorenz-AS Rom 2:2 (20. März), Cagliari-Lecce3:3 (17. April) und Genua-Lecce 4:2 (23. April).

In jedem dieser Spiele gab es merkwürdige Szenen, Stürmer, die aus zwei Metern das Tor nicht trafen, Hintermannschaften, die dem Gegner freundlichst Platz machten. Vielleicht war es Zufall. Vermutlich aber auch System.

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