Fußball: Wettskandal:100.000 Euro von Paul

Der frühere St.-Pauli-Profi René Schnitzler hat von einem Wettpaten offenbar horrende Summen kassiert. Nun gesteht er seine Spielsucht - und gibt detaillierte Einblicke ins Wettmilieu.

Ulrich Hartmann

"Er ist ein bisschen gaga", hat der Fußballer Alexander Ludwig im April 2008 über seinen Mitspieler René Schnitzler gesagt, "aber das ist ja nicht unbedingt negativ." Der heute bei 1860 München aktive Ludwig wusste damals vermutlich nicht, dass Schnitzler im Verlauf jenes Jahres fünf Spiele seines Klubs an die Wettmafia verkauft haben will. Dies behauptet Schnitzler, 25, nun gegenüber dem Stern.

Rene Schnitzler

Geld angenommen, Manipulation gescheitert: der frühere St.-Pauli-Profi René Schnitzler.

(Foto: dpa)

Er sei seit seinem 18. Lebensjahr spielsüchtig und habe damals von einem niederländischen Wettpaten mehr als 100.000 Euro bekommen, um fünf Partien des damaligen Zweitligisten FC St. Pauli verschieben zu helfen, was er dann allerdings de facto doch nicht getan haben will. Schnitzler wurde im Mai 2009 vom FC St. Pauli freigestellt und verließ jüngst im Dezember auch vorzeitig den rheinischen Fünftligisten FC Wegberg-Beeck.

"Uns ist schon seit einiger Zeit bekannt, dass es Verdachtsmomente im Zusammenhang mit dem Spieler René Schnitzler gibt", sagt der für Rechtsfragen im Deutschen Fußball-Bund (DFB) zuständige Vizepräsident Rainer Koch. Der Kontrollausschuss sei mit der Prüfung der Angelegenheit befasst.

Der Ligaverband DFL hat bei Sportradar derweil die Überprüfung der fünf Partien bezüglich auffälliger Wetteinsätze angefordert. "Die fünf genannten Spiele waren aber alle nullkommanull auffällig", sagt St. Paulis Teammanager Christian Bönig, man habe sich die Partien eigens noch einmal angesehen.

Schnitzler selbst war beim FC St. Pauli damals wegen seines Faibles für schnelle Autos und Glücksspiel in die Kritik geraten. Dem Stern berichtet der Spieler nun von Morddrohungen durch die Wettmafia. Er habe das Geld genommen und ausgegeben.

Die von Schnitzler genannten fünf Partien aus dem Jahr 2008 (18. Mai: 1:5 in Mainz; 26. September: 0:3 in Rostock, 19.Oktober: 2:3 in Augsburg; 29. Oktober: 2:1 in Duisburg; 23. November: 2:2 in Mainz) werfen jedoch Fragen auf.

Mehr als 100.000 Euro soll ihm der Wettpate "Paul" vorausbezahlt haben, das wäre für fünf Spiele viel Geld, zumal Schnitzler als Stürmer und ganz allein zu den vermutlich beabsichtigen Niederlagen so richtig viel nicht hätte betragen können - und tatsächlich auch bloß in einer der fünf Partien durchgängig mitgespielt hat. In einem weiteren Spiel ist er spät eingewechselt worden, in drei Partien hat er gar nicht mitgewirkt.

Drei der fünf Partien gingen vermeintlich im Sinne der Wettmafia für St.Pauli verloren, zwei nicht. Die Aussagen diverser Wettmanipulatoren im aktuellen Prozess vor dem Bochumer Landgericht haben gezeigt: Für nur drei von fünf ertragreichen Wetten zahlte die Wettmafia einem einzelnen Fußballer keine solchen Summen, erst recht nicht, wenn er in drei dieser Partien selbst überhaupt nicht zum Einsatz gekommen ist. Die Wettmafia operiert zwar mit gewaltigen Beträgen, eines aber ist sie gewiss nicht: großzügig.

"Normal waren vielleicht 5000 bis 8000 Euro pro Spiel für einen einzelnen Spieler, und ich habe auch nur bezahlt, wenn die Wette erfolgreich war", hat etwa der Nürnberger Wettpate Marijo C. vor dem Landgericht gesagt. Der 35-jährige Kroate war laut den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft neben dem Berliner Ante Sapina einer der Drahtzieher und wartet derzeit in Untersuchungshaft auf seinen Prozess. Im aktuellen Prozess hat Marijo C. als Zeuge ausgesagt. Wenn der Prozess an diesem Mittwoch mit dem elften Verhandlungstag weitergeht, wird auch Sapina als Zeuge erwartet.

Dass René Schnitzler Kontakt zur Wettmafia hatte, liegt durch seine Kenntnis vom Wettpaten "Paul" aus den Niederlanden nahe. Der Mann aus Amsterdam, der mindestens schon eine längere Gefängnisstrafe abgesessen hat, ist im aktuellen Prozess in Bochum mehrmals genannt worden, vor allem als Geldgeber und als Kontaktperson zu asiatischen Wettanbietern.

Dass Schnitzler aus Mönchengladbach kommt, jenem Ort, in dem der derzeit angeklagte 55-jährige TunaA. sich als regionaler Strippenzieher mit besten Kontakten in unterklassige Ligen und auch zum Wettpaten Paul R. aus Amsterdam etabliert hat, mag ein Zufall sein.

Schnitzler behauptet, im Profifußball wetteten viele Fußballer "wie Wahnsinnige". Dies deckt sich mit den Aussagen der Wettpaten vor dem Bochumer Landgericht, wonach etliche Fußballer ihre Freizeit in Wettbüros und Spielcasinos verbrächten.

Aus seiner Zeit bei Bayer Leverkusen (2005) erzählte Schnitzler dem Stern, ein Nationalspieler habe den Mannschaftskollegen einmal am Flughafen einen Hut hingehalten und jeder hätte 500 Euro einzahlen sollen. "Da segelten die Scheine, mehr als 5000 Euro lagen drin, und die hat derjenige kassiert, dessen Koffer zuerst aufs Gepäckband fiel."

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