Bremen schlägt Wolfsburg:Werder stoppt die Lawine

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Friedliche Rudelbildung: Bremens Spieler herzen ihren Torschützen Niclas Füllkrug. (Foto: Kokenge/Nordphoto GmbH/Imago)

Das vielleicht formstärkste Team der Liga, der VfL Wolfsburg, verliert erstmals wieder nach sechs Siegen in Serie. Werder dagegen holt nach vier Niederlagen wieder einen Sieg - weil der Fußball doch keinen Naturgesetzen folgt.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Serien im Fußball kann man sich vorstellen wie Schneebälle und Lawinen. Der Schneeball, die positive Serie, fängt klein an, zum Beispiel mit einem mühsamen 3:2 gegen den VfB Stuttgart. Er kommt langsam ins Rollen, wird immer größer und schneller und ist irgendwann so wuchtig, dass die längst tonnenschweren Kugel alles überrollt, was ihr im Weg steht. Seit dem 8. Spieltag walzte der VfL Wolfsburg auf diese Art ungeschlagen durch die Liga, zuletzt mit sechs Siegen hintereinander bei 22:1 Toren. Diese Art der Serie füttert sich selbst, jeder Sieg macht sie größer.

Die Lawine hingegen, die Niederlagenserie, bricht plötzlich los, zum Beispiel mit einem 1:6 gegen Bayern München. Sie bringt die gewohnte Ordnung durcheinander, sie macht Angst, und jeder Versuch, ihr aus eigener Kraft zu entrinnen, ist meist vergebens. In der Lawine löst sich alles auf, die Ergebnisse, das Selbstvertrauen, die Ordnung und die Gewissheit, dass man sich doch die ganze Zeit auf sicherem Terrain bewegt hatte. Auf diese Weise fuhr Werder Bremen zuletzt vier Niederlagen ein, beim 1:7 in Köln staubte der Schnee besonders.

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Im winterlichen Weserstadion, drei Grad, eisblauer Bremer Himmel, trafen nun diese beiden Naturgewalten des Sports direkt aufeinander, Sechs-Siege-Wolfsburger und Vier-Niederlagen-Bremer. Es wurde eine Partie, die wieder einmal bewies, dass der Fußball keinen Naturgesetzen folgt und heute alles anders sein kann, als es gestern noch war. Werder lieferte wieder eines dieser Spiele ab, für das man den Aufsteiger im ersten Saisondrittel als unbedingte Bereicherung der Bundesliga gefeiert hatte, und der VfL spielte bei weitem nicht schlecht, aber eben nicht so effizient wie zuletzt gewohnt.

Schiedsrichter Daniel Siebert fällt in zwei Momenten auf seltsame Art auf

So kam ein ziemlich gutes Spiel zustande mit einem recht überraschenden Ergebnis: Die Wolfsburger Schneekugel blieb in der auslaufenden Bremer Lawine stecken, Werder gewann mit 2:1. Die Bremer Tore des Tages: Niclas Füllkrug, 24. Minute und Niclas Füllkrug, 77. Minute. Wolfsburgs Tor zum 1:2 fiel zu spät (90.) - auch wenn Schiedsrichter Daniel Siebert die Hanseaten mit acht Minuten Nachspielzeit quälte.

"Es war ein turbulentes Spiel, in der Schlussphase wurde es nochmal eng. In der ersten Halbzeit hatten wir die Möglichkeiten, höher zu führen. In der zweiten Halbzeit war es dann eher Verteidigungsarbeit", sagte Werder-Trainer Ole Werner. "Unter dem Strich sind wir zu spät aufgewacht und haben berechtigterweise verloren. Wir müssen uns kurz schütteln", sagte Kollege Niko Kovac auf Wolfsburger Seite.

In der wohl kürzesten Winterpause der Bundesligageschichte, die von Mittwoch bis Samstag dauerte, ist es den Bremern offenbar gelungen, all die Negativerfahrungen des jungen Jahres aufzuarbeiten. Er habe "noch nie Probleme damit" gehabt, "für eine nächste Aufgabe Optimismus und Freude zu entwickeln oder Vertrauen in meine Mannschaft zu haben", hatte Werder-Trainer Ole Werner unter der Woche gesagt - und dass er fehl am Platz wäre, wenn er sich von vier verlorenen Spielen beeindrucken lassen würde.

Diesmal kommt der SV Werder ohne persönliche Blackouts aus

Ausdruck der erfolgreichen Krisenbewältigung waren die Leistungen gerade der zuletzt umstrittensten Spieler. Torwart Jiri Pavlenka fehlerlos, der defensive Mittelfeldspieler Christian Groß als Kampfmaschine, im linken Mittelfeld Anthony Jung gegen den so formstarken Wolfsburger Patrick Wimmer souverän. Sogar Werders Vier-Millionen-Rätsel Jens Stage, vor der Saison als Königstransfer aus Kopenhagen geholt und überraschend von Ole Werner in die Startelf beordert, überzeugte bis zum Wadenkrampf.

Ohne persönliche Blackouts, wie sie sich die Bremer bei den Niederlagen in Köln (1:7) und gegen Union Berlin (1:2) im Stile einer Sitcom-Besetzung geleistet hatten, ist die Mannschaft auch in der Lage, dem formstärksten Team der Liga ebenbürtig - am Samstag sogar: überlegen - zu sein. Der Sieg gegen den VfL war trotz des späten Gegentors souverän. Im letztlich achtminütige Charaktertest namens Nachspielzeit wurde das intensive Spiel noch einmal auf dramatische Weise zusammengefasst. Erst um 17.28 Uhr, nach Rudelbildungen und noch einmal zwei Dutzend Zweikämpfen der intensiveren Art, konnte die Bremer Party im Werderwinterwunderland beginnen.

Ausgeguckt: Niclas Füllkrug verwandelt den Elfmeter zum 1:0 für den SV Werder Bremen. Vorausgegangen war eine eigenwillige Interpretation einer Szene von Schiedsrichter Daniel Siebert. (Foto: Teresa Kroeger/Nordphoto/Imago)

Zuvor hatte Werder in einer sehr schnellen ersten Halbzeit den Grundstein für die Wende gelegt, aber erst ein Handspiel von Yannick Gerhardt, von Stage aus nächster Nähe angeschossen, brachte den verdienten Ertrag für die insgesamt entschlossener wirkenden Bremer. Füllkrug verwandelte den Elfmeter für die Gastgeber, die durch Stage und Füllkrug auch abseits dieser Szene die besseren Chancen hatten. Wolfsburg traf zwar einmal aus dem Abseits und einmal auf die Latte, doch die Schneekugel rollte insgesamt nicht mit der erwarteten Wucht durchs Weserstadion - weil Werder, so ganz anders als bei den 17 Gegentoren der vergangenen vier Spiele, sehr aufmerksam, konsequent und weitsichtig verteidigte. Kovac äußerte sich später zornig über die Elfmeter-Entscheidung: "Vielleicht sollten wir trainieren, dem Gegenspieler im gegnerischen Strafraum an die Hand zu schießen. Also gar nicht mehr den eigenen Mitspieler zu suchen, sondern einfach nur eine Hand, die da irgendwo herumbaumelt. Weil dann gibt es lauter Elfmeter", sagte der 51-Jährige in einem Sky-Interview.

Nach der Pause kontrollierten die Bremer das Spiel, ohne die Balance zu verlieren und das Ziel, die Partie zu entscheiden, aus den Augen zu verlieren. Nach Füllkrugs Abschluss zum 2:0 nach einem fein herausgespieltem Angriff steuerten sie einem sicheren Sieg entgegen, doch erst die Pointe des Gegentreffers und der ellenlangen Nachspielzeit machte aus dem guten ein erinnerungswürdiges Bundesligaspiel: Lawine schlägt Schneeball.

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