Fußball-Weltverband:Ethik nach Fifa-Art

Lesezeit: 3 min

Der Chilene Mayne-Nicholls wird für sieben Jahre gesperrt - doch sein Vergehen ist vergleichsweise läppisch.

Von Thomas Kistner, München

Zwar ermittelt ja nun die richtige Justiz im globalen Korruptionssumpf um die Fifa. Intern aber ist Sepp Blatters Fußballwelt noch in Ordnung. Und hart juristisch durchgegriffen wird auch hier: Gerade sperrte die rechtsprechende Kammer der Ethik-Kommission unter Richter Hans-Joachim Eckert (München) den Chilenen Harold Mayne-Nicholls. Für sieben Jahre wird Mayne-Nicholls von allen Aktivitäten im Fußball verbannt; dem Chefinspektor der WM-Bewerbungen um 2018 (Sieger Russland) und 2022 (Katar) werden Verstöße gegen den Ethikcode angelastet.

Sieben Jahre. Was mag der Schlingel aus Chile ausgefressen haben? Der Blick ins Register der Blatter-Ethiker zeigt ja: Hier wird gewöhnlich mit größter Milde geurteilt. Wer als Fifa-Vorstand satte Beträge für seine Stimme bei WM-Vergaben abstauben will, kommt höchst komfortabel davon. Amos Adamu (Nigeria) erhielt drei Jahre Sperre, nachdem er eine halbe Dollarmillion gefordert hatte; Reynald Temarii (Tahiti) erhielt ein Jahr - er wollte zwar 2,3 Millionen Dollar sehen, diese angeblich aber in ein Fußballprojekt packen. Was beide nicht wussten beim Verticken ihrer Voten war, dass sie nicht dem WM-Bewerber USA gegenübersaßen - sondern Undercover-Journalisten der Sunday Times. Die filmten das unsittliche Gefeilsche.

Um zu erfühlen, wie es die Fifa mit der Ethik so hält, lohnt auch ein Blick auf Blatter selbst. Der politisch Hauptverantwortliche für die größte Affäre, die der Weltsport je erlebte, wagt sich kaum noch ins westliche Ausland. Seit langem ermittelt das FBI. Schweizer Bundesanwälte schließen nicht aus, dass ihr Parallelverfahren auch den Fifa-Boss erreichen könnte. Am Ende dieses zähen, das Image der Fifa pulverisierenden Prozesses droht neben vielerlei Verurteilungen eine Geldstrafe, die den Weltverband sogar in den Bankrott treiben könnte.

Eckert lässt keine Gelegenheit aus, Blatters Reformwillen zu loben

Doch wie wird diese Führung hausintern bewertet? Die Fifa-Ethiker mussten ja selbst bereits Affären der Verbandsspitze beleuchten, etwa den Korruptionsskandal um die Ex-Hausagentur ISL, die 142 Millionen Franken an Sportfunktionäre ausgereicht hatte. Oder die WM-Vergaben 2018/22. Denen spürte im Auftrag des Weltverbands sogar ein früherer US-Bundesanwalt nach; doch als Michael Garcia 2014 seinen Report ablieferte, erstellte Ethikrichter Eckert Schlussfolgerungen, die Garcia umgehend mit Rücktritt quittierte. Zornig teilte der Ex-Bundesanwalt mit, er habe seine Arbeitsergebnisse nicht wiedererkannt und alles Vertrauen in die Ethiker verloren. Eine Kritik, die so ähnlich schon 2011 der ehemalige Bundesgerichtshofs-Präsident Günter Hirsch äußerte, als er das Fifa- Ethik-Gremium unter Protest verließ. Er glaube, die Fifa-Spitze habe "kein wirkliches Interesse, eine aktive Rolle bei Aufklärung und Verfolgung von Verstößen gegen das Fifa-Ethikreglement zu spielen".

Ganz anders der Kollege Eckert. Der Münchner lässt keine Gelegenheit aus, Blatters Reformeifer zu loben. Blatter wiederum war sehr zufrieden mit Eckerts hausjuristischer Abwicklung des ISL-Skandals. Dabei wurde Afrikas Verbandschef Issa Hayatou, der Geld von der ISL kassiert hatte, übrigens gar nicht zur Verantwortung gezogen. Und dass Blatter von windigen Millionendeals rund um die Fifa wusste? Schwamm drüber.

Was also hat die Fifa-Ethiker um Eckert - Experten aus Papua-Neuguinea und Australien komplettierten das Dreier-Panel - zu der Sieben-Jahres-Sperre gegen Mayne-Nicholls bemüßigt? Gegen einen Funktionär, der bisher als untadelig galt? Gegen jenen Mann, der in seinem WM-Prüfbericht die 50-Grad-Hitze in Katar als Kernproblem benannt hatte - was das Votum durch den Fifa-Vorstand nicht verhindert hat? Was liegt vor gegen den Funktionär, der übrigens im Herbst 2014 anzukündigen gewagt hatte, dass er gegen Sepp Blatter um den Fifa-Thron antreten wolle?

Mayne-Nicholls fragte, nachdem sein Prüferstab den Kandidaten Katar inspiziert hatte, beim Sportzentrum Aspire in Doha um ein Trainingslager für ein chilenisches Jugendteam nach, zu diesem zählten sein Sohn und ein Neffe. Alle Kosten wollte er selbst tragen. Außerdem fragte er wegen eines Tennislehrerjobs für seinen Schwager an. Der Mailaustausch mit dem deutschen Aspire-Chef Andreas Bleicher offenbart, dass eine Entscheidung zu diesen Anfragen auf die Zeit nach der WM-Vergabe vertagt wurde - was jedenfalls nicht den Verdacht stützt, Mayne-Nicholls könne Katar abgestraft haben. Extrem ungeschickt wirkt das Vorgehen für einen Fifa-Prüfer gleichwohl. Aber: sieben Jahre?

Hergeleitet wurde der Fall aus den Ermittlungen von Michael Garcia. Dessen Report liegt bei der Fifa unter Verschluss. Doch bekannt ist, welche Vorgänge die Ethiker als erledigt betrachten: etwa dass Russlands WM-Bewerber mit Garcia nicht kooperierten, weil ihre Computer angeblich nur geleast waren und der Besitzer alle Daten löschte. Oder dass Geld von Australiens Bewerbern bei der karibischen Fifa-Skandalnudel Jack Warner versickerte. Geldflüsse aus Katar an Fußballfunktionäre ordneten die Ethiker schlicht anderen Zwecken als der WM-Kandidatur zu.

Gegen den Spruch will Mayne-Nicholls nun beim obersten Sportgerichtshof Cas vorgehen. Nicht einmal die Begründung ist ihm mitgeteilt worden. Laut Eckerts Entscheid muss sie der Sünder gesondert anfordern.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: