Süddeutsche Zeitung

Internationaler Fußball:Warum Ecuador sein WM-Ticket verlieren könnte

Lesezeit: 4 min

Die Fifa will an diesem Freitag entscheiden, ob das Land in der Qualifikation einen Profi mit falscher Identität eingesetzt hat - und der WM-Startplatz nun Chile zuerkannt wird.

Von Javier Cáceres

Am Freitag spielt Chiles Fußballnationalmannschaft im japanischen Kobe um den von einer Brauerei gestifteten Kirin Cup, und womöglich hat sie danach Anlass für einen Rausch. Nicht wegen ihrer Partie gegen Tunesien, sondern weil am selben Tag die Disziplinarkommission des Weltverbandes Fifa zusammentreten will - und den Chilenen womöglich am sogenannten Grünen Tisch doch noch den Weg zur Weltmeisterschaft nach Katar ebnet.

Wobei nicht allen Chilenen wohl ist bei dem Gedanken, dass sie vor Gericht siegen und zur WM dürfen. Denn zu dürftig war die Leistung der Mannschaft zuletzt auch beim 0:2 gegen Südkorea. Das Spiel machte vor allem deshalb Schlagzeilen, weil Südkoreas Kapitän zwei chilenische Spieler davor bewahrt hatte, sich auf dem Platz zu prügeln. Andererseits: Um Sport geht es bei der Frage einer Ex-post-Qualifikation der Chilenen eh nur am Rande.

Es geht vielmehr um einen Fall aus Südamerika, der seit Monaten Aufsehen erregt und um echte und falsche Papiere kreist. Nachdem Chile in der kontinentalen Qualifikation die Zulassung für Katar klar verfehlt hatte, zeigte Chiles Verband ANFP den WM-Teilnehmer Ecuador bei der Fifa an, wegen angeblich illegaler Aufstellungen. Der Rechtsverteidiger Byron Castillo, 23, aktiv beim SC Barcelona Guayaquil, war nach Darstellung der Chilenen nicht spielberechtigt: Er sei nicht Ecuadorianer, sondern in Wahrheit Kolumbianer - so wie seine Eltern, die vor Jahren vor dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland flüchteten.

Castillos Jugendklub war häufiger wegen Identitätsfälschung im Blick

Die Dokumente, die Chiles Verband zusammengestellt und der Fifa übermittelt hat, legen tatsächlich den Verdacht nahe, dass Castillo nicht, wie von Ecuador behauptet, in einem Ort namens Playas geboren wurde, sondern als Bayron Castillo in der kolumbianischen Stadt Tumaco; dazu zählt ein Auszug aus dem Geburtenregister aus Tumaco. Und es gibt weitere Indizien: Castillo schloss sich im frühen Jugendalter CS Norteamérica aus Guayaquil an, einem Klub, der häufiger wegen Identitätsfälschungen im Gerede war. Und siehe: Erst nach seinem Vereinsbeitritt tauchten Dokumente auf, die ihn als gebürtigen Ecuadorianer auswiesen. Waren sie gefälscht?

Gesichert ist, dass es immer wieder Zweifel an der Authentizität seiner Papiere gab. 2015 scheiterte ein bereits ausgehandeltes Leihgeschäft mit Emelec, dem ecuadorianischen Spitzenklub waren Castillos Ausweise nicht geheuer. 2017 flog Castillo einmal aus dem Aufgebot der U20-Mannschaft Ecuadors. Und in der Zeitung El Comercio ist ein Artikel zu finden, der besagt, dass eine Untersuchungskommission des ecuadorianischen Verbandes FEF im Januar 2019 zu dem Schluss kam, dass Castillo Kolumbianer sei. Gut zwei Jahre später folgte im Zuge eines Formhochs Castillos eine kuriose Wende: Ein ecuadorianisches Gericht erklärte im September 2021 die zuvor mit Zweifeln behafteten Daten Castillos für valide. Danach wurde er in die A-Elf berufen - und spielte bei acht WM-Qualifikationsspielen mit.

Die unausgesprochene Anschuldigung der Chilenen lautet, dass Castillos Einsatz ein Justizskandal zugrunde liege. Auf Betreiben des ecuadorianischen Verbandes sei Castillo eine Staatsangehörigkeit zugeschrieben worden, die ihm nicht zustand. Mittlerweile haben die Chilenen sogar einen kirchlichen Taufschein aufgetrieben, der Castillos Geburt auf 1995 terminiert. Sein Einsatz bei internationalen Spielen fuße mithin auf kriminellen Machenschaften und sei auch gemäß Fifa-Regelwerk illegal.

Belastende Anschuldigungen: Castillo erleidet Nervenzusammenbruch während eines Spiels

Die Ecuadorianer hingegen beharren sinngemäß darauf, dass sie ja wohl noch selbst entscheiden dürfen, wer Ecuadorianer ist und wer nicht. Castillo selbst lässt das alles andere als unberührt. Im Mai verursachte er in einem Ligaspiel einen Elfmeter - und erlitt einen Nervenzusammenbruch: "Wechsel mich aus, ich halte das nicht mehr aus", rief er verzweifelt und unter Tränen seinem Trainer bei SC Barcelona zu. "Ich bin in Sorge wegen des Schadens, der Byron und uns zugefügt wird", sagte nun Ecuadors argentinischer Nationaltrainer Gustavo Alfaro und betonte: "Wir haben uns das Recht, an der WM teilzunehmen, auf dem Rasen erstritten."

Wie die Fifa entscheidet, ist offen, und es gilt als wahrscheinlich, dass der Fall auch noch vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas landen wird. Die Chilenen, die bei einer Nachnominierung das WM-Eröffnungsspiel gegen Gastgeber Katar bestreiten würden, hoffen auf einen Präzedenzfall aus dem Frauenfußball: 2019 wurde die Nationalmannschaft von Äquatorialguinea von der WM ausgeschlossen, weil in der Qualifikation Spielerinnen mit gefälschten Ausweispapieren zum Einsatz gekommen waren.

Auch Italien war als potenzieller Nachrücker im Gespräch

Sollte die Fifa in diesem Geiste entscheiden und Ecuador ausschließen, bliebe die Frage, wer nachrückt. Unmittelbar nach Beginn der Affäre brachten Gerüchte sogar Italien als Ersatzteam ins Spiel. Denn der Europameister, in der WM-Qualifikation bitter gescheitert, ist aktuell die im Fifa-Ranking am höchsten angesiedelte Mannschaft. Und Italien ist ein Verband mit finanzkräftigen Werbe- und Medienpartnern. Auch bei Debatten über einen möglichen Ausschluss Irans - wegen des Verbots für Frauen, Fußballstadien zu betreten - wurde kürzlich Italien als Katar-Nachrücker ins Spiel gebracht. Italiens Verbandschef Gabriele Gravina beteuert zwar, man werde keinen Platz des Südamerikaverbandes einnehmen. Die Geschichte ploppte in Italien aber immer wieder auf, auch weil sie im Internet hervorragend geklickt wurde.

Als Option bleibt wohl nur, dass ein Südamerika-Team nachrücken würde. Chile fordert, dass alle Spiele Ecuadors, an denen Castillo teilnahm, mit 0:3 verloren gewertet werden. Das würde die Tabelle neu konfigurieren: Chile würde von Platz sieben auf vier springen, Peru würde weiterhin vor Kolumbien auf Platz fünf bleiben und damit das interkontinentale Playoff am kommenden Dienstag gegen Australien bestreiten. Denkbar sind aber auch niedrigschwellige Strafmaße, zum Beispiele eine Sperre des Spielers oder eine Geldstrafe. Oder kommt alles doch anders? Wird das Verfahren sogar eingestellt?

Der Anwalt des chilenischen Verbandes, ein Brasilianer namens Eduardo Carlezzo, gab sich siegesgewiss: "Es wäre skandalös, wenn die Fifa all diese Beweislast nicht in Erwägung zieht", sagte er. Allerdings scheint sein Vertrauen in den Weltverband begrenzt zu sein: "Wenn wir die Lage in Betracht ziehen, dass also die WM-Gruppen schon ausgelost sind, die Organisation der WM längst angelaufen ist und Eintrittskarten und Reisepakete längst verkauft sind, dann wird die einfachste Lösung sein, alles zu lassen, wie es ist", vermutet Carlezzo. Die Ecuadorianer sind sich jedenfalls sicher, dass es genauso kommen wird: "Das ist alles ein Zirkus", sagte ihr Verbandsvize Carlos Manzur.

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