Süddeutsche Zeitung

Abstiegskampf in der Bundesliga:Er ist dann mal wieder weg

Kreuzbandriss, Identitätsdebatte, Comeback, Schulterverletzung: Silas Katompa Mvumpa hat ein bitteres Jahr hinter sich. Sein Fehlen hat dem VfB Stuttgart alle Leichtigkeit genommen - der Klassenverbleib muss ohne ihn gelingen.

Von Christof Kneer

Es war der Zweikampf, der den Stuttgartern wieder Hoffnung gab, aber die Hoffnung währte nur ein paar Augenblicke. Silas Katompa Mvumpa legte den Ball am Bochumer Danilo Soares vorbei, und als der ihn zu rempeln versuchte, fing Silas den Rempelversuch einfach mit seiner Schulter ab. Es war der Moment, als all die Experten auf der Stuttgarter Bank ihre Expertenprognosen korrigierten, auf eine für sie erfreuliche Weise. Sie hatten ja noch gar nicht damit gerechnet, dass ihr Außenstürmer nach fast neunmonatiger Verletzungs- und anschließender Corona- und anschließender Angina-Pause schon wieder in der Lage sein würde, seine zahlreichen Einzelfähigkeiten zu einer koordinierten Gesamtaktion zusammenführen.

Lossprinten, einen harten Zweikampf führen, den harten Zweikampf gewinnen, den Kopf oben behalten, eine Flanke schlagen: Das schien zumindest für einen Moment wieder jener Silas zu sein, den sie noch aus der Zeit in Erinnerung hatten, als er sich Silas Wamangituka nannte.

In diesem Moment waren sie sich auf der Bank des VfB Stuttgart nahezu sicher, dass sie das schon hinbekommen würden mit diesem angeblich so unwahrscheinlichen Klassenverbleib. Ein Silas in guter Verfassung plus ein Sasa Kalajdzic in demnächst wieder guter Verfassung: In den verbleibenden elf Spielen würden die beiden vielleicht keine 27 Tore mehr schaffen wie in der Vorsaison (Kalajdzic 16, Silas 11), aber es würde reichen, um nicht abzusteigen. Hat der FC Augsburg vielleicht so ein Duo oder Hertha BSC oder Arminia Bielefeld? Eben.

Mehrere Bänder in der Schulter waren gerissen, die OP folgte am selben Tag

Bis zu dieser Pointe sind die Experten auf der VfB-Bank aber gar nicht mehr gekommen. Sie sahen Silas nach seiner Flanke auf dem Boden sitzen, schmerzverzerrtes Gesicht, eine Hand an der Schulter. Sven Mislintat, dem Sportchef, ist dieses Bild gleich unheimlich gewesen, er weiß ja, dass der Spieler nicht wehleidig ist. Schnell war klar, dass Silas nicht weiterspielen kann, schnell war auch klar, dass er sich die Schulter ausgekugelt hat.

Es brauchte dann aber noch ein MRT am nächsten Morgen, um die ganze Dimension dieses gewonnenen Zweikampfes zu verstehen: Mehrere Bänder, die den Schulterapparat halten, waren gerissen, noch am selben Tag erfolgte eine Operation. Und die Hoffnung, dass Augsburg bestimmt über kein solches Duo verfügt, verkrümelte sich kleinlaut und ohne sich anständig zu verabschieden. Silas Katompa Mvumpa wird in dieser Saison, in der er kaum gespielt hat, nicht mehr spielen können.

Die Geschichte von Silas ist die Geschichte des VfB Stuttgart und umgekehrt. Gemeinsam haben sie in der Vorsaison die kältesten Herzen erwärmt, sie haben einen Fußball gespielt, der direkt vom Abenteuerspielplatz kam, und der Sportchef Mislintat und sein Trainer Pellegrino Matarazzo waren kurz davor, in allen Ehren zu Ministern für Jugend und Familie ernannt zu werden. Einmal, nach einem 5:1-Sieg in Dortmund, führte Silas mit seinen Jungschar-Kumpels Orel Mangala und Tanguy Coulibaly eine rührende Jubelchoreografie vor, zu dritt standen sie da und taten so, als kritzelten sie etwas in ein aufgeschlagenes Buch. Man wolle gemeinsam Geschichte schreiben, erklärte der Mittelfeldspieler Mangala später.

Nicht vorgesehen war das Kapitel, das im März 2021 folgte. Ein Kreuzband in Silas' Knie riss, und damit auch der ganze schöne Plot.

Die Leichtigkeit jener Tage haben sie seither nicht wiedergefunden beim VfB, obwohl Mislintat immer neue, immer jüngere Abenteurer in die Stadt holte. Kritiker sagen: Weil Mislintat immer neue, immer jüngere Abenteurer in die Stadt holte. Jedenfalls tapsen die jungen Leute seitdem ziemlich verunsichert durch ein Erwachsenen-Leben, das es ihnen aber auch wirklich schwer macht. Ständig neue Gemeinheiten lässt sich dieses Erwachsenen-Leben einfallen, Verletzungen, Krankheiten und vieles mehr. Und die herausragenden Qualitäten des so lange fehlenden Silas kann sowieso nur einer ersetzen, Silas, und der ist jetzt wieder weg.

Die Vertreibung aus dem Bällebad haben sie inzwischen akzeptiert beim VfB, sie versuchen jetzt einen kompakteren, volljährigen Fußball zu spielen, und weil (bis auf Silas) alle wieder gesund sind, glauben sie immer noch daran, Augsburg oder Hertha hinter sich lassen zu können. Aber Mislintat weiß, dass sie jetzt noch eine zweite wichtige Aufgabe haben beim VfB: Sie werden sich um Silas kümmern. "So eine Situation macht ja keinem Spieler Spaß", sagt der Sportdirektor, was ein enormer Euphemismus ist.

"Wer so was hinter sich hat, den können auch Verletzungen nicht umwerfen", sagt Mislintat

Was ist das für ein Jahr, das Silas hinter sich hat: Dem Kreuzbandriss folgte die vom Klub begleitete Offenbarung, wonach der Spieler nicht Silas Wamangituka, sondern Silas Katompa Mvumpa heiße und nicht am 6. Oktober 1999, sondern am 6. Oktober 1998 geboren sei. Er habe "in den letzten Jahren in ständiger Angst gelebt" und sich auch um seine Familie im Kongo "große Sorgen gemacht", ließ sich Silas damals zitieren.

Er war offenkundig in die Fänge eines zweifelhaften Beraters geraten, der - so wird die Geschichte erzählt - den Identitätsschwindel inszeniert hatte, um die Verbindung des Spielers zu seinem Heimatklub im Kongo zu unterbrechen; angeblich, um jene Ausbildungsentschädigung abzukassieren, die Silas' Jugendverein zugestanden hätte. Der Spieler sei in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten, der Berater habe angeblich gedroht, die Sache auffliegen zu lassen, und Teile des Gehalts einbehalten.

"Wer so etwas hinter sich hat, den können auch zwei Verletzungen nicht umwerfen", sagt Mislintat. Er kennt den Willen und das sonnige Gemüt des Spielers und geht davon aus, dass man sein Lächeln schon bald wieder in der Kabine sehen werde. Vermutlich wird Silas erst mal zu Verwandten nach Belgien reisen, aber zur Reha schon bald nach Stuttgart zurückkehren.

Als er noch unter dem Namen Wamangituka stürmte, hat Silas gegen Mainz mal ein spektakuläres 80-Meter-Solo-Tor erzielt, gegen Bremen hat er den Ball mal versehentlich provokant über die Linie geschubst. Er war eine der großen Bundesliga-Attraktionen der Vorsaison, Europas Topklubs waren längst neugierig geworden. Nun hat er ein ganzes Jahr verloren, was der Geschichte wenigstens noch ein romantisches Notkapitel anfügen könnte. Wahrscheinlich bleibt er jetzt noch ein weiteres Jahr in Stuttgart, egal, in welcher Liga.

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