St. Pauli-Boss im Gespräch:"Wir müssen auch Geld verdienen!"

Wie verantwortungsvoll müssen Fußballklubs bei der Auswahl ihrer Werbepartner sein? Ein Gespräch mit St. Pauli-Geschäftsführer Michael Meeske über Moral, die Marke St. Pauli und den neuen Trikotsponsor der Hamburger.

Jonas Beckenkamp

sueddeutsche.de: Seit kurzem wirbt der FC St. Pauli auf seinen Trikots mit der ARD-Fernsehlotterie. Wie schwierig ist es für Ihren Verein, einen geeigneten Sponsor zu finden?

St. Pauli v FC Ingolstadt - 2. Bundesliga

Werbung auf der Brust: Die Klassenlotterie sponsort den FC St. Pauli. 

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Michael Meeske: Das ist bei St. Pauli recht einfach, weil einige Sponsoren nicht hierher passen und andere eben besonders gut. Wir sind im Regelfall dort gut aufgestellt, wo Sponsoren sagen: Wir wollen unkonventionelle Wege gehen und gehören nicht zu den etablierten Werbepartnern. Die Fernsehlotterie ist natürlich ein Klassiker, aber Sponsoring ist für sie auch Neuland. Und auch inhaltlich passt das, denn wir stehen unter anderem für Sozialverantwortlichkeit, das tut die Fernsehlotterie auch.

sueddeutsche.de: Mit welchem Image lässt sich ein Klub wie St. Pauli vermarkten?

Meeske: Unser Image ist: Wir sind der etwas andere Verein. Wir verkörpern eine gewisse Nicht-Etabliertheit - und das macht uns für Unternehmen interessant, die damit auch spielen oder sogar so sind. Mehr denn je findet man Firmen, die denken: Um uns vom Markt zu differenzieren, müssen wir anders sein. Ob das Internet-Banken sind oder Low-Cost-Carrier im Flugbereich - das gab's vor zehn, 20 Jahren noch gar nicht. Aber man darf sich da keinen Sand in die Augen streuen. Sponsoring bleibt auch bei uns ein hartes Verkaufsgeschäft. Deshalb stehen bei uns nicht alle andersdenkenden Unternehmen Schlange und überbieten sich bei den Werbeausgaben.

sueddeutsche.de: Entscheiden bei Ihrer Auswahl der Sponsoren wirklich moralische Grundsätze?

Meeske: Wir stellen uns erstmal die Frage: Wer passt wirklich gut zu uns? Denn nur so lässt sich später eine authentische Partnerschaft umsetzen. Wir suchen nicht nach Partnern, die sich dadurch vom Rest unterscheiden, dass sie jeden ethischen Wert mit Füßen treten, sondern wir wollen Partner, die für Unkonventionelles stehen, aber auch für Toleranz oder für Weltoffenheit. Das sind für uns wichtige Grundsätze. Da achten wir sehr drauf. Im Allgemeinen kommen wir dann ohnehin mit solchen Firmen besonders ins Gespräch.

sueddeutsche.de: Abgesehen von einer gewissen Sozialromantik - das ist auch geschicktes "Gegen-Marketing".

Meeske: Das ist es, keine Frage. Wenngleich das mittlerweile den Alleinstellungswert verloren hat, weil auch in anderen Branchen ähnlich vorgegangen wird. Da gibt es gerade im Internet viele Firmen, die mit Guerilla-Marketing oder Viral-Marketing arbeiten. Deswegen gilt: Wir sind wirtschaftsstrategisch nicht mehr alleine mit dieser abseitigen Marktbearbeitung - außer im Fußball. Dort haben wir für uns eine sehr gute Nische kultiviert, die perfekt zu uns passt.

sueddeutsche.de: Ist dieses Image bewusst gewählt oder ist das die St. Pauli-Tradition?

Meeske: Die Grundlage dafür kommt aus der Fankurve. Werte wie Rebellion, Kreativität, Innovationsfreude oder Selbstironie - so tickte der Verein über 75 Jahre eigentlich gar nicht. Das hat sich erst Mitte der achtziger Jahre entwickelt und wird bis heute im Schulterschluss zwischen Vereinsführung und Fans gepflegt. Ich glaube, dass es in unserem Klub eine relativ enge, symbiotische Beziehung zwischen Basis und Führung gibt.

sueddeutsche.de: Wie wahrscheinlich wäre bei St. Pauli eine Partnerschaft mit umstrittenen Firmen wie Gazprom oder Eon?

Meeske: Ein spannendes Thema. Es ist nicht einfach, eine Grenze zu ziehen. Ich gebe mal ein Beispiel: Wir hatten als Getränkepartner ein Cola-Wein-Mixgetränk ("Kalte Muschi", Anm. d. Red.), das sich sehr selbstironisch inszenierte. Im Verein ergab sich eine intensive Debatte: Ist das jetzt Sexismus? Man könnte aber auch sagen, dass aufgrund der Ironie keine aufgeklärte Frau angegriffen wird. Ich finde, dass wir auch für das Viertel St. Pauli stehen und das ist nun mal nicht nur intellektuell, sondern St. Pauli ist auch eine Partymeile. Eine Prise Selbstironie steht uns gut zu Gesicht. So habe ich diesen Markenauftritt empfunden. Auf den Werbebannern gab es keine nackte Haut zu sehen - das war nun wirklich kein Ballermann-Stil, der verkauft wurde, sondern eine witzige Inszenierung mit einer weißen Katze. Tatsache ist, dass wir darüber gestritten haben und das macht unseren Klub eben auch facettenreich.

St. Pauli und der Atomkonzern

sueddeutsche.de: Trotzdem noch einmal die Frage: Wäre ein Atomkonzern als Sponsor bei St. Pauli vermittelbar?

Meeske

St. Pauli Geschäftsführer Michael Meeske sieht seinen Verein bei der ARD-Fernsehlotterie in guten Sponsoring-Händen.

Meeske: Das hängt wie gesagt vom Einzelfall ab und lässt sich deshalb auch kaum pauschal beantworten. Denn im Regelfall passen entsprechende Unternehmen nicht in eine Schublade, sondern sind Mischkonzerne, haben verschiedene Beteiligungen oder heterogene Anteilseignerstrukturen und all dies müssten sie dann bei der Bewertung berücksichtigen.

sueddeutsche.de: Die Bundesliga ist ein Geschäft - wie viel Spielraum haben Sie trotzdem, bei der Sponsorenwahl moralisch vertretbare Partner auszusuchen?

Meeske: Es gibt einen gewissen Spielraum, aber man muss sich bewusst sein, dass ein Verzicht am Ende die Möglichkeiten einschränkt, denn der kostet Geld. Wir haben gerade eine Debatte zur Frage: Müssen sich unsere Geschäftspartner an tarifähnliche Mindestlohnverpflichtungen halten? Da würde ich sagen: Natürlich, von der Intention her genau richtig. Doch nicht immer lassen sich solche Fragen bei internationalen und sehr verschachtelt aufgestellten Unternehmen klar beantworten. Es ist nicht einfach, aber ich halte das für eine wichtige Überlegung - auch wenn das den Werbemarkt für uns beschränkt.

sueddeutsche.de: Wie verantwortungsvoll sollten die Vereine sein?

Meeske: Das muss jeder Verein für sich entscheiden. Im Idealfall stehen die Partner aber für Werte einer freien und gerechten Gesellschaft. Es stellt sich aber immer die Frage: Wie lässt sich das durchsetzen? Da gerät man schnell in die Bredouille, beispielsweise mit kleinen Subunternehmen größerer Konzerne, von denen man nicht weiß, wie dort produziert wird. Wer ganz schwarz-weiß denkt und sagt: Alle müssen sich zu gewissen ethischen Prinzipien verpflichten, stößt an Grenzen. Bei St. Pauli versuchen wir schon, unserem sozialen Image gerecht zu werden, wenngleich die aktive Fanszene sicher der Meinung ist, dass noch vielmehr getan werden müsste.

sueddeutsche.de: Aber selbst die St. Pauli-Fans wollen ihr Team doch gerne in der Bundesliga sehen, da braucht es Sponsoren.

Meeske: Das ist der Punkt. Doch die Anhänger, mit denen man beim Thema Werbung am intensivsten diskutiert, legen gar nicht so viel Wert auf die erste Liga. Das finden die super, aber die stehen auch in der vierten Liga in der Kurve. Und ihre Priorität ist, dass der Verein in seinen Werten konsistent agiert. Als Geschäftsführer habe ich aber naturgemäß auch andere Interessen, wie zum Beispiel: Wir wollen zu den Top 25 im deutschen Fußball gehören. Klar, können wir auch absteigen in die zweite Liga, aber für unseren Anspruch auf Profifußball müssen auch wir Geld verdienen.

sueddeutsche.de: Andere Vereine tragen die Logos umstrittener Energiekonzerne oder Banken auf dem Trikot. Warum stört das die Fans kaum?

Meeske: Es gibt im Fußball durchaus Widerstände gegen die Kommerzialisierung, der aktive Widerstand ist aber in der Minderheit. Und die Mehrheit artikuliert sich eben nicht hörbar.

sueddeutsche.de: Sind der Fußball und seine Anhängerschaft weniger politisch als andere Gesellschaftsteile?

Meeske: Die Masse der Fußballfans dürfte diesbezüglich der Masse der Gesellschaft ähneln. Ich würde aber nicht soweit gehen und sagen, im Fußball bewegen sich mehrheitlich tumbe Leute, die Moral und Ethik nicht interessiert.

sueddeutsche.de: Früher waren Trikotsponsoren kleine, regionale Unternehmen - ist das heute noch denkbar?

Meeske: Aufgrund der dynamischen Entwicklung von Sponsoringpreisen ist es mittlerweile schwierig für kleine Firmen, auf einem Bundesligatrikot zu werben. In der obersten Spielklasse dominieren Unternehmen, die Fernseh-Präsenz haben und umfassende Medienkampagnen schalten.

sueddeutsche.de: Was bekommen sie jährlich von Ihrem Sponsor?

Meeske: Solche Informationen behandeln wir vertraulich.

sueddeutsche.de: Schalke erhält über fünf Jahre 100 Millionen von Gazprom - so viel wird es nicht sein, oder?

Meeske: Nein, sicher nicht. Soviel kann ich ausplaudern.

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