Süddeutsche Zeitung

Fußball und Integration:Genau so ist Deutschland

Das Erdoğan-Foto der Nationalspieler Özil und Gündoğan könnte der Anfang einer Diskussion sein: Integration kann nicht bedeuten, besinnungslos die Nationalhymne zu schmettern, nur weil ein DFB-Logo auf dem Trikot prangt.

Kommentar von Ralf Wiegand

Ob Mesut Özil und İlkay Gündoğan nach ihrem Auftritt an der Seite von Recep Tayyip Erdoğan noch für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielen können, diese Diskussion hat der einzige für solche Fragen zuständige Fachmann rasch beendet. Jogi Löw, der Trainer dieser Mannschaft, nimmt die beiden deutschen Staatsbürger mit ins Trainingslager nach Südtirol und damit höchstwahrscheinlich auch mit zur WM nach Russland. Alles andere wäre auch ziemlich blödsinnig gewesen.

Der deutsche Fußball, sofern er in der Form als Nationalmannschaft in Erscheinung tritt, ist immer zweierlei: Projektionsfläche für die Sehnsucht eines Landes, das gerne so wäre, wie die Mannschaft spielt. Und Spiegelbild des Landes, aus dessen Bürgern sich die Mannschaft zusammensetzt. Wunsch und Wirklichkeit - was nicht immer zusammenpasst.

1954 diente der Fußball noch als Eintrittskarte

Jahrzehntelang rollten die Kicker mit dem Bundesadler etwa als "German Panzer" durch die Stadien, briegelten die Außenlinie runter oder gaben in Gestalt der Förster-Brüder die Axt im Walde. Die Deutschen lernten: Wir werden respektiert, womöglich sogar gefürchtet - aber geliebt werden wir nicht. Als später auch noch die Siege ausblieben, verhöhnte das Land seine eigene Auswahl gar als Rumpelfüßer: So sind wir nicht!

1954 diente der Fußball, das Wunder von Bern, noch als Eintrittskarte der jungen Bundesrepublik in die Staatengemeinschaft. Die Spieler auf dem Platz, fleißige, zielstrebige Männer aus meist einfachen Verhältnissen, arbeiteten nun an einem neuen, fröhlichen Deutschland und nicht mehr an der Zerstörung der Welt. In Wahrheit spielten Fritz Walter, Horst Eckel und Helmut Rahn natürlich nur Fußball, aber die Bilder vom Triumphzug nach dem Titelgewinn, die erstmals wieder jubelnde Deutsche zeigten, erschreckten Europa nicht mehr zu Tode.

So ähnlich war es auch 2006, als zumindest die Fußballfans unter den 80 Millionen Deutschen der Welt ihr nun wieder groß und mächtig gewordenes Land mit seinen Symbolen zeigen konnten. Die Begleitdebatte, die der Fußball nicht absichtlich angestoßen hatte, hatte das dafür zulässige Maß an Patriotismus zum Thema. Es wurde in der Zahl schwarz-rot-goldener Außenspiegelüberzieher gemessen. Und heute kicken diese Deutschen sogar elegant wie Spanier - so wollen wir sein!

Die Nationalmannschaft wird, wo immer sie auftritt, als "Deutschland" vorgestellt. Sie wird weder als "Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes" tituliert, was sie ist, noch setzt sich das vom DFB gewählte Marketing-Label "Die Mannschaft" durch. Nein: Das da unten auf dem Rasen, das ist Deutschland - und oft genug finden sich in den Verästelungen des Teams aus gelegentlich weltfremden Jungmillionären auch heute noch Strukturen aus der echten Gesellschaft.

Vor diesem Hintergrund gibt das Foto von den Trikotgeschenken der Spieler Özil und Gündoğan an den türkischen Präsidenten nur den Stand der Integrationsbemühungen mit den Symbolen des Fußballs wieder. Die Nationalelf hat bei der Neuinterpretation des Begriffs Nation ihren Beitrag längst geleistet. Nach dem ersten Versuch, einen dunkelhäutigen Spieler in die Auswahl zu berufen - Erwin Kostedde 1974 -, vergingen zwar viele Jahre, ehe sich die Zahl der Mitbürger mit Migrationshintergrund auch in den DFB-Kadern abbildete. Aber sie wurden dann mit großer Überzeugung aufgenommen. In dem von Löw nun nominierten vorläufigen WM-Kader stehen acht Spieler, bei denen sich "deutsch" nicht dadurch definieren lässt, dass sie zwei deutsche Elternteile haben. So ist Deutschland.

Und so wird nun eben auch deutlich, dass Integration nicht bedeuten kann, besinnungslos die deutsche Nationalhymne zu schmettern, nur weil der entsprechende Pass in der Jackentasche steckt oder jemand auf das Trikot ein DFB-Logo gebügelt hat. Deutscher zu sein, darf heute nicht mehr heißen, seine Wurzeln leugnen zu müssen. Spieler wie Mesut Özil geraten immer wieder unter Druck, wenn etwa Vereinfacher wie Alexander Gauland (AfD) vom ungeliebten Nachbarn Boateng schwadronieren, ihr ganz persönliches Verhältnis zu Deutschland zu definieren.

Von Özil sind dazu bemerkenswerte Zitate überliefert, die nicht in das Weltbild von Gauland, aber zu Deutschland passen. Sie sind nämlich ziemlich differenziert. Und İlkay Gündoğan, der Mann, der "für meinen Präsidenten" auf das Trikot für Erdoğan geschrieben hat, besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft.

Das Foto könnte also der Anfang einer Diskussion sein - nach der WM. Vorerst hat Jogi Löw sie beendet, und zwar sehr schön: "Klar, wenn man für Deutschland spielt, vertritt man das Land und die deutschen Werte. Ein bisschen Verständnis zeige ich, weil ich weiß, dass für Menschen, Spieler, mit Migrationshintergrund, in deren Brust manchmal auch zwei Herzen schlagen, das nicht ganz so einfach unter einen Hut zu bringen ist." So einfach kann das sein, im Fußball-Deutschland 2018.

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Quelle:
SZ vom 16.05.2018/ebc/cat
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