Süddeutsche Zeitung

Fußball und Homosexualität:"Football's coming homo"

Im Macho-Betrieb Fußball ist Homosexualität immer noch ein Tabuthema. Jetzt bietet DFB-Präsident Theo Zwanziger schwulen Profis Hilfe an.

Fabian Heckenberger

Im vergangenen Dezember hat sich Gareth Thomas eingestanden, dass all die Muskelkraft seines Körpers, die schiere Energie der 102 Kilogramm bei 1,92 Meter Körpergröße, mit der der walisische Rugbyspieler über das Feld walzt, nicht ausreichen wird, um die Last der Selbstverleugnung durch sein restliches Leben zu tragen.

Gareth Thomas, einer der besten Athleten in einer der härtesten Sportarten der Welt, hat nach Jahren der Lügen und des Versteckspiels die Courage zur Wahrheit aufgebracht und gesagt: "Ich bin schwul". Seitdem wird der 35-Jährige als Vorbild für den Umgang mit Homosexualität im Sport gelobt. "Ich hoffe, ich habe die Tür einen Spalt weiter aufgestoßen", sagt Thomas.

An derselben Türe wie Gareth Thomas rüttelt auch Theo Zwanziger. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) engagiert sich seit Jahren für den Kampf gegen Ausgrenzung. Als erster DFB-Chef hat er sich nach seinem Amtsantritt im Jahr 2004 (damals noch als Teil der Doppelspitze neben Gerhard Mayer-Vorfelder) den Kampf gegen Homophobie im Fußball auf die Fahnen geschrieben. Am Montag hielt Zwanziger einen Vortrag zu diesem Thema vor dem Völklinger Kreis, dem Berufsverband für schwule Führungskräfte, und gestand Versäumnisse ein: "Homophobie im Fußball war - zugegebenermaßen - lange Zeit ein Thema, mit dem sich unzureichend beschäftigt wurde."

Der Funktionär versucht, das gutzumachen und ein Klima zu schaffen, in dem schwule Fußballer es wagen können, offen zu ihrer Sexualität zu stehen. "Meine Pflicht ist es", so Zwanziger, "ein Bewusstsein zu schaffen, damit das Ganze nicht zu einem Spießrutenlauf wird." Eine Mammutaufgabe angesichts in Fußballstadien alltäglicher Schmähungen wie "Schiri, du schwule Sau".

DFB-Chef Zwanziger hofft auf ein Coming-out eines aktiven Profis - und die davon ausgehende Signalwirkung. In seinem Vortrag bot er homosexuellen Profis Hilfe an. "Der DFB signalisiert, dass er das Coming-out mit allen Mitteln begleitet und, soweit es nötig ist, unterstützen wird."

Bisher ist das ein frommer Wunsch. Kaum ein Spitzenathlet wagt diesen Schritt - erst recht nicht, wenn er eine Sportart wie Fußball betreibt, in der vermeintlich männliche Tugenden wie Kampf, Aggressivität und Härte verlangt werden, in der Machismo in der Kabine eine Selbstverständlichkeit ist.

So findet der Kampf von Theo Zwanziger und dem DFB bisher vor allem auf dem Papier statt. 2007 hat der Verband die Erklärung "Gegen Diskriminierung im Fußball" unterzeichnet, in der es auch um Ausgrenzung wegen Homophobie geht. Philipp Lahm gab wenig später als erster deutscher Fußballprofi einem Schwulenmagazin ein Interview, kurz darauf tat es ihm Zwanziger gleich. Auf einen Gareth Thomas wartet der DFB aber noch vergebens.

Ein "Versteckspieler" in Deutschland

In Deutschland hat bisher nur der ehemalige Regionalligaspieler Marcus Urban (Rot-Weiß Erfurt) den Gang an die Öffentlichkeit gewagt. In der Biographie "Versteckspieler" schildert er den jahrelangen Zwiespalt zwischen sexueller Neigung und dem Erwartungsdruck der Mitspieler und Fans.

Er beschreibt die Scheinwelt, die er sich aufgebaut hatte, um nicht als zu weich zu gelten. In ganz Europa verstecken sich auf diese Weise schwule Profis, für die Öffentlichkeit werden Scheinehen geschlossen, zu Mannschaftsfeiern werden Hostessen als vermeintliche Freundinnen eingekauft. "Ein Coming-out von einem bekannten Spieler würde die Sache leichter machen", sagt Marcus Urban.

Wie tief verwurzelt die Homophobie im Fußball ist, zeigen diverse Beispiele. Der frühere Libero des 1. FC Köln, Paul Steiner, fasste die verbreitete Meinung in den achtziger Jahren so zusammen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schwule Fußball spielen können." 1982 wurde in England Justin Fashanu von seinem Coach bei Nottingham Forrest beschimpft und vom Platz geworfen. Sein Trainer hatte erfahren, dass er schwul ist. Als erster und bislang einziger homosexueller Fußballprofi outete sich Fashanu 1990 und verkaufte seine Geschichte für 80.000 Pfund an die Sun. Acht Jahre später erhängte er sich in einer Londoner Garage. Er ertrug die Anfeindungen nicht mehr.

Nur langsam setzte in den Jahren danach ein Umdenken ein. Der kroatische Fußballtrainer Otto Baric wurde als Erster wegen Homophobie vom europäischen Verband Uefa verurteilt. "Ich sage das, was viele denken: Ich werde niemals einen Schwulen in meinem Team spielen lassen", diktierte Baric 2007 in ein Mikrofon - und musste 3000 Schweizer Franken Strafe zahlen.

Auch Trainer Christoph Daum ruderte schleunigst zurück, nachdem er die aktuellen Bemühungen des DFB mit den Worten kommentiert hatte: "Ich hätte wirklich meine Bedenken, wenn von Theo Zwanziger irgendwelche Liberalisierungsgedanken einfließen sollten. Ich würde den Schutz der Kinder über jegliche Liberalisierung stellen."

Um nicht nur Trainer und Funktionäre, sondern auch die Zuschauer auf den Tribünen zum Umdenken zu bewegen, unterstützt der DFB die Entwicklung homosexueller Fanklubs. Den 2001 gegründeten "Hertha Junxx" aus Berlin folgte mittlerweile mehr als ein Dutzend ähnlicher Vereinigungen nach. Das Bündnis aktiver Fußballfans (Baff) fordert "Zeig dem Fußball die rosa Karte", ähnliche Initiativen entstehen seitdem in ganz Deutschland.

Vorbild vieler solcher Bewegungen ist der englische Verband FA, der sich noch vor dem DFB als Kämpfer gegen Homophobie positioniert hat. In den Stadien auf der Insel, ansonsten nicht gerade Orte klischeefreier Meinungsäußerung und liberaler Denkmuster, geht die Schwulenfeindlichkeit merklich zurück. Dort wird etwa die metrosexuelle Inszenierung eines David Beckham zum Vorbild hetero- und homosexueller Fans akzeptiert.

Der Guardian titelte angesichts der Einrichtung einer Ethik- und Gleichstellungsstelle des Verbandes bereits vor fünf Jahren zufrieden und keinesfalls entsetzt: "Football's coming homo" .

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