Süddeutsche Zeitung

Fußball in der Ukraine:Spiele in der Nähe des Luftschutzkellers

Ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn wagt die erste ukrainische Fußball-Liga einen Neustart: mit Geisterspielen, Plänen gegen Raketenangriffe und großer Entschlossenheit. Der Sport soll, wieder mal, ein Zeichen setzen.

Von David Kulessa

Am 25. Februar hätten FK Minaj und Sorja Luhansk die Winterpause der ukrainischen Fußball-Liga beenden sollen. Daraus wurde nichts, weil Russland am Tag davor die Ukraine angriff. Das Spiel wurde abgesagt, die Liga unterbrochen und dann offiziell für beendet erklärt. Seitdem gab es keinen Erstligafußball mehr in der Ukraine. Bis heute.

An diesem Dienstag, beinahe auf den Tag genau sechs Monate nach Kriegsbeginn, nimmt die Premjer-Liha ihren Spielbetrieb wieder auf. Im Nationalstadion von Kiew trifft Schachtjor Donezk auf Metalist Charkow. Es soll der Wunsch von Präsident Selenskij und seiner Regierung gewesen sein, die Spiele unbedingt in der Ukraine auszutragen und nicht, wie spekuliert worden war, in Polen.

Es soll ein Zeichen der Normalität sein, an das eigene Land, an die Welt und wohl auch an die Kriegsherren im Kreml. Auch der Zeitpunkt dürfte nicht zufällig gewählt sein. Am 24. August feiert die Ukraine ihre Unabhängigkeit. Wadym Gutzeit, der ukrainische Sportminister, schrieb in der vergangenen Woche auf Facebook: "Ukrainischer Sport und der Wille, an allen Fronten zu gewinnen, kann nicht aufgehalten werden!"

In einen ganz regulären Spielbetrieb kehrt der Fußball natürlich nicht zurück. So finden die Spiele ohne Zuschauer statt, und alle Spielstätten müssen in der Nähe eines Luftschutzkellers gelegen sein. Im Falle eines Alarms wird das Spiel sofort unterbrochen; dauert der Alarm länger als 60 Minuten, können die Schiedsrichter das Spiel auf einen anderen Tag verlegen. Kriegsalltag eben.

Zwei Vereine weigern sich bislang, ihre Heimat zu verlassen

Die Liga hat während der langen Unterbrechung an Qualität und Geld verloren. Grund dafür ist in erster Linie eine umstrittene Regelung des Weltverbands Fifa, die es ausländischen Spielern erlaubt, ihren ukrainischen Verein ablösefrei zu verlassen. Die Folge: Die Liga hat mehr als die Hälfte ihrer Auslandsprofis verloren, und die Klubs mussten hohe finanzielle Einbußen hinnehmen. Sie hatten nämlich eigentlich damit gerechnet, durch den Krieg weggebrochene Einnahmen durch teure Spielerverkäufe ausgleichen zu können.

"Aufgrund der Fifa-Entscheidung hat der FC Schachtjor die Möglichkeit verloren, vier ausländische Spieler für insgesamt 50 Millionen Euro zu transferieren", schrieb etwa der Präsident von Schachtjor Donezk vor einigen Wochen in einem Brief an Fifa-Chef Gianni Infantino. Der Verein fordert vom Weltverband Schadensersatz in Höhe der entgangenen Summe.

Auch weil viele Vereine dringend Geld brauchen, beginnt die Liga nun mitten im Krieg. Dank eines TV-Vertrages mit einem irischen Bezahlsender - über drei Jahre und rund 16 Millionen Dollar - fließt trotz der Geisterspiele zumindest etwas Geld in die Kassen der Klubs. Ungefähr 100 000 Dollar für jeden sollen es sein. Wenig in den Dimensionen des Profifußballs, viel in Kriegszeiten.

Die Liga ist umgeben von Unsicherheiten

Natürlich habe er Angst, sagte der ukrainische Trainer Jurij Wernydub dem Guardian, als der ihn während der Saisonvorbereitung seines Teams von Krywbas Krywyj Rih besuchte: "Aber ich habe Bombardierungen mit meinen eigenen Augen gesehen, also habe ich weniger Angst."

Aussagen wie diese geben einen Hinweis darauf, warum sich der Verein als einer von zweien bislang weigert, seine Heimat zu verlassen. Denn eigentlich sollen alle Spiele in Kiew sowie dem Westen des Landes stattfinden, möglichst weit weg also von der Frontlinie, die aktuell nur etwa 100 Kilometer von Krywyj Rih entfernt ist. "Das ist eben ein wahrlich patriotischer und echt ukrainischer Klub", betont Trainer Wernydub.

Ein Blick auf die Internetseite der Liga macht deutlich, wie viele Unsicherheiten diesen Start umgeben. So steht bislang nur am ersten Spieltag bei jedem Duell fest, wann und wo es stattfinden wird. Ob aber überhaupt gespielt werden darf, müssen die Sicherheitsbehörden vor jedem Spiel einzeln entscheiden.

Die Verantwortlichen wirken trotz allem fest entschlossen. So sagte Andrej Pawelko, der Präsident des ukrainischen Fußballverbandes: "Wir werden sicherstellen, dass wir unseren Geist und unsere Unbesiegbarkeit in die Geschichte des Weltfußballs einschreiben."

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