Fußball: Traditionsklubs:Kerker mit 20 Insassen

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Kein Geld, keine Zuschauer, keine Übertragungen im Fernsehen: In der Regionalliga können sogenannte Traditionsklubs kaum existieren.

Christoph Ruf

Am Stuttgarter Schlossplatz, mitten in der Innenstadt, haben sie gerade eine Ausstellung über den Fußball im Südwesten eröffnet. Der Titel - "Gefühle, wo man schwer beschreiben kann" - basiert auf einem Bonmot von Jürgen Klinsmann und dürfte Touristen aus Hannover oder Berlin vor Schreck zusammenzucken lassen. Der Stürmer hatte bei aller Freude über den EM-Sieg 1996 vergessen, dass das ein Satz ist, wo außerhalb vom Südwesten ein wenig merkwürdig klingt.

In der Stadionzeitung der Kickers haben sie der Ausstellung eine ganze Seite gewidmet, und das längst nicht nur, weil darin auch ein Plakat gezeigt wird, das für ihr Freundschaftsspiel gegen Real Madrid warb, 1963. Nein, Klinsmann haben sie hier oben in Degerlochs Höhen als einen der Ihren im Gedächtnis behalten. Als den bekanntesten unter vielen Fußball-Prominenten, die ihre Karriere hier gestartet haben. Wie Guido Buchwald, Karl Allgöwer, Fredi Bobic und all die anderen.

In der Ewigen Tabelle der zweiten Liga belegen die Kickers Platz drei, Darmstadt 98 Rang zwölf. An diesem Donnerstagabend treffen die beiden Traditionsklubs beim Nachholspiel der Regionalliga Süd aufeinander - vierte Liga ist das. Tom Eilers hat schon mal einen Blick ins Stadion geworfen. "Mau", sagt er, "keine zweitausend Zuschauer." Der Jurist berät das Darmstädter Präsidium.

Und wer seine ausladenden Hände sieht, kann sich nicht vorstellen, dass er sich früher als Zweitligakeeper überhaupt werfen musste, um an die Bälle zu kommen. Heute ist Darmstadt Vorletzter der Regionalliga Süd, am Ende der Saison wäre Eilers heilfroh über den Klassenerhalt. Dabei hält er diese Liga für ein Auslaufmodell: kaum Fernsehgeld, und gleich sieben U23-Mannschaften von Profivereinen (Nord: sechs, West: acht).

Teams wie Wehen-Wiesbaden II also, die weder in Wiesbaden noch in Darmstadt jemand sehen will. "Eine Ausbildungsliga mit Zweitmannschaften", stöhnt Eilers, "die Wahrnehmung der Regionalliga ist katastrophal." Nur einmal im Jahr, beim Lokalderby, empfinde er etwas, das ihm ansonsten bei den Heimspielen abgeht: "Wenn wir gegen Hessen Kassel spielen, hat man das Gefühl, wir sind beim Fußball."

Was ihm vorschwebt, ist eine zweigleisige vierte Liga ohne U23-Teams. Jeder hätte mehr Geld, die Begegnungen wären attraktiver. Ob er mit baldiger Realisierung seiner Pläne rechne? Eilers lächelt etwas säuerlich.

Auch Rüdiger Bartsch kostet es hörbar Mühe, höflich über die Liga zu sprechen. Bartsch ist Manager des 1.FC Magdeburg. Der Verein hat den 102-maligen Nationalspieler Joachim Streich und Jürgen Sparwasser hervorgebracht. Neben Dynamo Dresden war der FCM zu DDR-Zeiten der wohl populärste Verein. Auch deshalb berichtet der MDR ellenlang von den Spielen in der hochmodernen Magdeburger Arena, während andere dritte Programme die vierte Liga komplett ignorieren.

"Klar unterbezahlt" sei man mit den 90.000 Euro, die der DFB an Fernsehgeldern pro Regionalligist ausschüttet, findet Bartsch. Wer von der ersten in die zweite Liga absteige, bekomme statt zwölf Millionen Euro nur vier, also ein Drittel. Aber als Viertligist bekommen man nur ein Zehntel von einem Drittligisten. "Da kann ja etwas nicht stimmen."

Dabei gibt es in den drei Regionalligen, die nach der Ligareform 2008 entstanden sind, haufenweise Klubs, die den FCM beneiden. Dafür, dass seine Spiele überhaupt im Fernsehen stattfinden. Und dafür, dass er in seiner Stadt noch nicht vergessen wurde. Bartsch begrüßt im Schnitt 6000 Zuschauer, Rot-Weiß Essen, das sich im September vom ehrgeizigen Sportmanager Thomas Strunz trennte, kommt im Westen auf ähnliche Zahlen. Auch der 1.FC Saarbrücken und Preußen Münster sind populär. Die meisten anderen Traditionsvereine wie Eintracht Trier, Waldhof Mannheim, der Hallesche FC oder der VfB Lübeck haben kaum mehr als 2.500 Zuschauer. Der FC Oberneuland, ein Klub aus einem Bremer Nobelvorort, begrüßte am vergangenen Wochenende 95 Fans.

Darüber können sich die Magdeburger Anhänger amüsieren, sportlich sind die Perspektiven an der Elbe jedoch nicht viel besser als im Bremer Umland. In der Regionalliga Nord beharken sich Teams aus neun Bundesländern, darunter viele Vertreter der einstigen DDR-Oberliga, der damals höchsten Spielklasse. Doch der FCM, Halle und Chemnitz fürchten, dass sie in der übernächsten Spielzeit viertklassig sind. Denn aus der fünften Liga drängt Red Bull Leipzig nach - der Klub plant mit sehr viel Geld den Marsch durch die Fußball-Institutionen.

Doch die Tristesse in der vierthöchsten Spielklasse hat längst nicht nur strukturelle Gründe. Die Viertklassigkeit ist vielerorts die Strafe für das, was unfähige Manager, überteuerte Spieler und jede Menge provinzieller Größenwahn gerade bei den Traditionsvereinen angerichtet haben - beim traditionsreichen SSV Ulm von 1846 etwa, der die erste Liga bis heute nicht verkraftet hat. Allerdings ist die Regionalliga ein Kerker mit 20 Gefangenen.

Und nur einer davon darf Jahr für Jahr auf Begnadigung hoffen. Aufgestiegen sind in den vergangenen Jahren meist Vereine wie Hoffenheim, Wehen Wiesbaden, Paderborn, Augsburg - Klubs, die einen wohlhabenden Gönner im Rücken wissen. Tabellenerster im Süden ist der VfR Aalen, ein Verein, der die Herzensangelegenheit eines reichen Schrotthändlers ist. Eine Spielklasse darüber, in der eingleisigen Dritten Liga, sind die Klagen hingegen leiser geworden: 825.000 Euro bekommen die Klubs (ausgenommen Zweitvertretungen der Erstligisten), die Sportschau überträgt jeden Samstag. Zwei, bei Gewinn des Relegationsspiels sogar drei Drittligisten steigen auf. Und es gibt nur vier U23-Teams von Profiklubs. In den drei Regionalligen sind es 21.

Dort geht derzeit vielen Klubs das Geld aus. Schon Ende Oktober meldete der Goslarer SC (Nord) erhebliche Finanzprobleme, Eintracht Bamberg bittet die Fans um Geld. Ähnlich desaströs ist die Lage beim Bonner SC (West), wo Präsident Tobias Kollmann, ein Wirtschaftsprofessor, sein Amt niedergelegt hat. "Die finanziellen Rahmenbedingungen erlauben es nicht, die gute Arbeit fortzuführen", zitiert ihn der Kicker.

Bereits im März waren die Spieler in einen Trainingsstreik getreten, weil sie zu lange auf die Gehälter warten mussten. Auch der einstige Zweitligist SSV Reutlingen hat die Segel gestrichen und hofft, dass das Insolvenzverfahren im Juni eröffnet wird. Im optimalen Fall darf man in der fünftklassigen Oberliga weiterkicken. "Der SSV brachte die meisten Zuschauer und die meisten Einnahmen. Die fallen jetzt weg", sagt der Geschäftsführer des SC Pfullendorf, Manfred Vobiller. Die Regionalliga sei nicht finanzierbar.

Auch bei TeBe Berlin, der Hans Rosenthal zu seinen Präsidenten und den Kabarettisten Wolfgang Neuss zu seinen Sympathisanten zählte, bangte Trainer Thomas Herbst bis zuletzt, ob das Derby gegen die zweite Mannschaft von Hertha BSC stattfinden könne. Die Spieler, die zum Teil seit Monaten kein Geld mehr bekommen haben sollen, hatten einen Boykott des Spiels erwogen. Unterstützt wurden sie dabei von Coach Thomas Herbst, der wusste, dass mancher Spieler seine Miete nicht mehr bezahlen konnte.

Weniger einfühlsam zeigte sich jedoch ein gewisser Werner Lorant, der kurz zuvor als (angeblich ehrenamtlicher) Sportdirektor installiert worden war: "Wer nicht will, soll zu Hause bleiben." Nach dem Spiel gab es dann wieder Geld für die Spieler, zumindest behauptet das der Verein. Doch offenbar war nicht jeder Akteur von der Wiederentdeckung der Zahlungsmoral überzeugt. Am vergangenen Samstag saßen gegen den Chemnitzer FC nur drei Spieler auf der Bank - in der Nachspielzeit wechselte Trainer Herbst Stürmer Florian Beil aus und brachte Timo Hampf. Zur Gaudi des Publikums debütierte der Ersatztorwart im Sturm.

© SZ vom 15.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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