Fußball:Gegen alle Vorurteile

Fußball: Am Ziel: Thomas Wörle 2016 auf dem Münchner Rathausbalkon, zwischen Robert Lewandowski und Thomas Müller - als Meistertrainer der Frauen.

Am Ziel: Thomas Wörle 2016 auf dem Münchner Rathausbalkon, zwischen Robert Lewandowski und Thomas Müller - als Meistertrainer der Frauen.

(Foto: Foto2press/Imago)

Thomas Wörle wurde Meister und Pokalsieger - als Trainer der Fußballerinnen des FC Bayern. Nach zwei arbeitslosen Jahren könnte er mit den Männern des SSV Ulm aufsteigen.

Von Ralf Tögel

Ein sonniger Juni-Tag. Schön ist es hier im Café Martin am Roßmarkt in Memmingen. Nebenan das rote Gebäude der Kramerzunft, vor dem der Stadtbach fließt, daneben das Furtenbachhaus mit seinem eleganten Zierfachwerk. Hier wurde deutsche Geschichte geschrieben, als sich im März 1525 die Anführer der aufbegehrenden Bauernhaufen trafen und die Zwölf Artikel der Bauern, die erste Menschenrechtserklärung Europas, verfassten, was kurz danach zum Bauernkrieg führte. Auch Thomas Wörle hat Historisches erreicht, deshalb hat er den Treffpunkt aber nicht vorgeschlagen, sondern weil er auf dem Weg liegt. Wörle kommt aus Kemnat, einem 600-Seelen-Ort nahe Thannhausen, zwischen Günzburg und Augsburg. Der 40-Jährige sitzt entspannt vor seinem Cappuccino und will über Fußball reden, genauer gesagt über seinen Job, er ist Trainer.

Ein sehr erfolgreicher, Wörle war deutscher Meister und Pokalsieger, er hat seine Mannschaft in das Halbfinale der Champions League geführt, wurde vom Weltverband Fifa für die Wahl zum Trainer des Jahres nominiert. Kann es für einen so hochdekorierten Übungsleiter problematisch werden, einen Job zu finden? Es kann, denn Wörle hat seine Meriten mit einem Frauenteam erreicht, dem des FC Bayern. Die Bilder der gemeinsamen Meisterfeiern 2015 und 2016 auf dem Münchner Rathausbalkon gingen um die Welt, Wörle neben Pep Guardiola, beide mit der Meisterschale in den Händen, es war der bisherige Karriere-Höhepunkt. 2019 hat der Verein den auslaufenden Vertrag nicht mehr verlängert - und Wörle war arbeitslos.

Den Job in Ulm verdankt Wörle der Fürsprache von Geschäftsführerin Myriam Krüger

Auch wenn der FCB-Sparte der Abschied aus seiner Sicht nicht sonderlich elegant gelungen war - Wörle hätte sich auch nach neun Jahren an der Säbener Straße durchaus vorstellen können, nochmals zu verlängern - blickt er ohne Groll "auf eine tolle Zeit" zurück: "Der Verein hat mir als jungem Trainer die Möglichkeit gegeben, mich zu entwickeln, aber auch die Abteilung mitzuentwickeln". Was im Schatten der omnipräsenten Männer "erst unter dem Radar lief", wie Wörle sagt, hat sich unter ihm zu einer erfolgreichen Profi-Abteilung entwickelt. Von einer ambitionierten Mannschaft aus vorwiegend Studentinnen zum Vollprofi-Team.

Irgendwann hätte die Chefetage um Karl-Heinz-Rummenigge festgestellt, "dass man da etwas machen kann", es folgten Einladungen von Uli Hoeneß an den Tegernsee, wo der damalige Präsident gerne in privater Atmosphäre seine Wertschätzung zum Ausdruck brachte. Mittlerweile sind die FCB-Frauen eine feste internationale Größe, kürzlich spielten sie vor 13 000 Zuschauern in der Fröttmaninger Arena gegen Paris Saint-Germain im Champions-League-Viertelfinale. "Wir haben etwas zur Erfolgsgeschichte des Vereins beigetragen", blickt Wörle zurück.

Fußball: Spot an: Thomas Wörle bei der Arbeit mit seiner Mannschaft, Ziel ist der Aufstieg in die dritte Liga.

Spot an: Thomas Wörle bei der Arbeit mit seiner Mannschaft, Ziel ist der Aufstieg in die dritte Liga.

(Foto: Eibner-Pressefoto/Imago)

Bei der Arbeitsplatzsuche hat ihm das wenig geholfen. Denn Wörle wollte im Männerbereich Fuß fassen, was sich relativ schwierig gestalten sollte. Erst einmal machte er aus der Not eine Tugend - sprich den Fußballlehrer. Mit Bestnote und Hospitationen beim damaligen Augsburg-Trainer Martin Schmidt, oder bei Erik ten Hag bei Ajax Amsterdam, was sich in Pandemiezeiten über ein Jahr zog. Und er machte eine weitere schöne Erfahrung: "Ich hatte plötzlich Zeit für die Familie", für seine Frau und die beiden Kinder. Wörle verfeinerte seine Fähigkeiten erst in Rhetorik-Kursen, Taktikschulungen oder Regelkunde, dann auch in "Kindererziehung und Hausarbeit". Ziel blieb aber eine Männermannschaft bei einem Verein, ein Projekt, "bei dem man professionell arbeiten und etwas entwickeln kann". Den Beweis, dass er perspektivisch erfolgreich arbeiten kann, hatte Wörle erbracht, ihm war aber auch klar, dass er Überzeugungsarbeit wird leisten müssen.

Gegen Vorbehalte, gegen Fragen wie: Kann ein Frauentrainer auch Männer führen? Natürlich kannte Wörle all die Sprüche, etwa den, dass Frauenfußball sei wie Pferderennen mit Eseln. Und ja, er wurde auch gefragt, ob er mit den Spielerinnen in die Kabine geht. Er kannte aber auch den Männerfußball aus dem Effeff, war selbst Profi, spielte unter anderem zweite Liga in Fürth und Osnabrück, ehe er verletzungsbedingt die Karriere früh beenden musste.

Zum Trainerjob war er zufällig gekommen, sein Vater Günther war Trainer der Frauen des FC Bayern, erst assistierte er ihm, als sein Vater erkrankte, übernahm der Sohn. Den Respekt vor Frauenfußball hatte Wörle längst entwickelt, in der fußballverrückten Familie spielten auch seine beiden Schwestern höherklassig Fußball, Tanja, die ältere, unter anderem beim FC Bayern und im Nationalteam. Aber erst als sich Wörle die Unterstützung von Spielerberater Berthold Nickl holte, klappte es mit dem angestrebten Job.

Fußball: Auf der größeren Bühne: Thomas Wörle im Gespräch mit dem Fernsehsender Sky als Trainer des Regionalligisten SSV Ulm.

Auf der größeren Bühne: Thomas Wörle im Gespräch mit dem Fernsehsender Sky als Trainer des Regionalligisten SSV Ulm.

(Foto: Eduard Martin/Imago)

Fast ein Jahr ist seit dem Treffen in Memmingen vergangen, ein regnerischer Tag im April, Wörle sitzt vor einer Flasche Wasser, ohne Kohlensäure, in seinem Büro im schmucken Donaustadion des SSV Ulm. Er hat den Verein gefunden, der seine Vision teilt, ein Projekt zu entwickeln und nachhaltig voranzutreiben. Wörle ist Cheftrainer des Regionalligisten, ein ehemaliger Erst- und Zweitligist, ein Klub mit großer Vergangenheit und Tradition - und noch größeren Erwartungen im Umfeld.

Ulm ist Tabellenzweiter, zwei Punkte hinter dem SV Elversberg, vor Vereinen wie Kickers Offenbach oder dem FC Homburg. Wie er den Job bekam, passt in seine Geschichte. In Myriam Krüger und Markus Thiele, 40, soll ein junges Geschäftsführer-Duo den Klub zurück zu alter Größe führen, Thiele ist erst seit einem Jahr beim SSV, Krüger rückte ein Jahr zuvor in die Geschäftsführung auf. Weil die 32-Jährige früher unter anderem beim SC Freiburg spielte, kannte sie den Bayern-Trainer Wörle - und brachte seinen Namen bei der Trainersuche ins Spiel. Kollege Thiel gibt seine ursprünglichen Bedenken gerne zu: "Ich habe dem Gespräch mit Thomas Wörle zugestimmt, um Myriam zu zeigen, dass sie bei der Trainer-Entscheidung eingebunden ist." Und Wörle überzeugte in besagtem Gespräch sofort.

Nun erzählt er, dass er schon in den Verhandlungen gemerkt habe, "zur richtigen Zeit am richtigen Ort" zu sein. Die Arbeit sei so professionell wie fokussiert, wenn Wörle von Mannschaft und Job spricht, hört man seine Begeisterung. Mittlerweile ist es neun Uhr abends, ein langer Tag geht vorbei, zwei Trainingseinheiten, Teambesprechung, Kaderplanung mit der Geschäftsführung. Zwei Spiele stehen noch aus, dann kann Wörle die Zukunft planen, wenn Elversberg noch patzt, vielleicht in der dritten Liga. Und er kann wieder Historisches vollbringen, in Schwaben.

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