Prügelnde Napoli-Anhänger:Eruption in Curva B

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Niederlage in der Niederlage: Während sich das 0:4 gegen Milan zuträgt, prügeln sich Napoli-Ultras untereinander. In der Curva B, wo das Herz der Fanszene schlagen müsste, tut sich danach ein Krater auf. (Foto: Alessandro Garofalo/LaPresse/Imago)

Das Glück ist nah, der Meistertitel nur noch eine mathematische Frage. Doch ausgerechnet jetzt ticken die organisierten Fans der SSC Neapel aus. Ihre Beziehung mit Präsident Aurelio De Laurentiis war nie ein Idyll - nun entlädt sich die Aversion in Gewalt.

Von Oliver Meiler, Rom

Da warten sie in Neapel seit 33 Jahren auf die Apotheose, die fußballerische wenigstens, den dritten Meistertitel in der Geschichte ihrer Società Sportiva Calcio, den ersten in der Zeit nach und ohne Diego Armando Maradona. Und nun, da sich die Sehnsucht langsam, aber sehr, sehr wahrscheinlich erfüllen wird und manche sogar ihren Aberglauben überwinden und Straßen, Treppen, Hausmauern azurblau anmalen, ja, ausgerechnet in dieser Phase der Vorfreude vor dem großen Fest versenkt die organisierte Anhängerschaft von Napoli aus den Kurven das Glück im Chaos. Die Polizei sorgt sich, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

In den italienischen Zeitungen wird das "Paradoxon von Neapel" verhandelt. Die Gazzetta dello Sport titelt einigermaßen entgeistert: "Napoli - findet hier etwa ein Fest statt?" Dazu die Bilder von wüsten Prügeleien unter Ultras in der Curva B des Stadio Maradona am vergangenen Sonntagabend. Die Zeitung bot nun sogar den Schauspieler Salvatore Esposito auf, "Genny" aus der Fernsehserie "Gomorrha", um diesen Moment emotional zu fassen.

"Was da passierte, schmerzt mich mehr als die Niederlage gegen Milan", sagte er. Und diese Niederlage, ein denkwürdiges 0:4 gegen den aktuellen Meister und Gegner im Viertelfinale der Champions League, barg ja für sich durchaus Potenzial für großen Schmerz.

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Kommentar von Oliver Meiler

Aber nun zur Szene in der Curva B. Die Kurve brodelte schon vor dem Spiel. Einmal mehr hatten die Ultras von Napoli ihre Gerätschaften zu Hause lassen müssen: ihre Spruchbänder, Fahnen, Megafone, Trommeln. Oder besser: Sie hätten sie vielleicht schon mitnehmen dürfen, wenn sie bereit gewesen wären, vorab eine Erlaubnis dafür zu beantragen. So fordern es der Fußballverband und die Polizei seit einer Serie von Ausschreitungen, der Verein unterstützt die Maßnahme. Doch den Ultras ist das zu blöd, sie halten die Regel für reine Schikane. Und so kam es wieder zu der bizarren Situation, dass die angereisten Fans mit ihrem Instrumentarium einen Höllenlärm veranstalten durften, während die Kurven der Neapolitaner fahnen- und megafonlos blieben.

Römer, Retter, Reizfigur: Filmproduzent Aurelio De Laurentiis, Eigentümer und Präsident des Vereins. (Foto: Peter Cziborra/Action Images via Reuters)

Kaum hatte das Spiel begonnen, intonierte eine Fangruppe in der Curva B Verwünschungen gegen Aurelio De Laurentiis, den Besitzer und Präsidenten des Vereins. Ziemlich krude Schimpfwörter waren da dabei, ohne jeden Sinn für Reime. Der römische Filmproduzent, 73 Jahre alt, konnte noch nie gut mit den Fans, seit Beginn nicht. De Laurentiis übernahm den Verein in dessen dunkelster Stunde, 2004, da war er gerade pleitegegangen und in die Serie C relegiert worden, die dritte italienische Liga. In wenigen Jahren schaffte er es, den Klub wieder nach oben zu führen. In den Augen vieler Fans aber blieb er "il Romano", der Outsider aus der ungeliebten Hauptstadt: immer etwas hochnäsig, auch mal unsensibel. In den Verwaltungsrat berief er seine gesamte Familie, Frau und Kinder. Auf einen Vereinssitz in Neapel verzichtete er, es gibt nicht einmal ein Büro in der Stadt.

Was zählt, ist das Geschäft, sind die Zahlen, dazu steht De Laurentiis. Er erhöhte über die Jahre die Ticket- und Abonnementspreise deutlich und kam auch nicht von seiner Politik ab, als der Unmut groß wurde. Für die Champions League sind die Preise mittlerweile so hoch, dass viele Neapolitaner sie sich gar nicht mehr leisten können. Den Ultras, die sich an eine Vorzugsbehandlung gewöhnt hatten, strich De Laurentiis die Privilegien, etwa Karten und Reisen zu Auswärtsspielen. Wenn sie sich danebenbenehmen, was recht oft vorkommt, spricht er das Problem sehr unverblümt an.

Hashtag #A16: Sie verwünschen De Laurentiis nach Bari, dort gehört ihm auch der Stadtklub

Napoli war also nie ein Idyll. Als De Laurentiis dann im vergangenen Sommer eine Reihe prominenter Spieler verkaufte und sie durch weniger prominente ersetzte, fühlte sich seine Opposition in der Stadt definitiv bestärkt. Und lancierte den Hashtag #A16. A 16, so heißt die Autobahn von Neapel nach Bari. Auch Bari aus der Serie B gehört De Laurentiis. Mag der Presidente auch ein Italiener sein, was im Calcio zusehends zur Rarität verkommt, und mag er Napoli sportlich auch rehabilitiert haben: "ADL", so sein Akronym, blieb vielen unsympathisch, suspekt gar - soll er sich doch nach Bari verziehen. Womit sie nicht rechnen konnten: Die zusammengesparte Mannschaft spielt fast immer spektakulären und effektiven Fußball, in Italien und in Europa. In der Serie A führt Napoli die Tabelle nach 28 Spieltagen mit 16 Punkten Vorsprung auf Lazio Rom an.

Daran, so könnte man meinen, zerbricht auf Dauer jede Opposition. Doch da standen sie nun wieder in der Curva B und sangen gegen den Präsidenten an, ausgerechnet in einem vorentscheidenden Spiel. Ein Teil der Ultras aber war dagegen, man hatte sich nämlich auf einen Schweigeprotest geeinigt. Und so prügelten sich die harten Fans untereinander so engagiert, dass der Rest des Stadions zunächst fassungslos zuschaute und dann die eigenen Ultras auspfiff. Danach hörte man fast nur noch den Gästesektor. Die Niederlage in der Niederlage, der Schmerz im Schmerz.

Die Ermittler studieren nun die Videoaufnahmen aus dem Stadion, um die Dynamik ganz genau zu verstehen. Einige Personen sind identifiziert und mit Stadionsperren belegt worden. Man fürchtet schon die nächsten Spiele, in und ums Stadion. Man ist sogar in Sorge, was aus dem Fest werden könnte, wenn es denn auch mal mathematisch gesichert ist. Für die Hauptfeier auf der Piazza del Plebiscito, dem Wohnzimmer Neapels, will der Verein offenbar Eintritt verlangen. Das wäre natürlich wieder sehr unsensibel, nahe an der Provokation. Doch die Stadt ist groß, jede Piazza eine Bühne, jede Gasse ein Corso - und kein Herz ein Gefängnis.

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