Fußball:Sportsoziologe zu Corona-Krise: Situation der Machtlosigkeit

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Die Schiedsrichter werden in der Corona-Krise von den Spielern mehr beachtet. Foto: Bernd Thissen/dpa (Foto: dpa)

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Berlin (dpa) - Die Corona-Krise hat nach Einschätzung des Sportsoziologen Gunter Gebauer vor dem Hintergrund der Geisterspiele das Verhältnis zwischen Fußballern und Schiedsrichtern verändert.

Man könne sehen, "dass sich die Spieler offenbar stärker den Schiedsrichtern zuwenden und sie mehr beachten. Ein Schiedsrichter musste manchmal jemanden, der ein böses Foul verübt hat, zurückholen lassen, damit er überhaupt seine Gelbe oder Rote Karte in Empfang nehmen konnte", sagte der emeritierte Professor für Philosophie und Sportsoziologie an der FU Berlin der Deutschen Presse-Agentur.

Die Schiedsrichter hätten "in der jetzigen Situation eine viel stärkere Autorität auf dem Spielfeld. Sie haben nicht das Publikum gegen sich und können auch besser mit den Spielern sprechen, da kein ohrenbetäubender Lärm herrscht", sagte Gebauer. "Der Fußballstar, hinter dem bis dahin zigtausend Menschen standen und durch Gebrüll unterstützt wurde, ist jetzt machtlos gegenüber dem Schiedsrichter und steht dort alleine. Das ergibt eine vollkommen andere Balance im Verhältnis von Spieler zu Schiedsrichter."

Ein Jahr nach der vorübergehenden Einstellung des Spielbetriebs der Fußball-Bundesliga und der Verschiebung der EM hat die Pandemie dem Sportsoziologen zufolge auch die Wahrnehmung von Zeit verändert. "Wir haben keine Macht mehr darüber, die Zeit zu organisieren. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass wir zum Beispiel in 14 Tagen diese Partie austragen und zwei Wochen darauf jene. So eine Zeitstruktur, die sehr stark das Erleben prägt, fällt aus, weil wir im Augenblick gegenüber der Zukunft überhaupt keine Macht haben", sagte er. "Also sind wir im Augenblick in einer Situation der Machtlosigkeit, wie wir sie im Grunde genommen seit Kriegsende nicht mehr gehabt haben."

© dpa-infocom, dpa:210315-99-825149/3

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