Fußball:Schweizer Fußball probt die Revolution

FC Basel v Maccabi Tel Aviv - UEFA Champions League: Qualifying Round Play Off First Leg; FC Basel Matias Delgado

Mit dem FC Basel mal wieder an der Spitze der Tabelle: Kapitän Matias Delgado.

(Foto: Simon Hofmann/Getty Images)
  • Im Schweizer Fußball macht sich bei Fans und Klubs ein Überdruss bemerkbar.
  • Der FC Basel dominiert die Liga nach Belieben.
  • Klubvertreter suchen nach Mitteln gegen die Langeweile - und denken zum Beispiel über die Ligagröße nach.

Von Peter M. Birrer und Christian Zürcher, Zürich

Wer verstehen will, was den Schweizer Fußball gerade umtreibt, der muss nur Markus Babbel zuhören. Der Ex-Spieler des FC Bayern trainiert den FC Luzern, den Vierten der Super League: "Ich bin etwas mehr als zwei Jahre hier", sagte er kürzlich also, "und habe gefühlte 80-mal gegen alle Mannschaften gespielt." Und Alexander Frei, einst Stürmer bei Borussia Dortmund und bis zu seinem Karriereende 2013 beim FC Basel, störte sich an der Routine, die er in der Liga erlebte: "Es ­wiederholte sich halt alles: viermal pro Saison gegen die gleiche Mannschaft."

Zusammengefasst: Im Schweizer Fußball gibt es unzufriedene Leute und Gedankenspiele. Da ist Basels Dominanz, da sind die sich häufenden Spiele von Außenseitern: viermal pro Saison Vaduz gegen Lugano, viermal Lausanne gegen Thun - das ist bestenfalls für die Beteiligten attraktiv. Und: Der Zuschauerschnitt stagniert, er hat zuletzt gar abgenommen (allerdings auch ­wegen des Abstiegs des FC Zürich).

Wie konnte das passieren? Was kann man dagegen tun?

Die Suche nach einem Mittel gegen Langeweile

Zur Jahrtausendwende kannte die Schweiz eine Liga mit zwölf Teams sowie eine von den Clubs ungeliebte Final- und Abstiegsrunde. Zugleich wollten die Ligaverantwortlichen den Fußball professionalisieren und besser vermarkten. Konsequenz: Die Liga wurde zum Produkt, die Nationalliga A 2003 zur Super League.

Die Meinung damals lautete, mit einer Zehnerliga bleibe die Spielqualität hoch, und jedes Stadion erfülle die ­Kriterien, um daraus Fernsehspiele ­zeigen zu können. Um aber auf genügend Runden zu kommen, nahm man in Kauf, dass viermal pro Saison die gleichen Teams gegeneinander spielen. Das hat lange funktioniert, TV-Gelder wie Zuschauerzahlen stiegen, Schweizer Vereine hatten europäischen Erfolg - doch nun ist ein gewisser Überdruss bei Fans und Clubs spürbar.

Die an sich erfolgreiche Liga muss also ein Mittel finden gegen die wachsende Langeweile, sie braucht ein ­Rezept für eine immer öder werdende Meisterschaft. Nur: Wie soll das gehen?

Serienmeister Basel Gelder zu streichen, ist jedenfalls nicht realistisch. Gespräche mit Clubpräsidenten und Sportchefs aus der Super League und der Challenge League zeigen aber: Überall ist die Bereitschaft da, die Lage zu analysieren und Potenziale auszuloten. Selbst in Basel ist eine Offenheit spürbar. "Wir sind zufrieden mit dem Modus, doch Diskussionen und Änderungen nicht abgeneigt", sagt Basels Sportchef Georg Heitz. "Es soll aber ­weiterhin garantiert werden, dass der sportlich Beste Meister wird." Daher sei für ihn ein Playoff-System nicht optimal, "dafür gibt es den Cup".

Im Ausland haben ähnlich große Ligen bereits Wege gefunden, um die Meisterschaft ­attraktiver zu gestalten - sei dies mit einer Aufsplittung und Punkthalbierung während der Saison (wie sie die Schweiz vor der Super League schon hatte) oder mit Playoff-Partien. Dass das Verständnis solcher Systeme nicht ­immer einfach ist, zeigt das Beispiel ­Belgien: Wer mit zwei Belgiern über ihre Meisterschaft spricht, hört zwei verschiedene Varianten, wie letzten Endes die Europacup-Plätze verteilt werden.

In der Schweiz hüten sich Vereinsvertreter davor, wegen Basels Dominanz Punktehalbierung und Playoff-Partien zu fordern. Tatsächlich ist es fraglich, wie beherrschend der FCB auch in ­Zukunft sein wird. Durch die Champions-League-Millionen hat sich zwischen dem Krösus und dem Rest der Super League ein Graben aufgetan. Mit der Uefa-Reform ab 2018 verliert die Schweiz allerdings ihren fixen Platz in der Champions League, Basels Übergröße könnte schrumpfen. Andererseits sind künftig höhere Fernsehgelder garantiert, wenn man es in die Königsklasse schafft.

Was gibt das Fußballland Schweiz überhaupt her?

Ebenfalls im Raum steht die Idee einer Aufstockung der Super League. Das würde zwar nichts an Basels Überlegenheit ändern, führte aber zu mehr Abwechslung. FCZ-Präsident Ancillo Canepa sagt, es stelle sich die Frage, ob eine Erhöhung auf zwölf oder 14 Mannschaften angestrebt werden solle. Und er hat gleich eine Möglichkeit zur Hand: "Bei zwölf  Mannschaften könnte man wie in Schottland drei Durchgänge spielen, dies ergäbe 33 Spiele pro Team. Aber eines ist eben auch klar: Der Teufel liegt im Detail." Markus Babbel wiederum könnte sich auch eine 16er-Liga vorstellen, "ich sehe in der Challenge League durchaus Clubs mit großem Potenzial".

Mehr Regionen wären in der obersten Liga vertreten, mehr Junioren könnten Erfahrungen sammeln - doch was passiert mit der Spielqualität? Zudem wäre eine Aufstockung kleineren und finanzschwachen Clubs wie Thun ein Dorn im Auge. Plötzlich müssten sie die TV-Gelder nicht mit neun, sondern mit elf, 13 oder 15 andern teilen.

Über allen Reformvorschlägen steht zudem die Frage: Was gibt das Fußballland Schweiz überhaupt her? Existieren genügend Stadien, die den Kriterien der Liga in Sachen Sicherheit und TV-Tauglichkeit genügen? Die Challenge-League-Clubs Aarau, Schaffhausen, Servette, Xamax und Wil haben zwar bereits oder bald die notwendige Infrastruktur, doch eine Aufstockung der Super League würde eine Lücke in die Challenge League reißen. Bereits heute kämpfen Spitzenvereine in der Promotion League, nur annähernd die Lizenzkriterien der zweithöchsten Liga erfüllen zu können.

Christian Constantins verrückte Idee

In die komplett andere Richtung geht die Idee von Christian Constantin, der an einem revolutionären Modell herumstudiert. Der Präsident des FC Sion schlägt eine Reduktion der Liga vor. "Acht statt zehn", sagt er, "mehr gibt der Markt in unserem kleinen Land nicht her. Wir können Städte, die wir nicht ­haben, nicht einfach erfinden."

Und wie stellt er sich den Modus vor? Ganz einfach: Er denkt an ein Playoff, aber nicht erst als Abschluss der Saison, nein, mittendrin. Von Juli bis Dezember sollen die ersten 14 Runden stattfinden, von Februar bis Mai die zweiten 14. Und dazwischen würde Constantin die acht Clubs in zwei Gruppen aufteilen, die in Hin- und Rückspielen, mit Halbfinals und einem Final, um eine noch zu ­bestimmende Anzahl Punkte kämpfen würden. "Die Aussicht auf einen schönen Bonus würde eine neue Dynamik entfachen", sagt er, "und die Zuschauer kämen auf ihre Kosten."

Die Liga lässt verlauten, sie sei für alle Vorschläge offen und werde alle Möglichkeiten prüfen. Im Hinblick auf eine 8er-Liga solle man sich aber nicht kleiner machen, als man ist. Im Februar trifft sich das Ligakomitee und will auch über den Modus sprechen. Eine Änderung ist laut SFL erst auf das Jahr 2021 realistisch. Dann läuft auch der TV-Vertrag aus.

Eine Neuerung auf das kommende Jahr hingegen ist bereits beschlossen, der Spielplan wird so angepasst, dass im Dezember länger gespielt wird. Und Vorbild für die Zukunft ist England: Fußball am Boxing Day, Fußball zu Weihnachten.

Dieser Artikel erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 1.2.2017.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: