Süddeutsche Zeitung

Fußball:Schneller als Blitz und Donner

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Neues für Rechenkünstler und Familienmenschen: Der Amateurfußball in Bayern hat auch 2022 zuverlässig Kuriositäten hervorgebracht.

Von Christoph Leischwitz

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Ein umkämpftes Spiel mit sieben gelben Karten, eine lang diskutierte gelb-rote Karte sowie zwei Elfmeterentscheidungen: Bei der WM in Katar hätte die Partie des FC Ismaning gegen den SV Kirchanschöring wohl 15 Minuten Nachspielzeit eingebracht. Doch der erfahrene Bayernliga-Schiri Tobias Spindler wählte einen pragmatischeren Ansatz: Er beendete das Match beim Stand von 1:3 nach: 88 Minuten. Gegenüber Ismanings Trainer Mijo Stijepic begründete er die Entscheidung damit, dass "eh nichts mehr passiert". In Minute 87 hatte Ismaning in Unterzahl noch einen Strafstoß rausgeholt, diesen aber leider verschossen. Womöglich hatte der Referee auch die Sorge, eine Partie, bei der eh nichts mehr passiert, unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal anpfeifen zu müssen, weil ein Gewitter nahte. Ein Problem, das in Katar tatsächlich eher selten den Spielverlauf beeinflusst.

Bier ist dicker als Fußballfreundschaft

SV Sulzemoos gegen den SV Günding, ein freundschaftliches Nachbarduell im Landkreis Dachau. Deshalb feiert man nach dem 4:1 für Sulzemoos auch noch bis in die Morgenstunden gemeinsam. In einem Bericht des Fußball-Portals Fupa heißt es über jenen Abend: "SVS-Coach Markus Wagenpfeil hat um vier Uhr nachts noch einen Gündinger aus dem Graben gezogen und nach Hause gefahren." Dass der 18-jährige Stefan Eckstein kurz vor Schluss regelwidrig eingewechselt worden war, das hatte man zwischen Vereinsheim und Straßengraben zwar besprochen, aber schon wieder vergessen gehabt. Eigentlich. Die Katerstimmung setzte in diesem Fall ausnahmsweise erst zwei Tage später ein. Da erreichte den Bayerischen Fußball-Verband nämlich der Protest der Gündinger. Der Tipp kam von Funktionären des regelkundigen VfL Egenburg, zu allem Überfluss einem Partnerverein von Sulzemoos. Dabei soll der Satz gefallen sein: "Für 60 Liter Bier habe ich einen Tipp, wie ihr drei Punkte bekommt" - an einen Gündinger, der bei der Party nicht dabei war und nicht mitbekommen hatte, dass beim Bier in Sulzemoos Stillschweigen vereinbart worden war. Das Spiel wurde 2:0 für Günding gewertet, der SV überwintert in der Kreisligatabelle einen Punkt vor Sulzemoos auf Rang drei.

Abstieg gemäß Paragraph 23 Absatz 2.1

"Alles, was gegen uns laufen kann, läuft gegen uns", seufzt Gerhard Aulinger, Präsident des A-Klassisten FC Untermitterdorf. Man ist geneigt zuzustimmen. Vergangenes Frühjahr stieg die Mannschaft wegen einer Regelung in Paragraph 23 der Spielordnung ab, die kaum jemand auf dem Schirm hatte. In der Kreisklasse Regen waren zum Saisonende drei Teams punktgleich. Doch nicht etwa der direkte Vergleich entschied darüber, wer nun runtermusste, sondern die Tatsache, dass Untermitterdorf einmal nicht antrat, auswärts bei Habischried. "Wir hatten damals jede Menge Verletzte, wir hätten sowieso verloren", erklärt Aulinger. Im Nachhinein hätten sie am besten die AH hingeschickt und ein 0:15 kassiert, denn dann hätten sie den direkten Vergleich mit dem Konkurrenten SV March gewonnen. March übrigens hielt die Klasse, weil das Team den besten Quotienten im Vergleich zu vier Teams in vier weiteren Kreisklassen hatte.

Zur Premiere vorneweg

Es war im Prinzip nichts Besonderes für Daniel und Siegfried Tröger, dass sie für die zweite Mannschaft des FC OVI-Teunz aufliefen. Doch der erste Spieltag der Saison 2022/23 war trotzdem historisch, weil vor ihnen ihre Schwester Jessica aufs Feld lief, mittlerweile verheiratete Eckl, mit der Kapitänsbinde am Arm. Obendrein befand sich unter den Zuschauern noch der vermutlich stolze Papa, der an jenem 17. Juli seinen 65. Geburtstag feierte. Die zweifache Mutter Jessica Eckl, 38, war in diesem Moment die erste Frau in Deutschland, die für ein Männer-Pflichtspiel den Fußballrasen betrat - dicht gefolgt von Mitspielerin Sandra Pfannenstein.

Möglich geworden war das durch einen Beschluss auf dem bayerischen Verbandstag drei Wochen zuvor: Frauen dürfen nun einen Antrag stellen, um bei den Männern mitzuspielen. Während Eckl und Pfannenstein ihr B-Klassenspiel zum Debüt gegen den SC Altfalter II 1:6 verloren, ließ der erste Erfolg inklusive Pflichtspieltor einer Frau bei den Männern nicht lange auf sich warten. Erzielt wurde es Anfang August von der 19-jährigen Chiara-Sophie Matthes in der B-Klasse Rhön 2 für die Spielgemeinschaft VfB Burglauer II/Reichenbach III/Weinheim II, beim 4:1-Sieg über die SG ASV Sulzfeld II/SV Merkershausen II/FC Eibstadt II (10. Minute zum zwischenzeitlichen 2:0). Bis zur Winterpause haben schon rund 100 Frauen in Bayern von der Regelung Gebrauch gemacht.

Wenn der Vater gegen Söhne

Davon werden sie noch ihren Enkelkindern erzählen. Oder den Urenkeln, je nachdem. Ende Mai empfing der Kreisligist SV Motzing nahe Straubing mit Trainer Andreas Scheuerer den Kreisklassisten SC 1928 Rain zu einem denkwürdigen Relegationsspiel, denn bei Rain spielen Scheuerers Söhne Julian und Nico. Nico erzielte in einem spannenden Spiel sogar das zwischenzeitliche 2:2 (64.), doch es half nichts, der Papa gewann. Motzing setzte sich 8:7 nach Elfmeterschießen durch und konnte im Spiel darauf gegen Deggenau tatsächlich die Liga halten. Die Partie hatte auch noch einen Promi-Faktor: Der Eishockey-Nationalspieler und Teilzeit-Fußballer Marcel Brandt stand für Motzing auf dem Platz, erzielte ein Tor und verwandelte einen Elfer.

Das Do-bin-i-dahoam-Tor

Huhu, ich bin wieder zu Hause! Ein Satz, der weder von Ehefrauen noch von einem Stadionvermieter unbedingt positiv aufgenommen werden muss. Ganz sicher nicht vom SV Heimstetten, der am ersten Spieltag der Regionalliga den Skandal-Drittliga-Absteiger Türkgücü München empfing - der sich davor schon einmal als Ligakonkurrent beim SVH eingemietet hatte. Türkgücü jedenfalls gelang bei der Rückkehr in den Amateurfußball an alter Wirkungsstätte ein Blitztraumstart. 8,9 Sekunden dauerte es, ehe Maximilian Berwein für seinen neuen Klub traf, nach einer einstudierten Anstoß-Variante. Es war selbstredend das schnellste Tor der Regionalliga-Geschichte und für Türkgücü die erste positive Schlagzeile nach einer monatelangen, erfolglosen Suche nach einer festen sportlichen Heimat. Angesichts der 1:2-Niederlage umso überraschender, dass die stark abstiegsbedrohten Heimstettener im Herbst bekanntgaben, Türkgücü noch einmal sieben Heimspiele in ihrem Sportpark austragen zu lassen.

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