Wovon erzählt Cristiano Ronaldo später seinen Enkelkindern? Er könnte berichten von dem Tag, als er auf der Ersatzbank Europameister wurde und sich trotzdem in den Mittelpunkt drängte. Oder von seinen fünf Champions-League-Titeln. Oder den fünf Auszeichnungen als Weltfußballer. Theoretisch könnte er auch über jedes einzelne seiner vielen Tore referieren, die er geschossen und geköpft hat. Seit dem Nations-League-Spiel gegen Kroatien am Donnerstag kommt der Portugiese auf 900 Treffer in seiner Karriere. Was auch immer es sein mag, das Ronaldo seinen Nachfahren erzählt: Es dürfte sich in Wiederholungen und Ausschweifungen verlieren – und ist sicher keine klassische Heldengeschichte.
Denn Helden kommen aus dem Nichts, sie sind oft gescheitert, haben Leid ertragen, bis sie von Außenseitern endlich zu, nun ja, Helden wurden.
Und damit zu San Marino, dieser ältesten Republik der Welt mitten in Italien, zehn Kilometer von der Adriaküste entfernt, die einst sogar von Napoleons Eroberungswahn verschont blieb; je nachdem, wen man fragt, lag es an der Bewunderung für den Freiheitswillen des Völkchens oder weil San Marino schlicht zu unbedeutend war, um eine Eroberung wert zu sein. Ziemlich genau 200 Jahre nach Napoleon und zufällig am selben Abend wie Cristiano Ronaldos Jubiläumstor hat die Fußball-Nationalmannschaft von San Marino nun ihre eigene Heldengeschichte geschrieben.
Zum ersten Mal seit 20 Jahren, nach zuletzt 140 sieglosen Spielen in Serie, hat die Elf des italienischen Trainers Roberto Cevioli gewonnen, 1:0 gegen Liechtenstein in der Nations League vor ein paar Hundert Zuschauern. Einer von ihnen war Lee Wingate, der am Telefon versichert: „San Marino war die bessere Mannschaft!“ Der Host des Sweeper Podcast ist Teil einer in den vergangenen Jahren gewachsenen Fangemeinde, die sich von der notorischen Erfolglosigkeit der San-Marinesen hat faszinieren lassen.
Jedoch: „Viele hatten schon aufgegeben“, zuletzt sei das Interesse wieder weniger geworden, berichtet Wingate. Nach Niederlagen gegen St. Kitts und Nevis sowie Zypern waren sie das Warten auf den ersten Sieg einfach leid geworden. Einige aber hielten durch und wurden jetzt belohnt, als Nicko Sensoli, der beim letzten Sieg des Nationalteams noch gar nicht auf der Welt war, in der 53. Minute traf. Dieser Nicko Sensoli, 19, wird bestimmt noch viel erleben in seinem Leben, aber schon jetzt ist klar: Seinen Enkelkindern wird er eine Geschichte erzählen können, die Ronaldo nicht erzählen kann. Von dem Tag, als sich das Warten endlich gelohnt hat.