Die deutschen Debatten rund um einen Neustart der Bundesliga beeinflussen auch das Ausland. Vor allem in englischsprachigen Medien ist das schon bestens zu sehen; dort neigt man ja, häufiger als anderswo, zur Verwendung von Lehnwörtern aus dem Deutschen. Auch auf der britischen Insel kennt man Termini wie "Kindergarten" oder "Wunderkind"; seit den europäischen Wahlen gibt es dort den "Spitzenkandidaten". Und wie sollte man angesichts des Terrors, den die deutsche Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg über britische Städte brachte, "the Blitz" vergessen? In den vergangenen Wochen nun hat ein neuer Barbarismus seinen Siegeszug angetreten, nachzulesen in Medien wie dem Economist, dem Guardian und World Soccer: "the Geisterspiel", ein Spiel ohne Zuschauer also. Das Wort ist verbunden mit der Hoffnung, dass Deutschland der kontinentalen Fußballindustrie als Lokomotive zu Diensten sein könnte.
Die Branchenlage ist in ganz Europa vergleichbar. Überall ruht der Ball, die Verluste gehen addiert in die Milliarden, und wenn überhaupt, gibt es nur eine vage Aussicht auf Geisterspiele. Nicht so nur in den Niederlanden und Frankreich, dort untersagten die jeweiligen Regierungen den Neustart. Dass andererseits Portugal die Profis Ende Mai wieder spielen lassen will, gilt im kontinentalen Kontext als Randnotiz. Geschaut wird nach Berlin, auf die Entscheidung, die am Mittwoch die Regierungschefs der Länder und Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen wollen.
"Europa wartet auf Deutschland", schrieb am Dienstag die römische Zeitung La Repubblica. Und in Spanien geistert seit Tagen ein Wort durch Radiosender und Tageblätter: "Miércoles", Mittwoch. Gepaart mit der Frage, was Merkel wirklich will.
Statt über Ronaldo oder Messi wird über Söder und Laschet spekuliert
Auf den ersten Blick mag überraschen, dass es ausgerechnet Spanien und Italien, also Länder mit potenten Ligen und leidenschaftlichen Anhängern, bisher nicht schaffen, sich zu einem Ja zur Wiederaufnahme der pandemiebedingt unterbrochenen Spielzeit durchzuringen. Zu hoch sind aber die Todeszahlen, zu gereizt die seit Wochen streng zu Hause kasernierten Bürger. Ein deutsches Ja zum Fußball würde jenen Windschatten herstellen, durch den eine Entscheidung besser vermittelbar wäre. Umso intensiver werden seit Wochen in den Sportteilen mediterraner Blätter die Nachrichten aus Deutschland verhandelt; bis hin zu durchaus detailverliebten Abhandlungen über die Motive von Ministerpräsidenten wie Armin Laschet (Nordrhein-Westfalen, CDU) und Markus Söder (Bayern, CSU).
Dort, wo normalerweise über Ronaldo oder Messi zu lesen ist, wurde plötzlich spekuliert, welche Rolle Söders und Laschets Ambitionen auf die mittelfristig anstehende Merkel-Nachfolge im Fußball-Kontext spielen könnten. Über das Sicherheits- und Hygieneprotokoll der Deutschen Fußball-Liga (DFL) wurde erst recht berichtet, ebenfalls mit großer Liebe zum Detail, so etwa in der Zeitung El País. Und beim spanischen DFL-Pendant, der LFP, wurde das eigene Konzept noch mal im Lichte der Dokumente aus Frankfurt abgeglichen. In der Hoffnung auf ein Plazet der spanischen Regierung.
Diese hat, bei aller Zurückhaltung, erkennen lassen, dass sie sich kaum etwas sehnlicher wünscht als einen Neustart. Es wäre nicht nur nach innen, sondern auch nach außen ein wichtiges Signal der Normalität, nachdem Spaniens Reputation so gelitten hat, dass die volkswirtschaftlich extrem wichtige Tourismus-Industrie auf absehbare Zeit brach liegt.
In England wiederum dürfte Premier Boris Johnson sich im Falle einer deutschen Rückkehr zum Ligabetrieb fragen lassen, wann man Geisterspiele abhalten dürfe. Der Bezahlsender Sky, der die Premier-League-Rechte innehat, würde besonders drängen. Denn: Die Bundesliga wird beim Marktrivalen BT Sports gezeigt, und sie erfreut sich wegen englischer Legionäre wie Jadon Sancho (Borussia Dortmund) wachsender Beliebtheit. Ein mögliches "Nein!" Merkels würde jedenfalls kaum zu einem Gefühl führen, das ebenfalls als Barbarismus im Englischen existiert. Es heißt: "Schadenfreude".