Fußball:Übermacht der Professionalisierung

So ehrlich und groß die Sehnsucht Leipzigs und Mitteldeutschlands nach Erstligafußball ist, so sehr kontrastiert die Sehnsucht zuweilen mit der Planquadrathaftigkeit des Klubbesitzers. Das Spiel ist gerade eine halbe Stunde vorbei, da hustet in den Katakomben des Stadions schon der zurechtgetunte und bemalte Retro-Doppeldecker, mit dem es vor die Stadiontore gehen soll.

Viele Fans irren da gerade auf der Festwiese auf der Suche nach taurinfreiem Alkohol, da wird ihn auf allen digitalen Kanälen schon die Information aufgedrängt, der Bus werde um 19 Uhr am Stadionvorplatz starten. Es würde nun nicht wundern, wenn gleich noch die Bitte versandt würde, dass um 19:01 Uhr dann bitte alle komplett ausrasten sollen.

Die arge Übermacht der Professionalisierung fällt am Sonntag nicht nur beim Feiern vor dem Stadion auf, selbst im Stadion scheint jeglicher Jubel einer unsichtbaren Regie zu folgen. Das ausverkaufte Stadion: eine zwar laute, aber brav synchronisierte Kulisse, wie man sie von der Playstation kennt. Der Aufstiegs-Jubel nach dem Abpfiff: wohl der erste der Generation Selfie-Stick. Davie Selke bekommt sogleich einen solchen mit Go-Pro-Liveübertragungs-Knuppel-Aufsatz in die Hand gedrückt, später wird er in Mikrofone sagen, dass man gar nicht beschreiben könne, wie sich so ein Moment anfühle.

Es gibt bei RB keine sportliche Leidenshistorie

Interessant an diesem Aufstiegsnachmittag ist nicht, was Leipzig mehr hat als andere Vereine - interessant ist, was RB noch fehlt, und was es vielleicht nie so recht bekommen wird. Dietrich Mateschitz sagte zu Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung einst beim ersten Kennenlernen: Warte mal ab, in 20 Jahren haben wir auch Tradition. Irgendwie stimmt das natürlich. Irgendwie stimmt aber auch, dass RB Leipzig immer ein anderer Verein bleiben wird. Was wird in allen möglichen Stadien gesungen, wenn der Verein in die erste Liga aufsteigt? Nie mehr zweite Liga. Was wird bei RB Leipzig gesungen? "Zweite Liga war so schön - Zeit für uns zu geh'n."

Es gibt bei RB keine rein sportliche Leidenshistorie, nur die allerdings sehr konkrete Erfahrung des Gemobbt-Werdens auf verbaler Ebene. Professionelle Strukturen, guten Fußball, viele Zuschauer - all das haben sie hier schon. Die Frage ist auch gar nicht mehr, ob Geld Tore schießt und wenn ja, wie viele. Die Frage ist, ob Geld auch Aura schaffen kann.

Am Sonntag ist den Leipzigern auch das natürlich sehr egal. Sie haben jetzt einen Erstliga-Verein und bilden damit die Spitze seltsam erfolgreicher Tage des Sport-Ostens. Denn, und das sei nicht vergessen: Es gab im Schatten von RB weitere Erfolgsmeldungen. Der neue Handballpokalsieger kommt aus Magdeburg (Männer), der Meister im Volleyball aus Dresden (Frauen). Aue und Dynamo Dresden sind zudem in die zweite Fußball-Liga aufgestiegen, und Sachsens Innenminister kann sich über all das auch deswegen freuen, weil ein direktes Duell zwischen Dynamo und RB erst mal ausbleibt.

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