Premier League:Sadistisches Vergnügen für einen 74-Jährigen

Premier League: Ergraut, aber noch längst nicht arbeitsmüde: Trainer Roy Hodgson (links) löst beim FC Watford seinen Kollegen Claudio Ranieri ab.

Ergraut, aber noch längst nicht arbeitsmüde: Trainer Roy Hodgson (links) löst beim FC Watford seinen Kollegen Claudio Ranieri ab.

(Foto: Javier Garcia/Shutterstock/imago)

Der FC Watford hat in zehn Jahren 15 Trainer verschlissen. Nun kommt Roy Hodgson aus dem Ruhestand, um den Lieblingsklub von Elton John in der Liga zu halten. Kann er wieder der Retter in der Not sein?

Von Sven Haist, London

Auch bei seinem Abschied vom FC Watford blieb sich Claudio Ranieri treu. Im europäischen Fußball genießen nur wenige Trainer eine vergleichbare Reputation wie der Italiener, der auf seinen Karrierestationen stets als ein sehr angenehmer Mensch in Erinnerung blieb. Diesen Ruf bestätigte Ranieri nun, als ihm der Londoner Vorstadtklub aus der Premier League die Beurlaubung mitgeteilt hatte. Beim Verlassen des Trainingsgeländes gewährte Ranieri, 70, einem wartenden Sky-Reporter aus dem Auto heraus spontan ein Interview.

Mit einem herzlichen "Guten Morgen" eröffnete der Routinier das Gespräch, er wünschte Watford "viel Glück" und zeigte sich überzeugt, dass sein jetzt ehemaliger Arbeitgeber mit einem neuen Trainer den Klassenverbleib schaffen werde. Diese Integrität ist vermutlich einer der Gründe, warum sich Ranieri mehr als ein halbes Jahrhundert im Profifußball gehalten hat. Sein Geltungsbedürfnis allerdings verwehrt ihm offenbar einen würdigen Abschied.

Nach der Sensationsmeisterschaft in England mit Leicester City im Jahr 2016, entgegen allen Prognosen (Wettquote der Buchmacher: 5000:1), hätte Ranieri in Ehren abtreten können - sogar stilvoll an der Seite des Startenors Andrea Bocelli, der extra eingeflogen kam, um mit Ranieri bei der Titelfeier im Stadion eine abgewandelte Version seines Welthits "Time To Say Goodbye" zu singen. Stattdessen ließ sich Ranieri nach seinem Abschied aus Leicester zu weiteren Engagements hinreißen, darunter ein dreimonatiges Gastspiel beim FC Fulham - und nun ein ebenso trauriges Kurzintermezzo in Watford.

Nach elf Niederlagen in 14 Pflichtspielen musste Ranieri bereits nach 112 Tagen wieder die Koffer packen. Watfords Negativserie eskalierte am vergangenen Freitag durch ein 0:3 im Kellerduell mit Mitaufsteiger Norwich an der heimischen Vicarage Road, wodurch man auf die Abstiegsränge zurückfiel. Die Verantwortung für die miese Bilanz wird allerdings weniger Ranieri zugeschrieben als dem Verein selbst.

Watford hat in weniger als zehn Jahren 15 Trainer verschlissen

In der Premier League gilt die Faustformel, dass im Falle eines Trainerrauswurfs innerhalb des ersten Jahres der Fehler eher bei der Klubführung zu suchen sei - und erst danach beim Trainer. Für den FC Watford ist das italienische Familienimperium Pozzo zuständig, dessen Patron Giampaolo Pozzo den finanziell angeschlagenen Verein 2012 ins Geschäftsportfolio holte (wie lange zuvor schon Udinese Calcio). Den FC Watford überschrieb er kurz danach seinem Sohn Gino, und schon mit der ersten Amtshandlung, der Entlassung des später in Burnley erfolgreichen Trainers Sean Dyche, gab der Pozzo-Clan seine Klubrichtung vor.

Inzwischen hat Watford in weniger als zehn Jahren 15 Trainer verschlissen, allein in dieser Saison bereits zwei: Ranieri - und den im Oktober geschassten Aufstiegscoach Xisco Munoz. Die Personalführung in Watford hat sich längst zum Klatschthema der Liga entwickelt, Satiriker haben aus dem munteren Hire and Fire beachtliche Statistiken zusammengetragen.

Ein Beispiel: In den zurückliegenden 58 Erstligapartien der Hornets aus Watford - der Hornissen, wie sie wegen der gelb-schwarzen Trikots heißen - waren sechs verschiedene Trainer am Werk. Trotz (oder wegen) dieser Fluktuation ist es den Pozzos gelungen, einen lange unscheinbaren Zweitligisten vom Nordwestrand Londons in der Premier League zu etablieren. Fünf Saisons in Serie hielt sich Watford in der Beletage, bevor der Klub vor eineinhalb Jahren erstmals unter den jetzigen Eigentümern abstieg, aber direkt wieder aufstieg.

Bei der letzten Zusammenarbeit schickten die Pozzos Roy Hodgson nach 17 Spielen wieder fort

Um das gleiche Malheur in dieser Spielzeit zu verhindern, setzt der Verein, dessen prominentester Fan Musiklegende Sir Elton John ist, nun auf einen Freundschaftsdienst: Für den Rest der Saison holt Watford den weit gereisten Trainer Roy Hodgson, 74, aus der Rente, der mit den Pozzos bereits in Udine zusammengearbeitet hat. Damals, 2001, schickten die Pozzos den Engländer nach nur 17 Spielen wieder fort. Das Problem: Hodgson, der fließend Italienisch spricht, ließ seinerzeit aus dem 41-Mann-Kader von Udine vorwiegend Profis spielen, die schon länger da waren - und nicht diejenigen, die die Pozzos neu verpflichtet hatten. Das Verhältnis zwischen beiden Seiten blieb dennoch intakt, vor nicht allzu langer Zeit blickte Hodgson sogar versöhnlich zurück.

Der Tabellen-19. Watford tut es nun mit dem Trainerwechsel, dem insgesamt achten dieser Premier-League-Saison, seinen Mitkonkurrenten im Abstiegskampf gleich. Bis auf Schlusslicht Burnley (mit Dyche, der seit fast zehn Jahren im Amt ist) haben alle bereits den Coach gewechselt, das neureiche Newcastle (18.) ebenso wie Norwich (17.) und der FC Everton (16.). In anderthalb Wochen treffen die hinteren vier Klubs der wegen Nachholspielen unübersichtlichen Tabelle in zwei direkten Duellen aufeinander.

Hodgson muss zum Debüt mit dem seit acht Partien sieglosen Watford nach Burnley. In dieser misslichen Lage bauen die Eigentümer Pozzo vor allem auf die Erfahrung von Hodgson, der in seiner Karriere bereits Fulham in ähnlicher Not vor dem Abstieg bewahrt hatte, ebenso wie zuletzt Crystal Palace - trotz einst sieben Niederlagen zum Saisonauftakt 2017.

Bei seinem Abschied von Palace im vergangenen Sommer kündigte Hodgson an, nach keinem neuen Klub mehr aktiv Ausschau halten zu wollen. Aber er sagte auch, dass er eine Rückkehr nicht gänzlich ausschließen könne ("one never knows"), weil sein Beruf ein "sadistisches Vergnügen" sei. In diesem Punkt dürfte es dem ehemaligen englischen Nationaltrainer Hodgson (zuletzt TV-Experte und Mitglied einer Fußball-Taskforce) ähnlich ergehen wie seinem Kollegen Claudio Ranieri.

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