Süddeutsche Zeitung

FC Everton in der Premier League:Die Blauen gehen den Mersey runter

Trotz Investitionen von mehr als einer halben Milliarde Euro dümpelt der FC Everton im Mittelfeld der Premier League - und ist seit sieben Spielen sieglos. Die sportlichen Probleme sind noch die geringeren.

Von Sven Haist, Everton

Mit der Verpflichtung von Rafael Benítez als neuem Trainer haben die Fans des FC Everton schon bei deren Bekanntgabe im Sommer nichts anfangen können. Einige Anhänger platzierten die Vorbehalte gegenüber Benítez auf Spruchbändern am Stadion. Aus ihrer Sicht kam der Spanier als ehemaliger und noch dazu erfolgreicher Coach des ungeliebten Nachbarn FC Liverpool nicht als Nachfolger des zu Real Madrid weiter gezogenen Carlo Ancelotti in Frage.

Trotzdem drückte die Vereinsführung um Fußballchef Marcel Brands, 59, und den seit 2004 dem Klub vorsitzenden Bill Kenwright, 76, Gründer einer weltweit agierenden Theaterproduktionsfirma, die Personalie durch. Sie reihte sich ja auch vorzüglich ein in die schillernde Liste zuvor ausgewählter Trainer, zu denen neben Ancelotti auch Sam Allardyce und der kürzlich beim FC Barcelona entlassene Ronald Koeman gehören. Alle erwarben sich in Everton jedoch den Makel, dass ihr Ruf stets besser war als die erbrachte Leistung. Ähnlich ergeht es nun Benítez, dessen Zeit am River Mersey ausgerechnet Liverpool beenden könnte.

Nach sieben sieglosen Ligaspielen, darunter das einfallslose 0:1 beim Aufsteiger FC Brentford am Sonntag, steht Benítez bei einer weiteren Niederlage wohl vor der Entlassung aus seinem bis 2024 laufenden Vertrag. Trotz eines ordentlichen Saisonstarts ist der Klub in der Premier League auf die hinteren Ränge durchgereicht worden, beschleunigt durch die verletzungsbedingten Ausfälle von Abwehrchef Yerry Mina und Torjäger Dominic Calvert-Lewin. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass Benítez einzig die finanzielle Situation des taumelnden Klubs im Amt halten könnte, die sich als noch desaströser erweist als die miese sportliche Lage.

In fünf Jahren musste Everton allein circa 40 Millionen Euro an Abfindungen für freigestellte Trainer berappen. Das stümperhafte Management quittierte die Fanszene unlängst mit der höhnischen Referenz, es sei Zeit, dass auch für die Klubführung "nur das Beste" gut genug sei, eine Anspielung ans lateinische Vereinsmotto "nil satis nisi optimum". Zum Misserfolg kommt für Everton erschwerend Liverpools gleichzeitiger Erfolg hinzu. Das Liverpool Echo, Haus- und Hofblatt beider Vereine, kommentierte vor dem 239. Merseyside-Derby am Mittwoch, dass die Roten in Liverpool "alles" seien, was die Blauen in Everton gern wären.

Eine schnelle Lösung für die Probleme des FC Everton ist wohl nicht in Sicht

Nur vier Monate, nachdem Jürgen Klopp als Trainer im Oktober 2015 anfing, den Liverpool Football Club auf den Kopf zu stellen, kaufte sich der britisch-iranische Geschäftsmann Farhad Moshiri, der mit seinen Eltern kurz vor der Iranischen Revolution 1979 aus Persien geflohen war, bei Everton ein. Seinen Reichtum baute sich der Milliardär im russischen Rohstoffgewerbe auf. Obwohl der Verein mit ihm als strategischem Partner zur superreichen Spitzengruppe aufschließen wollte, leitete der Einstieg des leicht beeinflussbaren Moshiri, 66, einen fast beispiellosen Niedergang ein.

In fünf Jahren hat Moshiri - zusätzlich zu seiner Anzahlung für ein neues Stadion in Höhe von mehr als 100 Millionen Euro - eine halbe Milliarde Euro in den Klub gesteckt. Zusammen mit der Chefetage hat er den Reichtum jedoch weitgehend erfolglos verplempert. Nacheinander ließ Everton in John Stones (2016/Manchester City), Romelu Lukaku (2017/Manchester United), Ross Barkley (2018/FC Chelsea) sowie Idrissa Gueye (2021/Paris Saint-Germain) seine besten Spieler für hohe Ablösesummen ziehen, nur um daraufhin für noch viel, viel mehr Geld Durchschnittskräfte zu überzogenen Bezügen unter Vertrag zu nehmen.

Weil das Team in diesen Spielzeiten jeweils die Qualifikation für den Europapokal verpasste, explodierten die Gehälter der Profimannschaft geradezu im Verhältnis zu den Einnahmen. Zwischen 2018 und 2020 schrieb Everton in Summe einen Verlust von mehr als 300 Millionen - mehr als jeder andere Premier-League-Klub, und fast dreimal so viel wie die Regularien der Liga eigentlich erlauben. Als Folge der Pandemie, die den Vereinen erhebliche Umsatzverluste bescherte, beschloss die Premier League jedoch, im Frühjahr 2020 die übliche Bewertung aufzuweichen.

Aus diesem Grund kommt jetzt vor allem den Geschäftsjahren 2021 und 2022 eine besondere Bedeutung zu, worüber sich der Klub zumindest im Klaren zu sein scheint. In der abgelaufenen Transferperiode leistete sich Everton ausschließlich ablösefreie Profis sowie den für mickrige zwei Millionen Euro aus Leverkusen geholten Demarai Gray. Als Resultat steht nun eine völlig unausgewogene Mannschaft auf dem Platz, die von sechs verschiedenen Trainern zusammengestellt wurde. Das Sportmagazin Athletic schrieb, dass sich der Verein "in einem nicht enden wollenden Frustrationskreislauf" befinde.

Zur Verteidigung der ernüchternden Ergebnisse verwies Benítez auf die "finanziellen Restriktionen" des Klubs. Er könne die "Enttäuschung der Fans" verstehen, weil "wir selbst auch enttäuscht sind". Eine schnelle Lösung für die Probleme des FC Everton ist wohl nicht in Sicht. Allerdings bietet das Duell mit dem Erzrivalen Liverpool immerhin für Rafael Benítez die Chance, mit einem Sieg die Fans für sich zu gewinnen.

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