Europäischer Fußball:Es droht ein englisches Zeitalter

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Machen die britischen Vereine den Gewinn der Champions League in den kommenden Jahren unter sich - und mit den Pariser Globetrotters um Lionel Messi - aus? (Foto: Manu Fernandez/AP)

Die Premier-League-Klubs haben nicht nur Geld, sondern nun auch Expertise. Ausgerechnet PSG unterhält womöglich das einzige Team, das die britische Dominanz verhindern könnte.

Kommentar von Philipp Selldorf

Das Magazin Promiflash traf unlängst den richtigen Ton, als es seinen Lesern im Anschluss an den Bericht über Marco Verrattis Hochzeit in Paris Vorschläge zur Bewertung der Veranstaltung machte. Die große Mehrheit klickte folgende Kommentarvariante an: "Der Hammer - ich würde auch gern mit solchen Stars feiern."

Verratti, der kleine italienische Mittelfeldspieler mit den bestechend blauen Augen, beging den glanzvollen Tag unter anderem mit den Kollegen Kylian Mbappé und Zlatan Ibrahimovic, während Carla Bruni, ehedem Frankreichs First Lady, zu Gitarre und Klavier ihre wunderbaren Weisen vortrug. Spätestens in diesem Moment hat sich ein weiterer Hochzeitsgast, ein gewisser Julian Draxler, möglicherweise gedacht: Gut, dass ich jetzt nicht in Leverkusen-Küppersteg sein muss. Oder gar in den Fängen von Hertha BSC.

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Von Christof Kneer

Am Rande von Lionel Messis Transfer zu Paris Saint-Germain fand Draxler in den medialen Betrachtungen vor allem als bedauernswerte Person Erwähnung. Dem 27-jährigen, zurzeit ehemaligen Nationalspieler, drohe eine Saison auf der Ersatzbank, hieß es, und dass dies nun die Strafe dafür sei, den Vertrag mit PSG zu verlängern, anstatt sich den Bewerbern Bayer Leverkusen oder Hertha BSC anzuschließen, wo er ein wichtiger Spieler hätte werden können. Der Trainer a. D. Markus Babbel argwöhnte: "Ich habe das Gefühl, er ist zufrieden mit dem, was er hat." Damit könnte Babbel durchaus recht haben.

Es ist gut möglich, dass Draxler demnächst öfter zuschauen muss, wenn PSG spielt, aber eines Tages kann er seinen Enkeln erzählen, dass er auf Verrattis Hochzeit mit den Stars gefeiert hat, und dass er Teil der wahrscheinlich faszinierendsten Zirkustruppe der jüngeren Fußballgeschichte war. Jenseits der Bedenken um Wettbewerbsgleichheit und moralischen Einwände gegen das dekadente Pariser Gebaren bleibt ja festzuhalten, dass PSG mit Lionel Messi das womöglich einzige Team unterhält, das im Europacup die sportliche Ehre des Kontinents gegen die englische Vorherrschaft verteidigen könnte.

Die Zeiten, in denen die Briten planlos ihre Reichtümer verteilten, sind vorbei

Im Vergleich mit der Premier League hat in diesem Transfersommer nicht nur die Bundesliga an Minderwertigkeitskomplexen gelitten. Italien, Spanien, Frankreich - jede dieser Ligen dient den Engländern bei Bedarf als Einkaufszentrum. Zum Leid der Betroffenen sind die Zeiten aber vorbei, in denen die Briten planlos ihre Reichtümer verteilten und zum Beispiel 44 Millionen Euro für den Angreifer Joelinton an Hoffenheim bezahlten. Inzwischen wissen sie auszuwählen, der Einzug internationaler Spitzentrainer hat auch die Qualität des sportlichen Managements gehoben. Von englischen Subventionen für Europa kann in der Corona-Finanzkrise auch keine Rede sein: Für Transfers von Lukaku (Inter Mailand), Romero (Bergamo) und Sancho (Dortmund) bewegten Chelsea, Tottenham und Manchester United rund 250 Millionen Euro, doch die Verkäufer brauchen das Geld zum Ausgleich ihrer Corona-Verluste. Die hat es auf der Insel zwar auch gegeben, aber sie haben die Budgets der führenden Klubs wenig beeinträchtigt.

Zudem ist sich die englische Liga inzwischen selbst genug: Infolge ihres kommerziellen Vorsprungs konzentriert sie Topspieler aus aller Welt und bildet damit ihren eigenen Markt. Zusätzlich bringen die gut geführten, luxuriös ausgestatteten Nachwuchsakademien Stars wie Jack Grealish hervor. Dessen Seitenwechsel brachte Aston Villa 118 Millionen Euro ein, die der Klub mehrheitlich ligaintern reinvestierte.

Europas Fußball könnte ein englisches Zeitalter bevorstehen. Schon in der vorigen Saison waren die beiden Europacups eine englisch geprägte Veranstaltung, vier Klubs standen in vier Halbfinals. Das Nationalteam erreichte das EM-Endspiel, erst Verrattis Italiener vermochten es aufzuhalten. Ob sich nun die europäische Union der Abgehängten ausgerechnet von Paris Saint-Germain retten lassen möchte?

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