Süddeutsche Zeitung

Fußball-Politik:Piraten vor Katar

Seit Wochen kämpft Gianni Infantino um eine Klub-WM, die kaum einer will. Wie stark ist der Fifa-Boss mit den Geldgebern vernetzt, die sich sich auf dem Markt platzieren wollen?

Von Thomas Kistner

Am Ende wurde es den Managern bei BeIN-Sports doch zu bunt. Über Monate mussten die Fernsehmacher in Katar mitverfolgen, wie ein mysteriöser neuer Sender ihre Fußballübertragungen aus Europas Ligen kapert und mit kurzer Zeitverzögerung an eigene Zahlkunden ausstrahlt. Ein Piratensender, das verrät auch dessen plumper Name "beoutQ", reißt sich das teuer bezahlte Rechtematerial des Senders in Doha unter den Nagel. BeIN, be out: Gesteuert wird die unfreundliche Übernahme angeblich aus Saudi-Arabien.

BeIN-Manager haben sich vielerorts beschwert, bis zur Welthandelsorganisation WTO. Wie die SZ erfuhr, wandten sie sich auch an Rechtevergeber, an Europas Fußball-Union Uefa und den Weltverband Fifa. Die Uefa kündigt nun harte Schritte an. Man werde "nächste Woche juristische Maßnahmen ergreifen", teilt ein Uefa-Spitzenfunktionär der SZ mit. Die Fifa wich konkreten Fragen zum Piratensender aus und erklärte blumig: Sie nehme "Verstöße gegen ihr geistiges Eigentum sehr ernst" und kooperiere mit Lizenznehmern global, um "Probleme wie illegales Streaming und nicht autorisierte Übertragungen zu bekämpfen". Auch im Mittleren Osten.

Das Signal des illegalen Streamings lässt sich wohl nach Saudi-Arabien zurückverfolgen

Was aussieht wie ein dreister Fall von Schwarzkopiererei, hat massive politische Hintergründe. Saudi-Arabien, faktisch unter Regie von Kronprinz Mohammed bin Salman, 33, reißt die Führungsrolle in der Golfregion an sich. Gemeinsam mit Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain boykottiert Riads Regierung Katar. Dessen einzige Landesgrenze, die zu Saudi-Arabien, ist seit Juni 2017 geschlossen. Katar unterstütze Terroristen, lautet die Begründung für die Blockade.

Doch der wirtschaftliche Boykott traf Katar nicht so schwer, wie von den Blockierern erhofft. So zielten Riad und Alliierte immer stärker auf den Fußball: Auf die WM 2022, die in Katar stattfinden soll. Das offenbarte im Herbst sogar ein Tweet, den der Generalleutnant Dhahi Khalfan absetzte: "Wenn die WM Katar verlässt, wird auch die Krise vorbei sein (... ), weil sie dafür geschaffen wurde." Khalfan leitet den Geheimdienst der VAE, Katars Intimgegner. Doha konterte, die WM sei so wenig verhandelbar "wie unsere Souveränität".

Zur selben Zeit begann die Guerilla-Aktivität des Senders "beoutQ", die New York Times berichtete zuerst darüber. Demnach habe BeIN das Signal nach Riad zurückverfolgen können, zum dortigen Satellitendienst Arabsat. Hauptinvestor ist der Staat. Arabsat habe es abgelehnt, den Satellitenplatz zu räumen; der betreffende Kunde bestreite jede Verbindung mit beoutQ. Dass auf der Firmenwebsite ein kolumbianisch-kubanisches Besitzerkonsortium aufgeführt ist, nährt jedoch nicht die Glaubwürdigkeit von beoutQ.

Doch es geht hier nicht nur um Intrigen, regionale Eifersüchtelei und technisch hochversierte Abkupferei. Die TV-Posse wird zum Politikum. Mit einem Angriff auf das Piratennest setzt die Uefa auch die Fifa unter Druck, die bisher offenbar nichts unternahm. Und das ist just in diesen Tagen pikant. Fifa-Boss Gianni Infantino versucht geradezu besessen, neue Milliardenquellen für den Weltverband aufzutun, es geht auch um seine Wiederwahl 2019. Diese Versuche fußen auch auf saudische Unterstützer. Kurz vor Weihnachten war er nach Riad gereist, um mit König Salman, 83, "Kooperationsfelder" zwischen Fifa und der saudischen Sportbehörde GSA auszuloten. Offenbar erfolgreich.

Drei Monate später, beim Fifa-Ratstreffen in Bogota, überrumpelte der Boss die Vorstände mit einer 25-Milliarden-Dollar-Offerte, die ein Konsortium bezahlen wolle. Leider dürfe er die scheuen Gönner nicht nennen, es gebe eine Schweigeklausel, erzählte Infantino. Außerdem gewährten die mysteriösen Unbekannten nur 60 Tage Bedenkzeit. Bezahlen wollen sie für 49-prozentige Anteile an Fußball-Events, die es noch nicht gibt: eine reformierte Klub-WM im Vierjahresturnus und eine Weltliga der Nationalteams alle zwei Jahre; beides angelegt über zwölf Jahre.

Beim Werben um Mitstreiter für die Klub-WM erhielt Infantino soeben die vierte Abfuhr

Sollte Infantino gehofft haben, dass den Funktionären allein angesichts der Summe nur noch Dollarzeichen in den Augen blinken, hat er sich geirrt. Die Fifa-Räte, stark irritiert, erteilten ihm eine Abfuhr. Seitdem versucht der Boss wie ein fahrender Händler, seinen Coup durchzuboxen - wobei immer mehr Eingeweihte seinen rasenden Ehrgeiz hinterfragen. Denn überall holt er sich Körbe: Die Klub-Vereinigung ECA wies ihn ab; eine Dringlichkeitssitzung für alle Präsidenten der Erdteil-Verbände geriet zur Blamage, weil abgesehen von Infantinos südamerikanischem Getreuen Alejandro Dominguez nur Generalsekretäre vorbeischauten. Am Dienstag lief Infantino beim World Leagues Forum vor die Wand. Der Ligen-Dachverband lehnt alles ab, was den überlasteten Spielkalender weiter aufbläht, und schob eine gefährliche Logik in den Raum: Wenn, wie im Geheimplan vorgesehen, 75 Prozent der Milliardenerlöse der Klub-WM an die 24 Teilnehmerteams gingen, würde das die ohnehin wettbewerbsgefährdende Dominanz der wenigen wohlhabenden Klubs noch viel stärker fördern.

Infantino bleibt stur, Branchenbeobachter stimmt das misstrauisch. Der Fifa-Autokrat fiel ja bisher nie als Wohltäter des Fußballs auf, nun kämpft er um ein skurriles Projekt, dessen Betreiber er nicht mal seinen Vorständen offenlegt. Am Mittwoch bat er sieben europäische Topklubs nach Zürich, darunter den FC Bayern. Es kam zu keiner Vereinbarung.

In Uefa-Kreisen wird immer besorgter darüber spekuliert, wie eng Infantino, der nach der Fifa-Reform von 2016 ja kein operativer Präsident mehr ist, mit den stillen Geldgebern vernetzt sein könnte. Dieses Konsortium für zwei bessere Freizeitformate (Klub-WM, Nations League) versammelt nach bisheriger Kenntnis die aufstrebenden Kräfte im Weltfußball. Neben den Saudis sollen die VAR, China und die USA dabei sein, dazu die japanische SoftBank.

Dazu passt die seltsame Zurückhaltung der Fifa in Hinblick auf den Piratensender am Golf. Die New York Times beschreibt einen Masterplan: Demnach untersagte Riad im Herbst den Verkauf von beIN-Sendeboxen und die Bezahlung von BeIn-Abos, dann hätten prominente Landsleute die beoutQ-Website in sozialen Netzwerken beworben. Im Oktober ging es los: Mit zehn hochauflösenden Kanälen, zu denen nur Internetnutzer in Saudi-Arabien Zugang haben für 100 Dollar Jahresprämie - mit Exklusivmaterial von BeIn Sports.

Screenshots des Champions-League-Halbfinales AS Rom gegen Liverpool von vergangener Woche zeigen nun tatsächlich neben dem beoutQ-Logo auch bereits das Signet der WM in Russland; zugleich soll den Kanal-Kunden die Live-Übertragung aller 64 WM-Spiele angekündigt worden sein. Das muss Alarm in Zürich auslösen. Auch Saudi-Arabien ist WM-Teilnehmer, in derselben Gruppe wie Gastgeber Russland. Der Piratensender am Golf könnte die Anspannungen zwischen Fifa und Uefa, die mit der Champions League über vier Jahre dreimal so viel Geld (15 Milliarden Euro) erlöst wie die Fifa mit ihrer WM, endgültig aufbrechen lassen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3975717
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.05.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.