Newcastle United in der Premier League:Überraschung am Ende einer kuriosen Suche

Crystal Palace v AFC Bournemouth - Premier League - Selhurst Park Bournemouth manager Eddie Howe appeals to the fans af

Die Chance seines Lebens: Eddie Howe, 43, ist neuer Trainer von Newcastle United.

(Foto: Tess Derry /PA Images/Imago)

In Eddie Howe präsentiert Newcastle United einen neuen Trainer, mit dem keiner gerechnet hat. Die Personalie ruft in England Amüsement hervor. Der mit saudischen Öl-Millionen neuerdings schwerreiche Klub befindet sich derweil akut in Abstiegsgefahr.

Von Sven Haist, London

Auf der Suche nach einem neuen Trainer hat Newcastle United am Montag einen Nachfolger für den vor drei Wochen entlassenen Steve Bruce präsentiert. Auf der Insel war wegen des sich in die Länge ziehenden Prozesses bereits gewitzelt worden, dass der Klub eventuell gar nicht mehr fündig werden würde und letztlich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman einspringen müsste. Der Wüstenmonarch steht dem auf eine halbe Billion Euro taxierten Staatsfonds seines Landes vor, das vor einem Monat auch Newcastle ins Geschäftsportfolio geholt hat. In diesem Fall wäre es spannend zu wissen gewesen, ob Thronfolger bin Salman, erheblich kritisiert wegen massiver Missachtungen der Menschenrechte im Wüstenstaat, versucht hätte, das Team ähnlich autokratisch zu führen, wie er bisweilen mit der eigenen Bevölkerung umgeht.

Stattdessen übernimmt die freie Stelle bei United jetzt der seit einem Jahr vereinslose Eddie Howe, vorher beim FC Burnley und dem AFC Bournemouth tätig. Das Amüsement dieser Personalie liegt darin, dass Newcastle diesen Trainer schon direkt hätte verpflichten können, als die Position im Oktober vakant wurde. Der Guardian stuft die Ernennung deshalb als "beunruhigend" ein, was weniger auf Howes Fähigkeiten zurückzuführen sei als auf den Einstellungsprozess.

Als einzig siegloser Verein in den ersten vier englischen Profiligen steht Newcastle nach elf Spieltagen am Tabellenende

Nach dem Abschluss der Vereinsübernahme, die von langer Hand geplant, in der finalen Phase aber überraschend zügig vollzogen worden war, wollte Newcastle sofort oben angreifen. Doch mittlerweile haben die Klublenker zu spüren bekommen, dass sie erst einmal unten anfangen müssen. Als einzig siegloser Verein in den ersten vier englischen Profiligen steht Newcastle nach elf Spieltagen punktgleich mit Aufsteiger Norwich City am Tabellenende.

Erst zwei Klubs, den Blackburn Rovers (1996) und Derby County (2000), ist es in der Historie der Premier League gelungen, mit derselben Bilanz noch den Klassenverbleib zu schaffen. Trotz der Freistellung von Bruce (mit 60 Jahren und 1000 Profispielen einer der erfahrensten Trainer der Premier League) nach lediglich einer Partie unter der neuen Vereinsführung, einem desolaten 2:3 im Duell mit Tottenham Hotspur, kam Interimscoach Graeme Jones ebenfalls nicht über zwei Remis in drei Spielen hinaus. Zuletzt gab es ein 1:1 in Brighton.

Entgegen der Annahme, sich als plötzlich vermögendster Klub der Welt einfach den gewünschten Trainer auswählen und mit Öl-Millionen kaufen zu können, wiesen die angefragten Kandidaten ein Engagement zurück. Auf der 20-köpfigen Auswahlliste standen unter anderem: Mauricio Pochettino, Antonio Conte, Lucien Favre, Roberto Martínez, Rafa Benítez, Brendan Rodgers und Paulo Fonseca. Sowie Unai Emery, der als Trainer des FC Villareal in der Vorwoche ablehnte.

Die Gespräche mit Emery waren rund um Villareals wichtiges Champions-League-Spiel gegen Bern in die Medien geraten, was den Spanier abgeschreckt und dessen Klub verärgert haben soll. Erst als der Deal platzte, erhielt Howe schließlich den Zuschlag. In der Pressemitteilung erklärte Miteigentümerin Amanda Staveley jetzt überschwänglich, dass Howe im "strengen" Auswahlverfahren "unglaublich" beeindruckt habe und "hervorragend" zur zukünftigen Ausrichtung des Klubs passe.

Newcastle United in der Premier League: Nominell für das Tagesgeschäft zuständig: Amanda Staveley.

Nominell für das Tagesgeschäft zuständig: Amanda Staveley.

(Foto: Lindsey Parnaby/AFP)

Für Howe, 43, geboren in Amersham am nordwestlichen Rand von Greater London, ist Newcastle wiederum die Chance seines Lebens. Nach mehr als 300 Profieinsätzen für Bournemouth führte er den Verein von der Südküste in zwei Amtsperioden (2009-2011 und 2012-2020) aus der vierten in die erste Liga. Dort etablierte Howe ihn für fünf Spielzeiten mit einem innovativen, erfrischend offensiv ausgerichteten Spielstil, ehe der Abstieg seinen bis dahin einwandfreien Ruf beschädigte. Auch weil seine Mannschaft damals jede Spielzeit mit mehr als 60 Gegentreffern abschloss - und einem negativen Torverhältnis im zweistelligen Bereich. Selbst in der Saison 2016/17, der besten Runde der Klubhistorie, kassierte das neuntplatzierte Bournemouth 67 Gegentore.

An sich Schnee von gestern, jedoch nicht unter dem Umstand, dass Newcastle mit Norwich zusammen die mit Abstand durchlässigste Abwehr der Liga besitzt. Die Times stellte bereits in Frage, ob Howe tatsächlich "der Mann" sei, um die anfällige Verteidigung zu beheben. Immerhin kennt Howe mit Matt Ritchie, Ryan Fraser und Torjäger Callum Wilson (vier Ligatore in sieben Spielen) drei Stammkräfte des Teams aus seiner vorherigen Station. Sein Wirken in Newcastle wird auch Auswirkungen haben auf den Ruf der aktuellen englischen Trainergeneration: Bis auf den ehemaligen Mittelfeldstar Frank Lampard (FC Chelsea) hat noch kaum einer die Möglichkeit erhalten, einen anerkannten Spitzenverein zu führen.

Diese Suche nach einem Sportchef dauert an - ein Fingerzeig für die Komplexität, den Kader zeitnah zu verstärken

Newcastles in Erwägung gezogene Trainerkandidaten, deren Profile sich markant unterscheiden, liefern derweil einen Einblick in die offenkundige Planlosigkeit der umstrukturierten Führungsriege. Dabei müssen die Ideen des als saudischer Statthalter fungierenden Vorsitzenden Yasir Al-Rumayyan sowie die der weiteren Direktoren Amanda Staveley und Jamie Reuben in Einklang gebracht werden, die jeweils über ihre Investmentfirmen mit zehn Prozent an Newcastle beteiligt sind.

Nominell ist Staveley mit ihrem Ehemann Mehrdad Ghodoussi fürs Tagesgeschäft verantwortlich. Dem Vernehmen nach haben die drei Parteien bereits über den Kaufpreis (circa 350 Millionen Euro) hinaus einen weiteren stattlichen Millionenbetrag in den Klub geschossen. Nicht etwa für mögliche Zugänge, sondern um laufende Kosten zu decken. Als nächstes steht wohl die Einstellung eines Sportchefs an; Favorit ist Chelseas jahrelanger Technischer Direktor Michael Emenalo. Diese Suche dauert ebenfalls schon länger als erwartet und dürfte ein weiterer Fingerzeig sein für die Komplexität, den Kader zeitnah zu verstärken.

Denn die Konkurrenz ist kaum gewillt, an Newcastle die besten Kräfte abzugeben - und aus dem Ausland werden sich Spieler wohl genau fragen, ob sie sich wirklich einem Verein anschließen wollen, der aufgrund seiner Eigentümer umstrittener ist als jeder andere. So gesehen muss Newcastle United jetzt fast froh sein, überhaupt einen Trainer gefunden zu haben.

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