Fußball-Nationalmannschaft:Juwel aus dem Affenkäfig

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Ein bisschen Icke Häßler, ein bisschen Uwe Bein: Der 20-jährige Mesut Özil prägt mit seinem Talent und seiner Technik den Testspiel-Erfolg über Südafrika.

Philipp Selldorf

Gleich nach dem Schlusspfiff reichte Mesut Özil sein Trikot an den auffallend rasch vorstellig gewordenen Gegenspieler Siboniso Gaxa weiter. Zum Vorschein kam nach der fälligen Entkleidung ein blasses, schmächtiges Körperchen, das nun schwer zu tragen haben wird an den abrupt in die Höhe geschossenen Erwartungen und Hoffnungen eines ganzen Fußball-Landes.

Dem ist dafür aber kein Vorwurf zu machen: Özils Auftritt beim 2:0-Sieg der Nationalelf gegen Südafrika offenbarte eine Brillanz, die in manchen Momenten das deutsche Spiel buchstäblich erleuchtete. Mitspieler und Kommentatoren überboten sich im Lob für seine Leistung, sie konnten gar nicht anders. Einen "Spielertyp, den Deutschland lange nicht hatte", erkannte zum Beispiel Mario Gomez, was dem Staunen eine historische Beziehung verpasste, die sich aufdrängte.

Ein wahrer Zehner

Özil, 20, bestreitet zwar neuerdings auf Empfehlung seines Bremer Vereinstrainers Thomas Schaaf ein Sonderprogramm zur Stärkung der Bauch- und Rückenmuskulatur, und er versichert beflissen, dass er dadurch "ein paar Kilo zugenommen" habe. Aber erstens gibt er auf Nachfragen zu, dass es in Wahrheit bloß zwei Kilo waren, und zweitens braucht er jetzt wohl mehr als Muskelkraft, um mit den Sehnsüchten fertig zu werden, die er geweckt hat. Sein Trikot trug die Nummer 22, doch auf einmal waren sich alle darüber einig, dass die deutsche Elf den Sieg einem wahren Zehner verdankte - einem klassischen Regisseur moderner Prägung. Und auf diese sakrosankte Spielfigur hat man hierzulande ungefähr seit den Zeiten des großen, kleinen Thomas Häßler verzichten müssen.

Wobei Özils Fertigkeiten auf vielerlei Vorfahren verweisen: Von Häßler etwa hat er die erfüllte Liebe zum Ball und von Uwe Bein, einem anderen Ahnen der DFB-Familie, die Fähigkeit, mitten durch die unruhig umeinanderlaufende Menge die Bahn für den finalen Pass zu finden. "Er spielt Pässe aus dem Fußgelenk, die sehr einfach aussehen, aber ganz, ganz schwierig sind", stellte Bundestrainer Joachim Löw bewundernd fest.

In der Liste seiner frühen Vorbilder steht Häßler an vorderer Stelle, wie Mesut Özil erzählt, auch Mario Basler kommt vor, aber das große Idol seiner Jugend war Zinedine Zidane. Dessen Tricks hat er gleich auf der Straße ausprobiert, nachdem er sie im Fernsehen gesehen hatte. Oft haben ja die Experten kulturpessimistisch das Aussterben der Straßenfußballer beschworen, aber was wissen schon die Experten? Özil, in Gelsenkirchen-Bismarck aufgewachsen, hat seine Talente auf einem Bolzplatz in der Nachbarschaft entwickelt, den die Kinder "Affenkäfig" nannten, weil ringsum Zäune das Feld abschirmen, der Ball bleibt somit immer im Spiel. Asche bildet den Untergrund, die Tore haben keine Netze. Nach Mittagessen und Hausaufgaben ging es raus, sie spielten Fünf gegen Fünf oder Alte gegen Junge, sein zwei Jahre älterer Bruder Mutlu gehörte dann zu den Alten.

Ein echter Straßenfußballer

Die Belegschaft war international: "Bosnier, Türken, Libanesen, auch Deutsche" fallen ihm spontan ein. Sein Talent machte ihn schon im Affenkäfig zur Ausnahme, spätestens wenn er dort Zidanes Tricks vorführte, "bei mir ging das relativ schneller als bei den Anderen", sagt Özil, als ob er ein Geständnis ablegte. Charakterlich ist er alles andere als ein Aufschneider. Den Umgang mit Presse und Öffentlichkeit hat er auf Betreiben seiner Berater gerade zu lernen begonnen.

Die Vereinslaufbahn begann Özil mit sieben Jahren bei Westfalia 04 Gelsenkirchen, als A-Jugendlichen warb ihn Schalke 04 später bei Rot-Weiß Essen ab. Sein Vater Mustafa hat ihn auf allen Plätzen begleitet, "er war immer da: Spiele gucken, Training gucken, er hat mich immer unterstützt", sagt der Sohn. "Eher locker" sei sein Vater gewesen, meint Mesut Özil, aber in Schalke haben sie sich beklagt über die Einflussnahme des Seniors. Im Streit mit Vater Mustafa kam es zur Trennung, unter hässlichen Umständen. Bild polemisierte heftig gegen den 19-Jährigen, ausdauernd prangerten sie ihn als "Gierig-Profi" an. Kommt die Rede auf diese harte Zeit, erwidert der Betroffene automatisch eine schützende Floskel: "Dazu will ich nichts sagen, das Kapitel ist abgeschlossen." Im Januar 2008 verkaufte Manager Müller den von allen als Juwel gepriesenen Spieler für 4,8 Millionen an Werder - inzwischen steht er bei Vereinen wie Manchester United ganz oben auf der Liste der meistgesuchten Deutschen. In Schalke weinen sie immer noch; sogar die, die ihn seinerzeit als "Gierig-Profi" verfemten.

Ein zurückhaltender Junge

Bei der deutschen Nationalelf stellt Özil den Bundestrainer jetzt vor die Aufgabe, ein System zu finden. Den prächtigen Neuling einzubauen kann nur auf Kosten eines etablierten Spielers gelingen, den Löw entweder im Angriff oder auf einer Außenposition im Mittelfeld opfern wird. Die Anweisungen an Özil scheinen dabei denkbar einfach zu sein. Von Michael Ballack bekam er in Leverkusen die Order: "Mach dein Spiel, Junge." Während der Partie erteilte der Kapitän weitere Befehle aus dem Hintergrund. "Ich denke, dass er mich gut gecoacht hat", bedankte sich Özil. Sein Tor zum 2:0 widmete er Vorlagengeber Miroslav Klose, "ich musste nur noch einschieben". Das war keine Koketterie, denn die Befriedigung über seinen starken Auftritt hat Özil nicht geleugnet.

Die Kinder, die heutzutage im Affenkäfig in Gelsenkirchen-Bismarck Fußball spielen, werden das mit Freuden hören. Mesut Özil guckt regelmäßig auf dem Bolzplatz zu, wenn er Familie und Freunde besucht. Mitspielen will er aber nicht mehr, er fürchtet eine Verletzung. Als Profi ist ihm die Straße zu gefährlich geworden.

© SZ vom 07.09.2009/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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