Fußball-Nationalmannschaft:Ein kleiner Schritt in Richtung Moskau

Joachim Löw experimentiert beim 2:0 gegen Südafrika mit Personal und Taktik. Er sieht einen starken Özil, gute Paraden von Adler, aber auch viele Steigerungsmöglichkeiten.

Johannes Aumüller

Da ist der deutsche Nationalstürmer, der gerade mal wieder eine kleine Krise durchläuft und im Verein nur noch Ersatz ist, weil sein Klubtrainer auf ein 4-3-3 umgestellt hat und nur noch einen Mittelstürmer benötigt. Da ist der Gegner, der bei aller Wertschätzung nun wirklich nur das Prädikat zweitklassig verdient und zudem auch noch ersatzgeschwächt ist. Und da ist die Konstellation, dass sich der deutsche Nationalstürmer und der zweitklassige Gegner nicht in einem Pflichtspiel, sondern in einem Freundschaftskick gegenüberstehen, was so ziemlich jeden Druck vom kriselnden Nationalstürmer nimmt.

Fußball-Nationalmannschaft: Philipp Lahm (rechts) im Zweikampf mit Bernard Parker.

Philipp Lahm (rechts) im Zweikampf mit Bernard Parker.

(Foto: Foto: AP)

Alle Fußball-Beobachter hatten damit gerechnet, dass Miroslav Klose gegen Südafrika so etwas wie sein Seelsorge-Spiel bekommen würde; die Chance, sich mit ein, zwei Toren all des aufgestauten Bayern-Frustes zu entledigen. Doch als am Samstagabend in Leverkusen die beiden Mannschaften den Rasen betraten, befand sich Klose dort, wo er sich zuletzt beim FC Bayern auch befand: auf der Bank. Erst nach der Pause kam der 31-Jährige in die Partie, und der 45-Minuten-Einsatz war zu wenig Zeit für einen kompletten Seelsorge-Einsatz. Klose traf nicht mehr, bewegte sich aber viel und bereitete immerhin den 2:0-Endstand durch den herausragenden Mesut Özil (77.) vor; vor der Pause hatte Mario Gomez das 1:0 erzielt.

"Wir hatten viele gute Ansätze und einen viel besseren Spielfluss als zuletzt. Wir hatten einige junge Spieler dabei, insbesondere Mesut hat viel Kreativität ins Spiel gebracht", sagte Löw. Der Bundestrainer hatte eine Startaufstellung gewählt, die nicht nur mit Blick auf dem anfänglichen Verzicht auf Klose überraschend war. Im Tor stand zwar verabredungsgemäß der Leverkusener Lokalmatador René Adler, in der Abwehr aber verzichtete Löw auf Per Mertesacker und brachte für ihn Arne Friedrich, und im defensiven Mittelfeld durfte an der Stelle des erwarteten Thomas Hitzlsperger der Leverkusener Simon Rolfes ran. Und zwischen Rolfes und der einzig verbliebenen echten Spitze Mario Gomez tummelten sich gleich vier offensiv orientierte Mittelfeldspieler: Michael Ballack, Mesut Özil, Marko Marin und Bastian Schweinsteiger.

Ob sich aus diesem Offensiv-Personal nun ein System mit einer, zwei oder drei Spitzen formieren sollte, war die systemtheoretisch spannende Frage - und Löws Personal-Auswahl sorgte immerhin für so viel Verwirrung, dass sich ZDF-Experte Oliver Kahn vor der Partie zur gewagten These verstieg, Deutschland spiele wohl in einem 4-4-3-System. Zum Kahnschen Elf-Feldspieler-Modell kam es in den 90 folgenden Minuten natürlich nicht, aber sonst zu ziemlich vielen Formationen. Mal zeigte sich die DFB-Elf in einem 4-5-1, mal in einem 4-4-2, dann wieder in einem 4-3-3 (da wird Klose besonders hellhörig) - mangelnde taktische Flexibilität konnte der Löw-Elf niemand absprechen, zumal die Offensivkräfte phasenweise auch noch fleißig rochierten. "Wir haben ein bisschen Abwechslung gebraucht, ich denke, es hat ganz gut geklappt", sagte Kapitän Michael Ballack.

Viel entscheidender als die Verwirrung des ZDF-Experten Kahn war ja ohnehin die Verwirrung, die sich in der südafrikanischen Hintermannschaft zeigte. Die offensive Grundausrichtung zahlte sich zunächst aus: Die Deutschen begannen schwungvoll und hielten den Ball mit präzisen Flachpässen in den eigenen Reihen. Marko Marin tat sich auf der linken Seite mehrfach mit cleverer Balleroberung hervor, und schon in der Anfangsphase kam die Löw-Elf durch Marin (4.) und Gomez (7.) zu zwei ordentlichen Chancen.

Allerdings dauerte die südafrikanische Verwirrungs- und die deutsche Schwungphase nur eine knappe Viertelstunde. Südafrika stellte sich besser auf der Gegner ein, die deutsche Elf blieb bemüht, erspielte sich aber kaum gefährliche Szenen. Nach 28 Minuten kamen die Gäste zu ihrer ersten kleinen Chance: Verteidiger Siboniso Gaxa setzte einen Fernschuss knapp neben das Tor. Und als der Auftritt der DFB-Elf gerade in die Gefahr geriet, ähnlich krampfig zu wirken wie zuletzt in Aserbaidschan, in China oder gegen Norwegen, ging sie in Führung: Özil bediente Michael Ballack, dessen flache Hereingabe Mario Gomez nur noch über die Linie schieben musste (35.).

Beinahe wäre im Gegenzug schon der Ausgleich gefallen. Abwehrspieler Friedrich dachte sich wohl, dass René Adler - wenn der schon vor heimischem Publikum im Tor stehen darf und zuletzt ziemlich deutlich seine Stammplatz-Ambitionen kundtat - doch eine Chance erhalten müsse, sich irgendwie auszuzeichnen. Also köpfte Friedrich eine Flanke ziemlich präzise in Richtung eigenes Gehäuse, was den bis dahin beschäftigungslosen Adler auch tatsächlich zu einer Parade zwang.

Nach der Pause kamen neben Klose auch Lukas Podolski und Heiko Westermann, später noch Sami Khedira, Christian Gentner und Piotr Trochowski. Mit den Wechseln änderte sich im Spiel der DFB-Elf aber nichts Strukturelles. Die Deutschen hatten die Partie im Griff, standen in der Defensive bis auf zwei Ausnahmen, in denen Adler hervorragend parierte, sicher und zeigten bisweilen feine Einzelaktionen, durch die sie zu Chancen für Podolski, Schweinsteiger und Ballack (Kopfball an den Innenpfosten) kamen. Nie geriet der Sieg ernsthaft in Gefahr, aber nur sehr selten zeigte die Elf das Spieltempo und den Spielwitz, den Löw von ihr erwartet - wie zum Beispiel vor dem 2:0, als Özil eine Ballstafette über Schweinsteiger und Klose abschloss.

Gegen eine Mannschaft wie Südafrika reichte der Auftritt zwar zu einem 2:0. Doch es gibt noch genügend Steigerungsmöglichkeiten, und im wohl entscheidenden Spiel um den Gruppensieg gegen Russland am 10. Oktober befinden sich in den Reihen des Gegners Spieler von anderer Qualität. Ob da eine solche Leistung wie die vom Samstagabend ausreicht, ist fraglich - Löw weiß, dass er und seine Elf bis zu dieser Partie in Moskau noch viel Arbeit vor sich haben. Das Spiel gegen Südafrika war nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

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