Fußball-Nationalelf:Im Rücken entwischt

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Wer verteidigt neben Per Mertesacker? Die Besetzung der Innenverteidigung könnte schicksalhaft sein für die Zukunft der DFB-Elf, die in Südafrika Weltmeister werden will.

Philipp Selldorf

Seit diesem Sommer amtiert Heiko Westermann, 26, als Spielführer seiner Mannschaft. "Es macht einen stolz, Kapitän von Schalke 04 zu sein", sagt er, fügt allerdings im nächsten Moment ernüchternd hinzu: "Aber dadurch werde ich auch nicht besser spielen." Er sieht seinen neuen Rang offenbar nicht als Adelstitel, und schon gar nicht glaubt er, dass die Beförderung ihm Vorteile im großen deutschen Wettstreit der linken Innenverteidiger verschafft.

Die Wahrnehmung des Wettstreits der linken Innenverteidiger steht beim Publikum deutlich zurück hinter den viel beachteten Wahlkämpfen in Politik und Nationaltor. Weder bei Anne Will noch Maybrit Illner wird es Sendungen zu diesem Thema geben, und es ist schwer vorstellbar, dass eine Fernsehmoderatorin den Bundestrainer auffordert, nun aber endlich "die Hosen runter zu lassen", wie es die ZDF-Frau Katrin Müller-Hohenstein am Samstag bezüglich der Torwartfrage getan hat (Löw hat sie natürlich anbehalten).

Dabei ist die Innenverteidigung zweifellos schicksalhaft für die Ambitionen der Nationalelf, die in Südafrika Weltmeister werden soll. Ohne eine fugendichte Deckung wird es keinen Titel geben. Es gilt als ausgemacht, dass Per Mertesacker den Posten auf der rechten Seite erhält, aber sein Partner zur Linken ist noch nicht identifiziert worden. Serdar Tasci, Arne Friedrich und eben Westermann sind die Spitzenkandidaten, im Schatten tauchen aber auch die Namen der U21-Decker Jerome Boateng und Benedikt Höwedes auf, und fern am westlichen Horizont gibt auch Christoph Metzelder immer wieder Lebenszeichen von sich.

Der Wettbewerb der Abwehrmänner ist also noch vielfältiger als der unter den Torhütern, und allmählich gewinnt er an Dringlichkeit, wie die Partie gegen die eher harmlosen Südafrikaner abermals bewies. René Adler sollte sich bei seinen Vorderleuten dafür bedanken, dass er Pluspunkte im großen deutschen Torwartwettstreit sammeln konnte.

Alle eingesetzten Innenverteidiger mussten von Michael Ballack barsche Zurechtweisungen ertragen, zumindest Westermann hat ihm das aber nicht krumm genommen. "Das macht doch jeder Kapitän", meint er, "es gehört dazu, dass man mal jemanden aufweckt." In seinem Fall ging es um eine kleine Informationspanne: Ballack hatte sich beschwert, dass Westermann ihn nicht vor einem im Rücken entwischten Südafrikaner gewarnt hatte. Prompt kam der Gegner an den Ball, woran wiederum Westermann Mitschuld trug - er hatte zu viel Platz gelassen im Abstand zu Linksverteidiger Marcel Schäfer.

Für seinen Fehler sucht der grundsätzlich selbstkritische Schalker keine Ausflüchte, dabei hätte er Grund dazu. Im Zentrum der Abwehr ist ständiger Wechsel die Regel, von Spiel zu Spiel steht ein anderer Mann im Tor, bei den Innenverteidigern wird seit dem Sommer 2008 ebenfalls dauerrotiert. Ein sicherheitsgeprüftes Einspielen ist daher schwierig. Das Argument wischt Westermann jedoch beiseite. "Wir sind alle Profis genug und sollten wissen, wie wir zu stehen haben", findet er und verweist auf die jüngsten Trainingstage.

Er hält es außerdem für angebracht, dass Löw ein Testspiel zum Testen nutzt, was ihn wiederum glauben lässt, dass am Mittwoch im WM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan jenes Verteidigerpaar antritt, das am 10. Oktober in Moskau ins große Duell mit Russland gehen soll. Westermann spricht es nicht aus, aber man merkt ihm an, dass er kaum daran glaubt, von Löw als Partner für Mertesacker bestimmt zu werden. Tasci ist offensiv talentierter, aber defensiv noch etwas labil, und so ist wohl Arne Friedrich die solideste Wettempfehlung, der üblicherweise rechts postierte Berliner hat bereits versprochen, auf Linksverkehr umzuschalten: "Von der Körperdrehung her wäre das nur eine kleine Umstellung."

Beschwerden über den verlorenen Wettbewerb müsste Westermann dann daheim in Gelsenkirchen vortragen. Mit seinem Trainer Felix Magath hatte er vor der Saison verabredet, dass er in Schalke bis auf weiteres eine Position im Mittelfeld bezieht, derzeit pflegt er halblinks zu marschieren. Man habe "gemeinsam entschieden", betont Westermann, "und mir war klar, dass das meine Chancen in der Nationalmannschaft verschlechtert." Im Wahlkampf mit Friedrich und Tasci räumt er der Konkurrenz deswegen "leichte Vorteile" ein, aber er reklamiert auch Vorzüge, die ihm zumindest einen Kaderplatz sichern sollten.

"Ich bin eigentlich der einzige, der hinten alles spielen kann", sagt er. Von rechts bis links hat er die gesamte Abwehrreihe durchexerziert, bis tief hinein ins Mittelfeld reicht seine praktische Erfahrung. Nur als Torwart hat man ihn noch nicht gesehen, aber in dieser Kategorie werden ohnehin keine weiteren Kandidaten mehr zugelassen.

© SZ vom 08.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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