Fußball: Manipulationsskandal:"Es wissen alle elf Bescheid!"

Wie kauft man eine Mannschaft? Sind kriminelle Zocker fromm? Der neue Wettskandal bietet facettenreiche Erkenntnisse - schwer aber wird es, Betrug zu beweisen.

Hans Leyendecker

Wie kann man ein Fußballspiel am besten manipulieren? Kauft man den Torwart? Den Verteidiger? Den Schiedsrichter? Todsicher ist eine andere Methode: Man kauft die Mannschaft. Komplett. In den Akten der im neuen Wettskandal ermittelnden Bochumer Staatsanwaltschaft findet sich die Mitschrift eines im Juni abgehörten Telefonats zwischen dem Nürnberger Wettbetrüger Marijo C. und seinem Berliner Kumpanen Ante Sapina: "Es wissen alle elf Bescheid!"

Fußball: Manipulationsskandal: In manchen Spielen ist es den Manipulatoren angeblich gelungen, alle elf Spieler einer Mannschaft einzuweihen.

In manchen Spielen ist es den Manipulatoren angeblich gelungen, alle elf Spieler einer Mannschaft einzuweihen.

(Foto: Foto: dpa)

Die elf Bescheidwisser kickten für den bosnischen Erstligisten NK Travnik, der im Sommer angeblich wegen der Vorbereitung auf die Saison 2009/2010 - aber eigentlich zum Zweck des Wettbetrugs - in die Schweiz reiste und gegen Young Boys Bern oder Xamax Neuchatel verlor. Wenn man den Akten der Strafverfolger trauen darf (rund 550 Telefongespräche wurden in dem Sonderband "NK Travnik in der Schweiz" ausgewertet) waren alle eingebunden: "C. ist es gelungen, eine ganze Fußballmannschaft einschließlich des Trainers zu manipulieren", notierte ein Kriminalbeamter.

Bei der Vorbereitung der von den deutschen Zockern gesponserten Schweiz-Tour erklärte Travniks Sportdirektor besagtem Marijo C. die Vorgehensweise. Der Trainer werde der Mannschaft in der Kabine den Zweck der Begegnungen klarmachen: "Wir müssen jetzt drei bekommen und fertig!"

Das Verlieren klappte prächtig. Sie bekamen manchmal sogar mehr als drei. "Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht", hat Sepp Herberger einmal gesagt. Ach, Chef.

Die Ermittlungsakten aus Bochum erzählen, nach welchem Muster Wettbetrüger Spieler ansprechen oder nötigen und wie die Zocker nimmermüde nach interessanten Begegnungen Ausschau hielten. Sogar vor dem Kirchgang in Nürnberg hat der Kroate Marijo C. noch fix mit dem ebenfalls gläubigen Landsmann Sapina über Wettspiele gesprochen. C: "Ich muss jetzt in die Messe. Schick mir eine SMS - wenn es wichtig ist, komme ich raus." Dann fragte er den Berliner, ob der auch zum Gottesdienst kommen wolle. "Wie denn?", sagte Sapina.

Rein - raus. Das ist eigentlich die Methode der Bochumer Staatsanwaltschaft. Wer vor Weihnachten beim Verhör kräftig auspackt, kann vielleicht mit den Lieben daheim unterm Baum sitzen. So läuft das jedes Jahr. Die Vorweihnachtstage sind die beste Zeit für harte Ermittler. Mehr als ein Dutzend angebliche Wettbetrüger sitzen in Untersuchungshaft, und die Frage ist, ob einer von ihnen jetzt, in der staden Zeit, redet.

Aus Sicht der Bochumer Ermittler ist beispielsweise der aus Lohne/Niedersachsen stammende Nurettin G. ein interessanter Fall. Die Strafverfolger zählen den 34-Jährigen, der Spezialist für die türkischen Ligen war, zur Führungsebene der Zockerbande. Nurettin G. wurde in den Knast nach Köln-Ossendorf verbracht, seine Frau hat noch keine Besuchserlaubnis. "Die sollen weichgekocht werden", sagt ein Anwalt. Öffentlich geworden ist jedoch nur die Einlassung des früheren Spielers des VfL Osnabrück, Marcel Schuon. Der 24-Jährige, der zuletzt bei Drittligist SV Sandhausen kickte, war auch ein Zocker. Er hatte bei Nurettin G. Wettschulden und gab an, unter Druck gesetzt worden zu sein.

Auf der nächsten Seite: Was der Ahlener Torwart Sascha Kirschstein und der frühere WM-Torschützenkönig Davor Suker mit den Ermittlungen zu tu haben.

Live-Wetten von der Trainerbank

Die Zockerbande hatte ein Gespür für die Verführbaren des globalen Fußballgeschäfts. Wenn die in Mitschriften abgehörter Telefonate dokumentierten Einschätzungen zutreffen, ist in einigen Ländern Südosteuropas die Korruption auf dem Platz gewissermaßen systemimmanent. Bei näherer Betrachtung sind etliche der rund 200 aufgelisteten Fälle allerdings kaum oder nur schwer beweisbar. Die Beweismittel der Bochumer sind bislang fast nur abgehörte Gespräche - und am Telefon wird viel schwadroniert. Immer wusste einer ganz genau, wie der nächste todsichere Tipp zustande kommen könnte. Man war schließlich Fußballexperte mit Verbindungen - und hatte selbst ein paar Probleme.

Marijo C. beispielsweise hatte bei Nurettin G. rund 290.000 Euro Schulden und machte diesem klar, dass was Großes anrolle. So geriet Sascha Kirschstein, Torwart des Zweitligisten RW Ahlen, in Verdacht. Der Nürnberger C. kannte Kirschstein aus dessen Zeit bei Greuther Fürth und er erklärte am Telefon, mit dem sei vielleicht was zu machen - ein Freund. Nur von Kirschstein selbst findet sich nichts in den Akten.

Dennoch läuft gegen ihn ein Verfahren, weil er angeblich mit der Wettmafia zusammenarbeiten wollte und Geld für schlechte Torwartleistungen verlangt haben soll. Dabei wissen die Fahnder nicht einmal, ob es zu Manipulationen kam. Bei den in Rede stehenden Spielen war Kirschstein bester Mann der Ahlener. Kirschstein, dessen Fall jetzt der Spiegel meldet, hat schon vor Wochen gegenüber Ermittlern alle Vorwürfe bestritten.

Nicht ganz klar ist, wer eigentlich geschädigt wurde: Die Betreiber chinesischer Wettbüros? Interessanterweise haben in London ansässige chinesische Wettvermittler, die pro Einsatz Prozente bekommen, der Zockerbande kräftig geholfen. "Wir haben Zugang zu beiden Seiten", teilte Sapina beispielsweise einem chinesischen Vermittler mit. Durch diese SMS sei für den Agenten klar gewesen, dass er für Sapina auf manipulierte Spiele wette, schrieb ein Kriminalhauptkommissar. Chinesische Wettagenten setzten selbst auf manipulierte Spiele. Kicker wiederum, die von den Manipulationen wussten, wetteten gegen die eigene Mannschaft und versauten so die Quoten, was vor allem Sapina ärgerte.

Marijo C. nahm bei der Schweiz-Tour auch schon mal auf der Trainerbank Platz, telefonierte dabei mit Sapina, der dann live wettete, wenn sein Freund die todsicher richtigen Kicker einwechseln ließ. Die Spieler von Travnik erhielten für ihren speziellen Einsatz zwischen 100 und 350 Euro pro Spiel. Der Trainer soll am meisten bekommen haben. Aber für alle gilt die Unschuldsvermutung. In der Akte "NK Travnik in der Schweiz" werden in langen Listen Zocker, Wettagenten, Spieler, der Trainer und Funktionäre als angeblich "Tatbeteiligte" aufgeführt, darunter auch Davor Suker.

"Offensichtlich" habe Marijo C. versucht, mit Hilfe des früheren kroatischen Nationalspielers Suker, der 1998 WM-Torschützenkönig war, "Wettanbieter in London zur Listung der NK Travnik-Spiele zu bringen", heißt es in einem Auswertungsbericht der Polizei. Diese These kann - wie manches andere auch in den Akten - völlig falsch sein. "Welche Rolle genau Suker spielt, kann zur Zeit nicht gesagt werden", räumt ein Beamter der Sonderkommission ein. Die trägt, untypisch für die realen Bochumer Fußball-Verhältnisse, den schönen Namen "Flankengott".

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