Fußball-Krieg in Argentinien:Wie sich Bocas Zwölf entzweit

In Argentiniens Fußball-Szene liefern sich rivalisierende Fangruppen Schießereien und gewaltsame Übergriffe. Es geht um Macht, Einfluss und Geld - doch weder die Regierung, noch der Fußballverband, noch die Klubs tun etwas, um die Eskalation zu stoppen.

Peter Burghardt, Buenos Aires

Die Schlacht um Boca Juniors begann nahe Rosario, der Geburtsstadt von Che Guevara und Lionel Messi. Argentiniens berühmtester Fußballklub musste am Samstag bei Unión Santa Fé antreten, etwas weiter nördlich, und gewann dort 2:1. Aber um Sport ging es den Reisenden nach Santa Fé nur am Rande. Lange vor dem Anpfiff trafen sich die Busse der verfeindeten Fraktionen von Bocas Fanblock "La 12" auf der Autobahn, nahe Rosario eben.

FBL-ARGENTINA-BOCA JUNIORS-CENTENARY

Wenn es nur bengalische Feuer wären: Zwischen Fußballfans in Buenos Aires herrschen regelrechte Bandenkriege. 

(Foto: AFP)

Die einen mussten Richtung Buenos Aires umkehren, weil die Polizei bei einer Kontrolle entdeckt hatte, dass keiner der Passagiere in den blaugelben Shirts eine Eintrittskarte besaß; die anderen fuhren noch in Richtung Norden. Da kreuzten sich die Konvois. High Noon in der Pampa. Mauro Martín und seine Männer gegen die Gesandten von Rafael di Zeo. Sie stiegen aus. Und sie hatten Waffen.

Kugeln flogen und durchlöcherten auch Autos Unbeteiligter. Am Ende der Begegnung gab es fünf Schwerverletzte, darunter war der gefürchtete Martín. Ein Geschoss durchbohrte seinen Bauch und zerfetzte seinen Darm. Weitere Projektile trafen Mitstreiter und Gegner in den Mund, den Hals, die Brust, das Bein. Krankenwagen brachten die Verwundeten in Kliniken. Jetzt ist endgültig Krieg bei Boca, dem früheren Weltpokalsieger, wo Diego Maradona gespielt hat, Juan Román Riquelme und Carlos Tevez.

Seit Jahren bekämpfen sich die beiden Lager, es geht um die Macht auf der bedeutendsten Tribüne der Nation. "La 12" - die Zwölf - herrscht über die wichtigsten Ränge im Stadion von Boca Juniors im Süden von Buenos Aires, genannt "La Bombonera", die Pralinenschachtel. Boca ist trotz seiner Krise der erfolgreichste Verein des Landes, stand in der vorigen Saison sogar wieder im Finale der Copa Libertadores und führt nach drei Spieltagen die Tabelle an, obwohl Regisseur Riquelme beleidigt gekündigt hat. "La 12" bestimmt über den Verkauf von Trikots und Karten. Die Bombonera und ihr Museum sind zudem Touristenattraktionen. Es geht um viel Geld.

"La 12" spannt riesige Fahnen über seine Gerade und feiert sich als "La mitad más uno" - die Hälfte plus einer. In Wirklichkeit ist sie tödlich zerrissen. Der frühere Boss Rafael di Zeo saß wegen des Vorwurfs, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, mit 14 Kumpanen im Gefängnis. Derweil übernahm Mauro Martín das Kommando und wollte es nach di Zeos Entlassung nicht mehr abgeben. Ein Foto zeigte ihn, wie er die linke Hand zur Pistole formte und die rechte Handkante über die Gurgel zog, ein Hinweis an di Zeo. Der soll in den Stunden des Gefechts daheim bei seiner Mutter gesessen haben, doch er schickte seine Pistoleros.

Nur einer traut sich wirklich

Es war wohl Zufall, dass es keine Toten gab diesmal, 268 Morde hat Argentiniens Fußball bereits zu beklagen. Beim Zweitligisten Deportivo Merlo beschossen sich am Wochenende sogar zwei Brüder, die um die Nachfolge ihres Vaters streiten. Bilanz: sieben Verwundete. Und Schergen des Drittligisten Nueva Chicago aus dem Schlachthofviertel Mataderos eröffneten kürzlich das Feuer gegen Polizisten. "Barra Brava" nennen sich diese Hardcore-Gemeinden, zwei Worte des Schreckens. Sie bekriegen sich untereinander und mit ihren Rivalen. Bei Boca Juniors ist es die entzweite Zwölf, bei Aufsteiger River Plate sind es die "Borrachos del Tablón" - die Besoffenen von der Theke. Sie alle benehmen sich wie die Mafia.

Der Staat versuchte unterdessen auf andere Weise Flagge zu zeigen. Das Finanzamt untersuchte mehrere Profis und ihre Vermittler wegen Steuerhinterziehung und entdeckte: Transfers werden über Drittklubs in Uruguay, Chile oder der Schweiz vollzogen und die Rechte Fonds in Gegenden wie den Virgin Islands zugeschrieben. 146 Berater und einige ihrer Kunden wurden deshalb fürs erste gesperrt. Bekannt ist dieser Massenbetrug natürlich längst, aber das Gesetz kam öffentlich erst jetzt darauf. Ansonsten lässt die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner staatliche Millionen für die Fernsehrechte ("Fußball für alle") zahlen und schwadroniert, "diese Typen an den Zäunen faszinieren mich".

Weder die Regierung, noch der Fußballverband Afa unter seinem korruptionsverdächtigen Paten Julio Grondona, noch die meisten Vereinsvorsitzenden stoppen die Gewalt um den Rasen. Die Verbrecherbanden dürfen auf klubeigenen Anlagen kicken, sie durften sogar zur WM 2010 nach Südafrika fliegen, ehe die Behörden sie dort auswiesen. Manche werden auch als Einpeitscher bei Politveranstaltungen gesehen.

Nur ein Funktionär traut sich wirklich: Javier Cantero, Präsident des legendären Erstligisten Independiente. Dessen "Barra Brava" hat ihn bedroht und die Geschäftsstelle attackiert, doch er erteilt mutig Hausverbot. "Ich habe Angst", sagt er, "aber ich werde vor der Barra Brava nicht in die Knie gehen." Leider hilft ihm von den Kollegen niemand.

Der angeschossene Boca-Hooligan Mauro Martín wurde in der Nacht zum Montag in ein Hospital nach Buenos Aires verlegt. Mit Polizeischutz, versteht sich, draußen lauert der Feind.

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