Süddeutsche Zeitung

Kopfverletzungen im Fußball:Weiterspielen ist gefährlich

Zwei Schalker erleiden Kopfverletzungen - einer macht weiter und trifft. Experten empfehlen ein ganz anderes Vorgehen.

Kommentar von Sebastian Fischer

Die bittere Pointe, die das 2:2 zwischen dem FC Augsburg und Schalke 04 am Sonntag bereithielt, ging am Ende ein wenig unter, und vielleicht war das besser so. In einer Partie, die alle Beteiligten unter dem Eindruck der Kopfverletzung des kurzzeitig bewusstlosen Schalkers Mark Uth bestritten, war der Torschütze zum zwischenzeitlichen Schalker 2:1 ebenfalls ein Spieler, der eine Kopfverletzung erlitten hatte.

Nur ein paar Minuten, nachdem Uth ins Krankenhaus gebracht worden war, wo eine Gehirnerschütterung diagnostiziert wurde, ging sein Kollege Nassim Boujellab an ähnlicher Stelle im Mittelfeld und ebenfalls nach einem Zweikampf mit dem Augsburger Felix Uduokhai zu Boden. Er wurde minutenlang behandelt, er spielte dann mit einem blauen Verband über seiner Platzwunde am Kopf weiter. Und hätte sein Tor zum Sieg gereicht, auf den die Schalker nun schon seit 27 Spielen warten, dann wäre der junge Mittelfeldspieler wohl zum Helden dieser Geschichte erkoren worden, zum Malocher, der auf die Zähne biss. So geht die branchenübliche Verklärung für gefährliches Weiterspielen.

An diesem Mittwoch berät der Vorstand des für die Fußballregeln zuständigen International Football Association Board (Ifab) über den Plan für eine neue Regel in einem Bereich, der im Fußball noch der Anpassung bedarf. Spieler, die eine Kopfverletzung erleiden, deren mögliche Folgeschäden oft erforscht sind, sollen ausgewechselt werden können, ohne das Wechselkontingent zu belasten - um den Spielern zumindest in der Theorie das schlechte Gewissen zu nehmen, bei Kopfschmerzen vom Platz zu gehen.

Eine Expertengruppe zum Thema Gehirnerschütterungen empfiehlt eine "If in doubt, take them out"-Philosophie: im Zweifel raus. Die könnte testweise und freiwillig von 2021 an bei ausgewählten Wettbewerben Anwendung finden. In der Bundesliga würde dies noch mal deutlich über das hinausgehen, was seit 2019 bereits geschieht: Seitdem ist vor der Saison ein neurologisches Screening jedes Spielers verbindlich, um Abweichungen nach Kopfverletzungen schneller festzustellen und den Ärzten am Spielfeldrand bei der Diagnose zu helfen, die über eine Rückkehr auf den Rasen entscheiden soll.

Die Szenen am Sonntag in Augsburg wirkten dabei eher wie eines der Beispiele für das Gegenteil: Im Zweifel wird weitergespielt. Das galt nicht nur für Boujellab, das galt überhaupt für die ganze Partie. Für einen Spielabbruch nach Uths Verletzung hätte wohl jeder Verständnis gehabt. Doch die Spieler entschieden auf Nachfrage von Schiedsrichter Manuel Gräfe, weiterzumachen, "auf dem Platz für Mark zu kämpfen"; für den Verletzten, als wäre er eine Art Märtyrer.

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