Fußball:Kampf gegen die Theatralik

England startet eine Kampagne gegen Simulanten und Schwalbenkönige. In Deutschland machen die van der Vaarts ungeniert weiter.

Raphael Honigstein

Vergangene Woche ereignete sich etwas Unerhörtes an der Stamford Bridge. Chelsea-Stürmer Didier Drogba, der zweifache Torschütze, wurde beim 2:0-Sieg gegen Manchester City wenige Minuten vor Schluss zum Man of the match gewählt - und von den eigenen Fans ausgepfiffen. Man mag den Stürmer von der Elfenbeinküste auf der Insel nicht mehr, selbst die Anhänger der Blauen haben ihm die Freundschaft gekündigt.

Die Engländer stören sich dabei keineswegs nicht an Drogbas Leistung, sondern vielmehr an seiner Berufsmoral: Der 28-Jährige hat sich in den zurückliegenden Monaten einen Ruf als diver (Schwalbenkönig) und cheat (Schummler) erarbeitet - etwas Schlimmeres kann einem Premiere-League-Profi nicht passieren. Das musste schon Jürgen Klinsmann feststellen, der nach der WM 1994 zu Tottenham Hotspur wechselte.

Das englische Fernsehen hatte den deutschen Nationalspieler als größten Simulanten des Turniers ausgemacht und seine peinlichsten Fluganlagen dauernd wiederholt. Klinsmann war smart genug, sein Spiel sofort umzustellen. Sein erstes Tor feierte er damals mit einem demonstrativen Bauchplatscher, der auf seinen schlechten Leumund anspielte. Die Herzen der Engländer waren gewonnen.

Fast wie in Südeuropa

Drogba hat sich bisher weniger elegant aus der Affäre gezogen. Nach dem Spiel gegen City - seinem zweiten Tor war ein eindeutiges Handspiel voraus gegangen - konnte er den Wirbel nicht nachvollziehen. "Ich habe ihn mit der Hand mitgenommen, aber das gehört doch zum Spiel." Drogba war ehrlich (besser: unvorsichtig) genug, gegenüber der BBC auch seine Schwalben zuzugeben: "Manchmal tauche ich ab, manchmal auch nicht." In Chelsea waren sie zutiefst erschrocken über dieses Statement. Der Klub versuchte, die Ausstrahlung zu verhindern.

"Das ist professioneller Fußball", hat Hamburgs Rafael van der Vaart seinen Unfaller am Sonntag nüchtern kommentiert; und Fabian Ernst ärgerte sich, dass er den Schiedsrichter trotz fünffacher Bodenpirouette nicht zu einer roten Karte für HSV-Spieler Atouba bewegen konnte. Simulation gehört in der deutschen Bundesliga dazu. Als verwerflich wird das nur empfunden, wenn sich der Faller dabei allzu plump anstellt, wie Duisburgs früherer Trainer Norbert Meier.

Es herrschen war noch nicht Verhältnisse wie in südeuropäischen Ländern, wo Schwalbenspezialisten vom Schlage Inzaghi als Schlingel bewundert werden, doch das Verhältnis zu Schummlern ist recht ambivalent. Das hängt womöglich auch damit zusammen, dass Deutschland zwei Weltmeisterschaften mit Hilfe von, nun ja, diskussionwürdigen Elfmetern gewonnen hat.

England, die Nation, die den Ausdruck fair play erfunden hat, verfolgt die zunehmende Fallsucht der Liga mit wachsender Sorge. Theaterspielen ist unmännlich, unehrlich, unbritisch; man sieht die fußballerische Leitkultur gefährdet. "Ein Krebsgeschwür" nannte Fifa-Referee Graham Poll den Trend zum schnellen Fall. Im Februar nahm sich die Times des Themas in einem Leitartikel an, das Blatt rief eine "Say No To Diving"-Kampagne ins Leben, die von 12 Ligavereinen und der Football Association unterstützt wird.

In Tausenden von Schulen und Vereinen wurden "Tauchen verboten"-Poster verteilt, und Verbandschef Brian Barwick setzt sich gerade bei der Fifa dafür ein, dass Übeltäter nachträglich gesperrt werden können. Er regt für die WM eine Regeländerung an, die rote Karten für besonders perfide Schauspieleinlagen vorsieht.

Rosa Karten für Bösewichte

Manchester United-Trainer Alex Ferguson unterstützt das Vorhaben: "Divers haben einen Vorteil gegenüber dem Gegner. Der Verteidiger kann für den ehrlichen Versuch, den Ball zu spielen, vom Platz fliegen. Aber jemand, der versucht, einen Elfmeter heraus zu holen, sieht höchstens gelb." Oder eine andere Farbe, wenn es nach Gary Lineker geht.

Der einstige Nationalspieler fordert rosa Karten für Simulanten, die die Bedeutung von gelben haben, den Bösewicht aber zusätzlich stigmatisieren sollen. Alternativ wird die Einführung einer Zeitstrafe vorgeschlagen. Wer zu viel liegt, soll sitzen - auf der Strafbank.

Und Uefa-Generaldirektor Olsen denkt über zwei Schiedsrichter nach, um Schauspielern auf die Schliche zu kommen. Interessant ist auch der Vorschlag, eine offizielle Schwalbenstatistik zu führen; am Ende der Saison könnte neben der Torjägerkanone die goldene Tauchbrille vergeben werden. Die Marketingabteilungen der Vereine und ihre Sponsoren würden sich ob der schlechten Publicity wohl schnell der Sache annehmen.

Dass neben Drogba in den vorigen Wochen vor allem die Chelsea-Kollegen Shaun Wright-Philllips und Arjen Robben auffällig wurden, hat die Diskussion verschärft. Chelsea verkörpert für viele die hässliche Seite des beautiful game, der seine Erfolge den Millionen seines russischen Besitzers Abramowitsch und den skrupellosen Methoden von Trainer Mourinho verdankt.

Es war Robbens theatralischer Sturz im Spiel gegen Liverpool im Februar, der den Sturm der Entrüstung auslöste. In einer Szene, die an van der Vaarts Einlage erinnerte, war der Holländer nach einem Schubser von Liverpools Torhüter Reina wie ein ausgeknockter Boxer zu Boden geplumpst. Reina sah die rote Karte.

"Ich hoffe, Robben muss nicht mit gebrochenem Genick ins Krankenhaus", ätzte Liverpool-Coach Rafael Benítez. Robben verstand die Aufregung nicht - manchmal ist das im Fußball eben so. Ja. Aber muss es so sein?

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