Süddeutsche Zeitung

Pyrotechnik im Fußball:"Kalte Pyros" als Hoffnungsfunke

  • Kritiker halten den Einsatz von Pyrotechnik durch Fans im Stadion für zu gefährlich.
  • Die Entwicklung von "kalten Pyros", die mit deutlich niedrigerer Temperatur abbrennen als beispielsweise bengalische Feuer, könnte einen neuen Impuls in der Debatte um den Einsatz von Pyrotechnik bringen.

Von Tim Brack

Richter Hans Eberhard Lorenz ist ein vielbeschäftigter Mann. Ehrenamtlich kümmert er sich zusätzlich um die guten Sitten im deutschen Fußball. Lorenz, 68, ist der Vorsitzende des DFB-Sportgerichts, des höchsten Kontrollorgans im Deutschen Fußball-Bund. Seine Unterschrift findet sich sehr oft unter Urteilen, die Vereine zu Strafen verdammen. 16 000 Euro muss etwa Eintracht Frankfurt für das unsportliche Verhalten seiner Anhänger gegen Düsseldorf bezahlen, urteilte Hans E. Lorenz am vergangenen Mittwoch.

Was war passiert? Einige Eintracht-Fans hatten das gemacht, was Eltern und auch der Richter Lorenz untersagen wollen: Sie hatten mit dem Feuer gespielt, genauer gesagt mit bengalischen Feuern. Pyrotechnik ist weiterhin ein No-go für viele im deutschen Fußball. Viel zu gefährlich für alle Unbeteiligten, sagen Kritiker. Aber eine Erfindung des Dänen Tommy Cordsen könnte das längst ändern.

Cordsen, 58, liefert einen Vorstoß, der seit Monaten immer mal wieder thematisiert wird, wenn wieder Fans bestraft worden sind. Es ist eine Idee, um die Gefahren des Spiels mit dem Feuer deutlich zu mindern: mit sogenannten "kalten Pyros". Der Name täuscht ein wenig, denn mit rund 230 Grad Celsius ist die Brenntemperatur der Fackel nicht niedrig, aber dennoch bedeutend geringer als die gängiger Produkte - ein Bengalo lodert mit bis zu 2500 Grad. Bei Hautkontakt drohen Verbrennungen dritten Grades.

Verletzungen sind auch bei "kalten Pyros" weiterhin möglich, aber deutlich unwahrscheinlicher. Mit der Hand kann man langsam durch die Flamme fassen wie bei einer brennenden Kerze (bis zu 1400 Grad). Cordsens Produkt bringt weitere Vorteile: Die Rauchentwicklung ist wesentlich geringer und es kann - im Gegensatz zu gebräuchlichen bengalischen Feuern - mit Wasser gelöscht werden. Könnte eine solche Technik, die die Gefahr für Unbeteiligte senkt, nicht eine Alternative sein und in Fankurven vieles erleichtern?

Die Meinungen zur speziellen Ausleuchtung des Fußballs sind immer schon höchst gegensätzlich, Graustufen scheint es selten zu geben. Befürworter sagen: Pyrotechnik gehört zur Fan- und Fußballkultur. Konservative Stimmen setzen auf Verbote. Doch trotz des häufigen illegalen Einsatzes in den Kurven sind Unfälle selten. In der Bundesliga-Saison 2017/18 wurden durch Pyrotechnik zehn Menschen verletzt, davon ein Polizist. Zum Vergleich: Durch polizeilichen Reizstoff, also Pfefferspray, gab es 54 Verletzte - davon elf Polizisten. Zahlen sind in dieser Debatte aber nicht immer entscheidend.

Es geht häufig auch um Politik und Profilierung. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) plädierte im vergangenen Dezember für ein hartes Eingreifen gegen Fans, die Pyrotechnik im Stadion zünden. "Am Ende ist Gefängnis natürlich der richtige Weg, wenn einer nachhaltig sich der Ordnung verweigert und gefährlich ist für sein Umfeld", sagte er dem Deutschlandfunk. Bislang kommt, wer erwischt wird, mit einer Ordnungswidrigkeit davon.

Der Erfinder Cordsen hat an politischen Wirren, die es auch Dänemark gibt, kein Interesse. "Ich möchte mich nicht in Dinge einmischen, von denen ich nichts verstehe", sagt der Däne. "Die Fans sind verschieden und haben verschiedene Meinungen. Ich stehe mit meinem Produkt in einer Ecke und sage: Das könnte ein neuer Weg sein." Bevor er seine "kalten Pyros" entwickelte, hatte Cordsen nach eigenem Bekunden nichts zu tun mit dem Fußball. Die Begeisterung der Fans imponierte ihm aber. "Ich sah, wie tüchtig diese Leute in Europa und auf der ganzen Welt sind - und welche fantastischen Dinge sie machen. Ich dachte 'wow', es wäre schön, wenn ich etwas dazu beitragen könnte", sagt Cordsen.

2016 hatte er ein entscheidendes Erlebnis, sein Heureka. "Als ich den ersten Prototyp im Garten gezündet habe, war das, als wäre mir ein Engel erschienen. Ich wusste ab dem ersten Moment, dass es hier etwas gibt", erzählt er. Dieser Glaube hielt das Projekt am Laufen, auch wenn Cordsen selbst sagt, dass er zwischenzeitlich kurz davor war, alles hinzuschmeißen.

Über eine Fanvereinigung landete Cordsens Prototyp beim dänischen Traditionsklub Brøndby IF, der Schwung in das Projekt des Tüftlers brachte, es in die Öffentlichkeit hievte. Der Verein handelte auch aus monetären Zwängen. "Sie haben wie alle Klubs Probleme mit Pyros und Bußgeldern", weiß Cordsen. Diese Situation kennen auch die Profi-Klubs in Deutschland. Mehr als 1,3 Millionen Euro verhing das DFB-Sportgericht in dieser Saison bereits an Strafen in den ersten drei Ligen. Das Abbrennen eines pyrotechnischen Gegenstands kostet in der ersten Liga 1000 Euro; wird er geworfen, erhöht sich die Strafe auf 3000 Euro. Gezündelt wird trotzdem munter. "Die Sanktionspolitik ist offensichtlich wirkungslos und vielleicht auch kontraproduktiv", sagt Sven Langner, Fanbeauftragter des FC St. Pauli.

Er hat sich im Winter 2018 die "kalten Pyros" auf einem Kongress in Schweden angesehen, auch aus Bremen, Schalke und Mainz waren Fanvertreter dabei. Er betont immer wieder, man müsse "lösungsorientiert" und "ergebnisoffen" an die Debatte rangehen, was auch zeigt, wie festgefahren die Positionen sind. Dabei kamen auch von Klubvertretern schon Vorstöße. Anfang des Jahres wurden "kalte Pyros" von Fortuna Düsseldorf als Alternative genannt. Die Fackeln von Cordsen haben mittlerweile das CE-Kennzeichen, können theoretisch in Supermärkten verkauft werden. Der Däne arbeitet mit einer Berliner Firma für Pyrotechnik zusammen, um sein Produkt zu produzieren.

Doch die Innovation ändert nichts an der Sicht des DFB. Er habe seine "Position zum Thema Pyrotechnik mehrfach dargestellt und die ist unverändert", teilt der Verband auf Anfrage mit. Soll heißen: Ist verboten, bleibt verboten - egal mit welcher Technik. Dass die "kalten Pyros" nun auf illegalem Weg Einzug in die Kurven erhalten, hält Sven Langner für unwahrscheinlich. "Da wird man bei den etablierten Pyros bleiben", sagt er. Der Fanbeauftragte glaubt auch nicht, dass die Einführung von kalter Pyrotechnik die alte komplett ablösen würde. "Weil auch der Reiz des Verbotenen eine Rolle spielt und der Effekt noch ein bisschen besser ist als bei den neuen Fackeln." Es könne aber eine Ergänzung sein, "die den Einsatz von gefährlicherer Pyrotechnik ein bisschen zurückdrängen oder minimieren könnte".

In Deutschland wäre von einem längeren Prozess auszugehen, wollte man die "kalten Pyros" tatsächlich einführen. Mit Pilotprojekten und vielen Gesprächen zwischen Fans, Vereinen, Polizei, Feuerwehr und DFB. Gespannt gehen die Blicke deswegen immer wieder nach Dänemark, zu Brøndby IF. Dort ist die Entwicklung am weitesten, gerät aber auch ins Stocken. Ein großflächig geplanter Test im Stadion wurde zuletzt auf unbestimmte Zeit verschoben. Auch die Richter in Dänemark werden in unmittelbarer Zukunft noch viel zu tun haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4451301
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/jbe/cat
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.