Fußball: Jens Lehmann hört auf:Mann mit tausend Macken

Lesezeit: 2 min

Torwart Jens Lehmann erklärt in Stuttgart seinen Rückzug vom Profifußball zum Saisonende. Seine lange Karriere war geprägt von sportlichen Erfolgen und verrückten Eskapaden.

Philipp Selldorf

Jens Lehmann beendet nach der laufenden Saison seine Fußballer-Karriere. Diese Nachricht, die er in Stuttgart der Presse bekannt gab, ist keine Überraschung und dennoch ein kleiner Schock. Lehmann, 40, ist zuletzt oft gefragt worden, ob er wirklich im Sommer in den Ruhestand gehen werde, worauf er jedes Mal im Stil von Radio Eriwan antwortete: Im Prinzip ja. Aber man weiß ja nie ... Er wusste zwar, dass er nicht länger beim VfB Stuttgart bleiben kann und will, aber er wusste auf einmal nicht mehr, warum er eigentlich aufhören sollte.

Seine Auftritte während der Rückrunde hatten ihm und dem Rest der Welt (dessen Urteil ihm aber nicht so wichtig ist) zweifelsfrei bewiesen, dass er sich nicht wegen nachlassender Leistungen zurückziehen müsste. Das motivierte ihn gleichermaßen zur Beendigung wie zur Fortsetzung der Laufbahn. "Ich will ja nicht als einer der Schlechtesten, sondern als einer der Besten aufhören", hat er vor einigen Wochen in Köln erzählt, aber natürlich war sich der mit hohem Selbstbewusstsein gesegnete Lehmann sicher, dass er noch eine ganze Weile zu den Besseren gehören würde.

Der Familienrat entscheidet

Nur: "Ich weiß nicht wo." Eine Weiterverwendung in der US-Profiliga war angeblich im Gespräch, aber das wäre kein spannender Abschluss einer Karriere gewesen, die ihn auf jeder Station bis zum Äußersten gefordert hat. Jetzt hat er den Familienrat entscheiden lassen, und der beschloss: kein Umzug mehr vom Domizil am Starnberger See, Feierabend.

Sein Bundesliga-Abschiedsspiel findet am 8. Mai bei der TSG Hoffenheim statt, ein Mini-Derby also, und wenn er Glück hat, wird Lehmann mit Pfiffen und Buhrufen empfangen werden. So wie es ihm am Samstag beim Spiel in München erging, wo er seit seinem monumentalen Duell mit Oliver Kahn besonders unbeliebt ist. Die Antipathie-Bekundungen hat er genossen, "sonst hätte mir etwas gefehlt". Selbst in Schalke, wo seine Profikarriere zu einer Zeit begann, als es noch zwei Deutschlands und dazwischen eine Mauer gab, wurde er neulich von der Fankurve bei jeder Aktion erbittert niedergebrüllt. Er ist eben kein Volksheld wie Rudi Völler, der sein letztes Profijahr als landesweiten Triumphzug erlebte.

In Schalkes Anhängerschaft gab es nach den Schmähungen einen Glaubensstreit zwischen älteren und jüngeren Fans, denn Lehmann trägt seit dem Uefa-Cup-Sieg 1997 den Adelstitel "Eurofighter". Es war sein erster und zugleich vorletzter Titelgewinn, fünf Jahre später gewann er mit Borussia Dortmund die Meisterschaft. Eine erstaunlich dünne Erfolgsbilanz ist das für einen Torwart seiner Klasse, aber irgendwie passt das auch zum radikalen Individualisten Lehmann, der weniger Mannschaftsspieler als Einzelsportler und in der Seele eine Künstlernatur ist. Er ist ein Mann mit tausend Macken - das sagen Leute, die ihn kennen und mögen.

Schalker und Borusse

Dass er nach seinem kurzen Ausflug zum AC Mailand nach Dortmund wechselte, haben ihm viele Schalker übelgenommen. In Dortmund wiederum hat man ihm lange Zeit übelgenommen, dass er aus Schalke stammt. Ein normaler Mensch würde sich nicht freiwillig so viel Feindseligkeit aussetzen, aber Lehmann hat es bewusst getan, wenngleich ihm Momente von Umnachtung nicht fremd geblieben sind.

Noch vor ein paar Monaten, als der VfB in einer apokalyptischen Formkrise steckte, wurde deshalb sein Rausschmiss gefordert. Beim Spiel in Mainz hatte er einen äußerst spleenigen Auftritt samt Platzverweis erlebt. Der neue Trainer Christian Groß stand vor der Wahl, ob er den alten Mann nach Ablauf der Sperre wieder ins Tor stellt, und der Schweizer hat sich als Kenner erwiesen. Nicht nur die VfB-Fans sind ihm dafür dankbar: Auch dieses letzte Halbjahr mit Jens Lehmann hat Freude gemacht.

© SZ vom 31.03.2010/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: