Fußball international:Spektakel geht immer

Bolivia v United States

Sterne, Streifen, Turnierstimmung: Die Fußballfans in den USA sind - wie hier vorigen Samstag in Kansas - bereit für die Copa America Centenario.

(Foto: Kyle Rivas/AFP)

Die Copa America Centenario in den USA soll trotz Korruptionsskandal ein Fußballfest werden - und eine Bewerbung für die WM 2026.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt einen grandiosen Werbespot zur Copa América Centenario, er läuft seit Wochen auf dem argentinischen Fernsehkanal TyC und verbreitet sich derzeit weltweit über soziale Netzwerke. Zu hören ist US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump, der in einer seiner mittlerweile berüchtigten Reden über Südamerikaner herzieht: "Unser Land ist in ernsthafter Gefahr. Da kommen Leute über die Grenze, die wir nicht hier haben wollen. Das sind keine süßen Menschen, wie wir immer glauben. Das sind absolute Killer!" Zu sehen sind dann die argentinischen Fußballer Lionel Messi, Ángel di María und Gonzalo Higuaín, wie sie Gegner veräppeln und nach spektakulären Spielzügen zahlreiche Tore erzielen: "Wir müssen eine Mauer bauen", fordert Trump.

Messi kann spielen, nur für seinen Prozess war er zu arg verletzt

Doch es ist zu spät, die Eindringlinge sind längst im Land. Sie verschanzen sich derzeit in teuren Hotels und üben auf grünen Wiesen das weitere Vorgehen bei dieser Invasion: Messi, di María und Higuaín, die Mexikaner Javier "Chicharito" Hernandez (Leverkusen) und Raúl Jiménez, die Uruguayer Edinson Cavani und Luis Suárez, die Brasilianer Daniel Alves und Hulk, die US-Amerikaner Jermaine Jones und Clint Dempsey - sie alle werden dabei sein bei der Copa, dem ältesten Fußball-Nationenturnier der Welt. Wie schon bei den vergangenen Auflagen ergänzen die zehn südamerikanischen Verbände Gastverbände aus Mittel- und Nordamerika. Zum 100-Jahre-Jubiläum nehmen jedoch erstmals 16 Länder teil. Es fehlt nur Neymar, der nach Ansicht des brasilianischen Verbands im August lieber das olympische Turnier in Rio gewinnen soll.

Die Copa soll ein bezauberndes Turnier werden, eine Bewerbung der USA um die Ausrichtung der WM 2026, ein Fest des Fußballs. Nur wurde in letzter Zeit nicht so viel über Fußball gesprochen, wenn es um diese Veranstaltung ging. Thema in dieser Woche etwa war der Rücken von Lionel Messi, der sich einem ärztlichen Attest zufolge bei einem Testspiel gegen Honduras dort einen Bluterguss zugezogen hat. Der fünfmalige Weltfußballer, der nun endlich auch mit der argentinischen Nationalelf einen wichtigen Titel gewinnen will, darf natürlich keinesfalls fehlen - weshalb der Teamarzt sogleich beruhigte: Messi könne auf dem Rasen zaubern, es sei allerdings unmöglich, mit dieser Verletzung zum Auftakt des Steuerstrafprozesses gegen ihn im Justizpalast in Barcelona zu sitzen.

Diesen Donnerstag muss er dort aber erscheinen. Auch im Zusammenhang mit dem Turnier wurde viel über Geld gesprochen - über viel mehr als nur jene Werbeeinnahmen von 4,1 Millionen Euro, die Messi und sein Vater Jorge am spanischen Fiskus vorbeigeschleust haben sollen. Es ging um Schmiergelder in Höhe von mindestens 110 Millionen Dollar, die rund um die Südamerikameisterschaften 2015 (in Chile), 2016 (USA), 2019 (Brasilien) und Ecuador (2023) geflossen sein sollen. Noch vor wenigen Monaten stand das Turnier in den USA daher auf der Kippe, viele Sponsoren sprangen ab, hochrangige Fifa-Offizielle wurden verhaftet und in die USA ausgeliefert. Der US-Verband wollte keinesfalls eine Veranstaltung ausrichten, die mit derartigen Vorwürfen in Verbindung gebracht wurde.

Am Freitag soll nun das erste Urteil gegen einen korrupten Fifa-Funktionär gesprochen werden. Ja, tatsächlich: Am Tag des Eröffnungsspiels dieser Copa América Centenario in San José muss Jeffrey Webb - ein Bankier von den Kaiman-Inseln, der als Vertrauter von Sepp Blatter immerhin Präsident des Nord- und Mittelamerikaverbandes Concacaf und Fifa-Vizepräsident wurde - mal wieder vor Gericht in New York erscheinen. Ihm werden Betrug, Geldwäsche und Beteiligung an einer Verschwörung vorgeworfen. Er hatte sich bereits im November 2015 für schuldig erklärt, einen Deal mit den Behörden ausgehandelt und erwartet nun die Verkündung seiner Strafe. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Webb ist nur einer von 41 angeklagten ehemaligen Funktionären, dennoch dient er als Symbolfigur dieses Skandals - wie auch der Amerikaner Chuck Blazer, einer der größten Korruptionsprofiteure, der einst ein 6000-Dollar-Apartment für seine Katzen im Trump Tower in New York hatte und später als FBI-Informant einer schlimmeren Strafe entgangen ist. Webb, 51, ist gegen Kaution auf freiem Fuß, im Februar gönnte er sich eine opulente Party anlässlich des 40. Geburtstags seiner Frau. Fotos zeigen, wie er in feinem Zwirn Champagner schlürft und Blackjack spielt. Die Party fand in einer Villa in Atlanta statt, die Webb unter anderem mit Korruptionsgeld gekauft haben soll. Da kommt die Frage auf: Was passiert eigentlich, wenn Webb zwar auf Lebenszeit als Fußballakteur gesperrt wird, aber wegen seiner Deals mit dem FBI doch nicht ins Gefängnis muss?

An so etwas wollen sie gerade nicht denken beim US-Verband. Die Organisatoren der Copa América rühmen sich, dass sie innerhalb weniger Monate aufgeräumt hätten mit der Korruption und ein transparentes Turnier auf die Beine gestellt hätten. In der Los Angeles Times war in dieser Woche gar zu lesen, dass dies "die sauberste Fußballveranstaltung sein könnte, die es jemals gegeben hat". In diesem Licht wollen sie die Copa América Centenario präsentieren, die an diesem Freitag im Stadion der San Francisco 49ers mit großem Gedöns und mit der Partie von Gastgeber USA gegen Kolumbien eröffnet wird.

Zum ersten Mal seit der WM vor 22 Jahren dürfen die Amerikaner in ihren gewaltigen Stadien - keine Copa-Arena hat weniger als 60 000 Sitzplätze, mehr als zwei Millionen Tickets sollen verkauft werden - nicht nur Weltstars bestaunen, die ihren Zenit längst überschritten haben und ihre Karrieren in der US-Profiliga MLS ausklingen lassen. Es sind diesmal auch keine Sommerkicks europäischer Klubs als Teil der jährlichen Werbetouren zur immer gerne verkündeten "Erschließung des amerikanischen Markts". Nein, jetzt duellieren sich die Besten des Kontinents drei Wochen bei einem bedeutenden Turnier.

Von der sportlichen Qualität her soll diese Copa América der auf 24 Teams aufgeblähten Europameisterschaft in Frankreich mindestens ebenbürtig sein, US-Verbandschef Sunil Gulati sagt: "Wir können mit diesem Turnier zeigen, dass wir auch eine Weltmeisterschaft stemmen können." Er schielt bereits auf die WM 2026 und war deshalb nicht unbeteiligt daran, dass Gianni Infantino im Februar zum Fifa-Präsidenten gewählt wurde: "Ein guter Tag für diesen Sport", sagte Gulati. Er hätte auch sagen können: Ein guter Tag für den US-Fußball, schließlich gab er offen zu, dass vor der Wahl mit allen Fifa-Kandidaten schon mal über die Vergabe der WM in zehn Jahren gesprochen wurde.

Je näher die Copa rückt, desto stärker wird der Eindruck: Wer interessiert sich für die Steuerschuld von Messi in Spanien, wenn der Dribbler nun mit Tricks und Toren die Massen in den USA begeistert? Wer erinnert sich an Jeffrey Webb, wenn am Freitag die amerikanischen Fans ihren Schlachtruf "I believe that we will win" schmettern? Und wer will wissen, warum diese Veranstaltung in den USA stattfindet, wenn Mexiko und Jamaika vor 92 000 Zuschauern im Rose Bowl Stadium von Los Angeles spielen?

Alle Werbeflächen sind verkauft, alle Sponsoren sind an Bord

Es ist kein Zufall, dass dieses Turnier trotz der Korruptionsvorwürfe nicht anderswohin vergeben oder abgesagt wurde. Die Fußballverbände weltweit verstehen es, mit Spektakel auf dem Rasen von Problemen abzulenken - und keine Nation versteht sich besser auf das Organisieren gewaltiger Spektakel als die USA. Sämtliche Werbeflächen sind ausverkauft, vermeldeten die Planer vor Wochen stolz. Trotz der FBI-Ermittlungen sind alle Unternehmen wieder dabei, die immer dabei sind, wenn irgendwo auf der Welt Fußball gespielt wird und Millionen Menschen zusehen.

Dieses Turnier, das kurz vor der Absage stand, es findet nun doch statt, als wäre nie etwas gewesen.

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