Fußball in München:Was von Özil durchsickert

TSV 1860 München - Wacker Burghausen

Das Grünwalder Stadion in München - hier würde auch Türkgücü gerne Fußball spielen.

(Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Die Debatte um Integration im Fußball und die Rolle von Mesut Özil setzt sich im unterklassigen Fußball fort.
  • Jetzt beschweren sich Vertreter des Münchner Klubs Türkgücü, dass man sich im Grünwalder Stadion unerwünscht fühle.

Von Andreas Liebmann

Bernhard Slawinski hat sie nicht gebraucht, die Debatte nach dem Rücktritt Mesut Özils. Weil sie, wie er meint, am ehesten den Falschen nutzt. Der Vorsitzende des Kreises München im Bayerischen Fußball-Verband ist der Ansicht, dass zurzeit "beide Seiten einen Rassismus in den Raum stellen, den es so in vielen Fällen gar nicht gibt - und am ehesten bestärkt das Menschen mit rassistischen Tendenzen in ihrer Meinung". Er würde gerne "Luft rauslassen" aus dem Thema, er wünschte sich, dass andere Dinge mehr Aufmerksamkeit bekämen: "Es gibt so viel Schönes in unserem Land." Kürzlich forderte er auf seiner Facebook-Seite: "Es ist langsam an der Zeit, diese dummen, überflüssigen Rassismusdebatten und gegenseitigen Hetzereien einzustellen."

Bernhard Slawinski hat diese Debatte aber auch deshalb nicht gebraucht, weil er ohnehin seit Jahren dran ist am Thema. Sein Projekt Fairplay München geht präventiv gegen Gewalt auf dem Fußballplatz vor, im Besonderen auch gegen solche, die auf Vorurteilen und kulturellen Konflikten beruht. "Durch vertrauensvolles Miteinander und Kommunikation" habe man viel erreicht, sagt er. Und der Funktionär war, Özil hin oder her, keineswegs dabei, sich auf den Erfolgen auszuruhen, im Gegenteil: Viel mehr noch als früher habe ihn in den vergangenen Monaten die Sorge beschäftigt, dass ethnische Konflikte ihren Weg von der Weltpolitik direkt auf die Münchner Fußballplätze fänden, sowie die Frage, wie man das verhindern kann.

Ein kleines bisschen kommt Slawinski diese aufgeregte Özil-Diskussion nun aber doch zupass. Er nimmt sie zum Anlass, Münchner Vereine aufzusuchen, in denen der Migrationshintergrund eine wichtige Rolle spielt. Um mit ihnen im Gespräch zu bleiben, auch über dieses Thema; damit aus aktuellem Anlass vielleicht doch noch manche Kleinigkeit an- und ausgesprochen wird, die ansonsten vielleicht nie zur Sprache käme und im schlechtesten Falle still vor sich hin schwelte.

Denn es gibt Probleme im Miteinander der Kulturen, auch auf Fußballplätzen. Vor wenigen Wochen etwa war es im Relegationsduell zwischen Anadolu Bayern und dem FC Moosinning zu Ausschreitungen gekommen, weil sich die Anhänger des türkisch geprägten FC Anadolu massiv benachteiligt fühlten. "Schon nach dem Hinspiel hat mich jemand angerufen, der dahinter Rassismus vermutete", erzählt Slawinski. Tatsächlich sei Anadolu durch mehrere Schiedsrichterentscheidungen grob benachteiligt worden, darauf legt sich Slawinski nach Ansicht der Videos fest. "Im Rückspiel sind die Emotionen irgendwann hochgekocht."

Der Punkt sei nur: Fehler passierten ständig im Fußball, sie gehörten dazu. So bedauerlich das auch sei: Ein Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit seien sie deshalb noch lange nicht. Und der Funktionär beobachtet durchaus eine Tendenz von Spielern anderer Herkunft, sofort Rassismus zu unterstellen, sobald sie sich benachteiligt fühlten. "Jeder ist gefordert, auch bei unglücklichen Entscheidungen die Disziplin zu wahren", appelliert Slawinski. Gegen unangemessenes Verhalten, unflätige Bemerkungen auf den Plätzen will er weiter vorgehen - allerdings auf beiden Seiten. Auch das Schimpfwort "Nazi" habe sich längst breit gemacht. "Der Fall Özil ist für mich der Anlass, weiter darüber aufzuklären, dass Rassismus keine Einbahnstraße ist. Es geht nur darüber, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen."

Erdoğan-Gegner und -Befürworter in einem Verein

Die Herausforderungen für den Verband sind vielschichtig. Es gebe türkisch dominierte Vereine, die tief gespalten seien in Erdoğan-Gegner und -Befürworter. "Die Türkei ist ein Vielvölkerstaat mit verschiedenen Kulturen, das wird oft übersehen." Auch der Kurdenkonflikt ist ein Thema. Einem Verein mit kurdischen Wurzeln habe er kürzlich einen Konfliktmanager zur Seite gestellt, der den Spielern klarmachen soll, dass nicht sie es seien, die auf dem Platz Konflikte zu regeln hätten, etwa nach Provokationen. Sondern der Fußball-Verband.

Mit Provokateuren müsse man dann freilich ebenfalls arbeiten, müsse vermitteln. Wobei eins der Hauptprobleme sei, dass Schiedsrichter Sticheleien und Beleidigungen mangels Sprachkenntnissen meist gar nicht mitbekämen, ehe die Situation plötzlich eskaliere. "Wir müssen klarmachen, dass solches Verhalten unerwünscht ist", sagt Slawinski.

Dass Vertreter des SV Türkgücü-Ataspor München nun die Auffassung vertreten, sie dürften nicht ins Grünwalder Stadion, weil sie Türken seien, nennt Slawinski "Quatsch". Das sei nichts anderes, als einen Elfmeterpfiff gegen sich in der 90. Minute auf die eigene Herkunft zurückzuführen. Auch andere Vereine dürften nicht ins Giesinger Stadion. Slawinski vertritt die Auffassung, dass der Münchner Fußball dringend ein Amateurstadion braucht, das die Auflagen und Sicherheitsanforderungen bis hin zur Regionalliga erfüllt - nicht nur für Türkgücü, sondern für jeden Münchner Verein, der in solche Ligen vorstößt.

Er sehe da dringenden Bedarf, "dafür gibt es meine volle Unterstützung". Früher habe das Dantestadion diesen Zweck erfüllt, ehe es zur Heimstätte des American Football wurde. Nun müsse man eine andere Anlage entsprechend aufbessern. Gespräche mit der Stadt zu diesem Thema stünden erst am Anfang. Ihm schwebe etwa die ehemalige Siemens-Anlage an der Hofmannstraße vor, die ohnehin saniert werden müsse. Doch auch solche Diskussionen - hier schließt sich der Kreis zur Causa Özil - könne man ganz sicher konstruktiver führen, wenn man sie vom Vorwurf vermeintlicher Fremdenfeindlichkeit befreit.

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