Süddeutsche Zeitung

Fußball in Italien:Zu einem billigen Wanderzirkus verkommen

Erfolge bleiben aus, Zuschauer fern und Hooligans bringen sich gegenseitig um: Italien erlebt den Niedergang seiner Fußballkultur. Anzeichen, dass es wieder aufwärts gehen könnte, gibt es nicht. Im Gegenteil.

Kommentar von Birgit Schönau

Dass Italien sich von seinem Fußball abwendet, ist nichts Neues. Im Schnitt nur noch 22 000 Zuschauer haben die Erstligaspiele der Serie A in der ersten Hälfte der laufenden Saison angezogen - noch einmal zehn Prozent weniger als im Vorjahr. Am Wetter kann's nicht liegen. Eher daran, dass die Italiener schlicht Besseres vorhaben, als sich quälend langweiligen Spitzenpartien zu widmen, die ihren Namen längst nicht mehr verdienen. Oder zuzuschauen, wie ihr von den Medien so hoch gejubeltes Team von der europäischen Konkurrenz gedemütigt wird - zuletzt verpasste der FC Bayern dem AS Rom eine historische 7:1-Klatsche. Ein Ausnahmeergebnis, sicher, nicht nur wegen des Zuschauer-Rekords bei der schlimmsten Heimniederlage der Klubgeschichte.

Aber auch ein Fanal für das italienische Fußballjahr 2014, in dem der Calcio schon wieder einen Tiefpunkt erreicht hat. Mit dem blamablen Ausscheiden nach der Vorrunde bei der WM in Brasilien. Und der Champions-League-Qualifikation für nur noch zwei Teams, Juventus Turin und eben den mittlerweile schon wieder ausgeschiedenen AS Rom.

In der Ferne ist der Calcio vor seinen Tifosi sicher

Ein wenig zehrt der Calcio noch von Glanz und Glorie von einst, schließlich hat Italien vier Weltmeisterschaften gewonnen, und die Serie A versammelte bis vor 15 Jahren die Stars der Erde. Doch es sind inzwischen umstrittene Mäzene, die für eine triste Show der Granden von gestern zahlen wollen, wie die Scheichs von Katar, die vorige Woche erst das Ligapokal-Finale von Meister Juventus und Pokalsieger SSC Neapel in Doha beherbergten. Für vergleichsweise kleines Geld bekamen sie einen billigen Wanderzirkus geboten, in dem nur ein wirklich begabter Artist hervorstach: Andrea Pirlo.

Napoli gewann nach Elfmeterschießen den Wanderpokal, um den schon in Libyen, China und den USA gekickt wurde. Nicht nur, weil es Geld bringt. Sondern vor allem, weil sich jene Hooligans, die beim Finale um den Italienpokal im Frühjahr 2014 einen jungen Neapolitaner erschossen, Flüge in die Ferne nicht leisten können. In Doha oder in Peking ist der Calcio vor seinen Tifosi sicher.

Wenig deutet darauf hin, dass die Aussichten für 2015 rosiger werden könnten. Im Gegenteil - der neue Nationaltrainer Antonio Conte, dessen fettes Gehalt erstmals von Sponsoren getragen wird, droht bereits mit Rücktritt, falls er nicht mehr Unterstützung von den Klubs bekommt. Immerhin kann der neue Verbandspräsident wieder zu Besprechungen des Europa-Verbandes Uefa reisen, von denen er zuvor zur Strafe für rassistische Verbalentgleisungen ausgeschlossen war.

Was in Italien geschieht, ist der Niedergang einer Sportkultur. Nicht nur als Zuschauer haben sich die Italiener vom einstigen Lieblingsspektakel entfremdet, sie spielen auch immer weniger Fußball. Der Straßenfußball ist angesichts des Verkehrsgetöses in den Städten nur noch folkloristische Erinnerung. Und der Ausbau von Trainingsstätten für den Nachwuchs hat die Dinosaurier in Politik und Verbänden bislang ebenso wenig interessiert, wie die Investitionen in moderne Stadien die Bosse der Serie A. Nur Juventus hat ein eigenes Stadion, das übrigens fast immer ausverkauft ist. In der Hauptstadt liegen wenigstens konkrete Baupläne für eine Arena des AS Rom vor, in Florenz, Neapel und Mailand wird seit Jahren nur davon geredet. Und wenn es ums Bezahlen geht, schieben sich Kommunen und Klubs den schwarzen Peter zu.

Es gibt wenig Grund zum Optimismus in einem Land, dessen Wirtschaft seit Jahren blockiert ist. Die ökonomische Krise ist auch eine Krise der Ideen. Am Fußball kann man das perfekt ablesen. Und nur hoffen, dass es nicht weiter abwärts geht.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2014
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