Fußball:Sarri galt lange als Wundertrainer - jetzt steht er in der Kritik

Man rede eben so auf dem Platz, rechtfertigt sich Sarri. "Und auf dem Platz muss das auch bleiben. Ich habe mich bei Mancini entschuldigt. Sportsmänner geben sich nach so einem Streit die Hand, und dann ist die Sache vom Tisch." Es ist das alte Lied: So regelt man das unter echten Männern. Und natürlich schwingt im Refrain der nicht allzu indirekte Vorwurf an Mancini mit, dieses männliche Schweigegesetz im Fußball gebrochen zu haben. Was zwischen Kollegen läuft, geht niemanden was an, wir sind ja schließlich nicht in der Homosexuellen-Liga.

Vom Banker zum Erstliga-Trainer

Viele Tifosi, auch Inter-Anhänger, denken wie Sarri. Sie bewundern den knorrigen Napoli-Coach, der stets im Trainingsanzug auftritt, und finden, dass nur Schwuchteln sich benehmen wie der elegante Anzugträger Mancini. Sie identifizieren sich mit Sarris Außenseiter-Image, seiner, wie man es auch nennen kann: Bodenständigkeit. Dabei vergessen sie allerdings, dass nicht Maurizio Sarri sein Leben auf dem Fußballplatz verbracht hat, sondern Roberto Mancini. Sarris Talent reichte nicht für eine Karriere als Profi. Er arbeitete als Banker, bevor er sich entschloss, als Trainer sein Glück zu versuchen.

Ein Vierteljahrhundert lang wirkte er in nicht weniger als 17 Provinzvereinen, bevor er nach Neapel berufen wurde. Als billiger Nachfolger von Rafael Benítez bewirkte er für 900 000 Euro Jahresgehalt wahre Wunder. Jedenfalls bisher. Denn jetzt könnte Maurizio Sarri daran scheitern, dass seine Vorstellungen vom Offensivfußball zwar durchaus in die erste Liga gehören. Aber nicht seine Ansichten über die Welt an sich. Und dass er damit ausgerechnet Roberto Mancini konfrontieren musste, ist an reaktionärer Respektlosigkeit kaum zu überbieten.

Die meisten Italiener wollen, dass ihr Land in der Moderne ankommt

Mancini gehörte als einer der talentiertesten Spieler seiner Generation zu den Lichtgestalten des italienischen Fußballs. Ein Offensivästhet, der später auch als Trainer oben einstieg und schnell internationale Erfahrungen sammelte. Heute gilt er als schwieriger Charakter, seine Arroganz ist gefürchtet. Aber seine Kompetenz und seine Weltläufigkeit stehen nicht zur Debatte. Wie Sarri ihn beleidigt hat, erfüllt auch viele Napoli-Fans mit Scham. Die meisten Italiener wollen, dass ihr Land endlich in der Moderne ankommt, in einer Gesellschaft, die Diskriminierung ächtet und allen Bürgern die gleichen Rechte gewährt.

Im Parlament ist seit Monaten ein Gesetzentwurf für den rechtlichen Schutz gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften und für Stiefkind-Adoptionen durch Homosexuelle anhängig. Da ist es besonders peinlich, dass der Trainer des SSC Neapel daherredet wie ein Politiker der ultrarechten Oppositionspartei Lega Nord.

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