Inter Mailands Trainer Roberto Mancini ist bekannt für sein aufbrausendes Temperament. Aber derart furios wie nach dem Abpfiff des Pokal-Viertelfinales gegen den SSC Neapel hat man den 51-Jährigen selten erlebt. Dabei hatte Inter in Neapel sensationell 2:0 gewonnen, mit Toren von Stevan Jovetic (74.) und Adem Ljajic (91.). "Das Resultat interessiert mich überhaupt nicht", schnaubte Mancini anschließend in die Fernsehkameras. "Dieser Vorfall stellt ja alles andere in den Schatten."
Der "Vorfall" war der Zusammenprall mit dem Kollegen Maurizio Sarri. Beide hatten sich eigentlich beim vierten Offiziellen darüber beschweren wollen, dass dieser aus Versehen neun Minuten Nachspielzeit angezeigt hatte. Doch kaum lief man sich über den Weg, ging Sarri erst einmal erbost auf Mancini los. "Er hat mich als Tunte und als Schwuchtel beschimpft", berichtete Mancini später. "Und um das klar zu sagen: Wäre ich homosexuell, ich wäre stolz darauf." Aber Sarris Wortwahl sei beleidigend, ja "rassistisch" gewesen. "Einfach unglaublich, eine Schande. Solche Typen gehören aus dem Fußball ausgeschlossen, in England dürfte so einer kein Training mehr leiten."
Sarri: "Das waren die ersten Wörter, die mir einfielen"
Mancini weiß, wovon er spricht, er hat selbst für Leicester City gespielt und war von 2009 bis 2014 Chefcoach bei Manchester City. Da lernt man, was in anderen Ligen Europas geduldet wird und was nicht. In Italien, so Mancini, sehe es jedenfalls so aus: "Der vierte Offizielle hat zwar jedes Wort von Sarri vernommen, aber so getan, als höre er nichts."
Fußball:Italiens Fußball führt die Grüne Karte ein
In der zweiten Liga soll die Karte als Belohnung für faire Spieler gezeigt werden. Die Profis haben mehrere Möglichkeiten, sie zu verdienen.
Auch der Napoli-Trainer wollte die Aufregung nicht verstehen. Er wisse ja gar nicht mehr, was er Mancini zugerufen habe, rechtfertigte sich Sarri. "Ich war verärgert über den Platzverweis von Dries Mertens. Mancini hat mich provoziert, und ich habe ihm das erste Wort an den Kopf geworfen, das mir einfiel. Das kann auch, Christdemokrat' gewesen sein." War's aber nicht. Und es war übrigens auch nicht das erste Mal, dass die erste Beleidigung, die Maurizio Sarri einfiel, das herabsetzende Wort "Schwuchtel" war.
Im März 2014 hatte er als Trainer des damaligen Zweitligavereins Empoli nach einem Match geklagt, der italienische Fußball sei zu einem "Schwuchtelsport verkommen - hier werden viel mehr Fouls gepfiffen als in England, als sei das hier eine Homosexuellen-Liga". Damals wurde Sarri zu einem Bußgeld von 5000 Euro verdonnert. Jetzt riskiert er eine Sperre von vier Monaten. Der Verband könnte ein Exempel an ihm statuieren, nachdem Verbandspräsident Carlo Tevecchio kürzlich selbst wegen rassistischer Äußerungen von der Uefa Monate lang gesperrt worden war.
Man rede eben so auf dem Platz, rechtfertigt sich Sarri. "Und auf dem Platz muss das auch bleiben. Ich habe mich bei Mancini entschuldigt. Sportsmänner geben sich nach so einem Streit die Hand, und dann ist die Sache vom Tisch." Es ist das alte Lied: So regelt man das unter echten Männern. Und natürlich schwingt im Refrain der nicht allzu indirekte Vorwurf an Mancini mit, dieses männliche Schweigegesetz im Fußball gebrochen zu haben. Was zwischen Kollegen läuft, geht niemanden was an, wir sind ja schließlich nicht in der Homosexuellen-Liga.
Vom Banker zum Erstliga-Trainer
Viele Tifosi, auch Inter-Anhänger, denken wie Sarri. Sie bewundern den knorrigen Napoli-Coach, der stets im Trainingsanzug auftritt, und finden, dass nur Schwuchteln sich benehmen wie der elegante Anzugträger Mancini. Sie identifizieren sich mit Sarris Außenseiter-Image, seiner, wie man es auch nennen kann: Bodenständigkeit. Dabei vergessen sie allerdings, dass nicht Maurizio Sarri sein Leben auf dem Fußballplatz verbracht hat, sondern Roberto Mancini. Sarris Talent reichte nicht für eine Karriere als Profi. Er arbeitete als Banker, bevor er sich entschloss, als Trainer sein Glück zu versuchen.
Ein Vierteljahrhundert lang wirkte er in nicht weniger als 17 Provinzvereinen, bevor er nach Neapel berufen wurde. Als billiger Nachfolger von Rafael Benítez bewirkte er für 900 000 Euro Jahresgehalt wahre Wunder. Jedenfalls bisher. Denn jetzt könnte Maurizio Sarri daran scheitern, dass seine Vorstellungen vom Offensivfußball zwar durchaus in die erste Liga gehören. Aber nicht seine Ansichten über die Welt an sich. Und dass er damit ausgerechnet Roberto Mancini konfrontieren musste, ist an reaktionärer Respektlosigkeit kaum zu überbieten.
Die meisten Italiener wollen, dass ihr Land in der Moderne ankommt
Mancini gehörte als einer der talentiertesten Spieler seiner Generation zu den Lichtgestalten des italienischen Fußballs. Ein Offensivästhet, der später auch als Trainer oben einstieg und schnell internationale Erfahrungen sammelte. Heute gilt er als schwieriger Charakter, seine Arroganz ist gefürchtet. Aber seine Kompetenz und seine Weltläufigkeit stehen nicht zur Debatte. Wie Sarri ihn beleidigt hat, erfüllt auch viele Napoli-Fans mit Scham. Die meisten Italiener wollen, dass ihr Land endlich in der Moderne ankommt, in einer Gesellschaft, die Diskriminierung ächtet und allen Bürgern die gleichen Rechte gewährt.
Im Parlament ist seit Monaten ein Gesetzentwurf für den rechtlichen Schutz gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften und für Stiefkind-Adoptionen durch Homosexuelle anhängig. Da ist es besonders peinlich, dass der Trainer des SSC Neapel daherredet wie ein Politiker der ultrarechten Oppositionspartei Lega Nord.