Fußball in England:Wirkungstreffer echter Champions

Mit unerschütterlicher Siegesgewissheit bezwingt Tabellenführer FC Liverpool auch den Meister Manchester City. Dessen Trainer Pep Guardiola hat für die Schiedsrichter nur Sarkasmus übrig.

Von Tim Brack

Pep Guardiola verhielt sich zunächst wie ein ehrenhafter Verlierer. Er gratulierte Liverpool-Trainer Jürgen Klopp zum Sieg und nahm sich der Reihe nach auf dem Rasen fast jeden Spieler der Reds vor. Auch der Torschütze Sadio Mané, dem Guardiola vor dem Spiel vorgeworfen hatte, dass er manchmal etwas zu leicht auf den Rasen fiele, erhielt einen respektvollen Handschlag. Als Guardiola danach zu Schiedsrichter Michael Oliver und dessen Assistenten kam, streckte er auch ihnen die Hand entgegen. Doch es war keine Geste der Fairness oder der Versöhnung, Guardiola packte mehr Sarkasmus in seinen Händedruck als ein Satiriker in ein ganzes Abendprogramm.

Ein wenig Bitterkeit war dem Trainer von Manchester City nachzusehen. Guardiola hatte gerade an der Anfield Road beim schärfsten Titelkonkurrenten Liverpool unglücklich verloren, besser gesagt: Liverpool hatte 3:1 (2:0) gewonnen. Dass darin durchaus ein Unterschied besteht, lag am tollen Auftritt beider Teams. Die Erwartungen an dieses Duell waren maximal hoch, im englischen Fußball, vielleicht sogar im europäischen, gibt es zurzeit wohl kein besseres Kräftemessen zwischen zwei Klubteams. Und beide Trainer hatten ihre Spieler mit dem Auftrag auf den Rasen geschickt, diese Erwartungen auch 90 Minuten lang mit Leben zu füllen.

Premier League - Liverpool v Manchester City

Respekt, Kollege! City-Trainer Pep Guardiola (rechts) gratuliert Jürgen Klopp zum Sieg.

(Foto: Carl Recine/Reuters)

Es war ein intensives Duell, in dem auch City sehr gut spielte. Doch Liverpool präsentierte sich am Sonntagabend in der eigenen Festung Anfield wie ein Champion: selbstbewusst, in sich ruhend, unerschrocken, effizient, eiskalt. So prägnant, wie sein Team gespielt hatte, schwärmte Klopp anschließend in seiner Nachbetrachtung: "Es war außergewöhnlich, es war brutal. Die Tore waren unglaublich, gegen einen außergewöhnlich starken Gegner. Ich liebe diese Atmosphäre - ein perfekter Abend", sagte der Coach.

ManCity hatte früh angegriffen wie ein Boxer, der den Kampf in Runde eins entscheiden will, Attacken prasselten auf Liverpools Abwehrreihe ein. Doch Klopps Elf hielt die Deckung oben, wartete mit der Selbstgewissheit eines Lokalhelden, der das Publikum hinter sich weiß und die Gewissheit hat, dass es nur auf Wirkungstreffer ankommt. Zwei davon setzte Liverpool bereits in der Anfangsphase, zwei Mal überspielte der Tabellenführer blitzschnell die erste Pressingreihe des Meisters.

*** BESTPIX *** Liverpool FC v Manchester City - Premier League

Liverpools Stürmer Sadio Mané (Mitte, in Rot) sicherte den Sieg mit dem Tor zum 3:0 ab.

(Foto: Laurence Griffiths/Getty Images)

Schon nach sechs Minuten erzielte so Fabinho mit einem wuchtigen Schuss die Führung. Das 2:0 fiel kurz darauf nach einer Flanke mit einer ausgeprägten Flugkurve, wie sie wohl nur britische Außenverteidiger wie Andrew Robertson hinbringen; Stürmer Mo Salah verwertete die Hereingabe per Kopf zum 2:0 (13.). Nach der Pause traf dann Sadio Mané (3:0/51.) - wieder nach einer scharfen Flanke und wieder mitten hinein in eine kurze Drangphase von City. Danach kontrollierte Liverpool das Spiel, bis Bernardo Silva das 1:3 (78.) erzielte und fortan wiederum Manchester zu guten Chancen kam, sich aber zu große Schwächen im Abschluss leistete.

Durch den Sieg haben die Reds nun neun Punkte Vorsprung auf den Meister und auch schon acht Punkte Abstand zum Überraschungszweiten aus Leicester. Der Durst der LFC-Fans nach dem ersten Ligatitel seit 1990 könnte also tatsächlich gestillt werden. Doch Klopp, der in Liverpool nicht nur Teammanager, sondern auch Erwartungsmanager ist, dämpfte diese Euphorie. Das einzige Problem an so einem Sieg seien die "Pundits", die englischen Fußballexperten, betonte Klopp: "Die ersten werden heute Abend schon sagen: 'Ab jetzt kann Liverpool die Meisterschaft nur noch verlieren.' So ein Quatsch! Zum Glück sind wir selbst relativ entspannt, was das angeht." Einer dieser Pundits, der frühere Nationalstürmer Gary Lineker, schrieb bei Twitter: "Nur Leicester kann Liverpool jetzt noch einfangen ..."

„Statement-Sieg"

Pressestimmen zum 3:1 für Liverpool

The Sun: "Liverpool hat mit dem amtierenden Meister den Boden gewischt. 30 Jahre der Schmerzen, drei Jahrzehnte seit ihrem letzten Ligatitel 1990, werden nun sicher ein Ende finden. Die Trophäe wird keine weite Reise haben: 35 Meilen von Ost nach West, bis zur Anfield Road!"

Guardian: "Liverpool hat dieses Spiel nicht wegen einzelner Schiedsrichterentscheidungen gewonnen - Pep Guardiola weiß das besser als jeder andere!"

BBC: "Es war ein Statement-Sieg. Liverpool übernimmt die Kontrolle der Liga."

Mirror: "Anfield schaukelte und zitterte vor Aufregung. Es fühlt sich an wie ein entscheidender Sieg, während es für City jetzt ein langer, langer Weg zurück ist."

Gazetta dello Sport: "Liverpool neun Punkte vor City - jetzt ist es eine Flucht!"

Die Entspanntheit von Jürgen Klopp ist noch mal spürbar gestiegen seit dem Champions-League-Sieg im Juni. Der unbedingte Glaube an die eigene Stärke ist einer der Stützpfeiler für Liverpools Dominanz in dieser Saison. Seit der Henkelpokal in die Stadt zurückgekehrt ist, umgibt die Reds eine Aura des unerschütterlichen Siegeswillens: Zwölf Spiele, elf Siege, keine Niederlage, 34 von 36 möglichen Punkten - so lautet die eindrucksvolle Zwischenbilanz in der Premier League, nachdem die Reds im Frühjahr mit 97 Punkten nur der beste Zweite der Ligageschichte geworden waren. Dabei spazierte Liverpool bisher nicht gerade durch den Herbst. Immer wieder gab es in Spielen Rückstände, nur zweimal verteidigte man die Null. Doch selbst nach Rückschlägen scheint die Willenskraft der Mannschaft derzeit alles zu zermalmen. Sie hat ein besonderes Talent dafür entwickelt, Spiele zu drehen oder späte Siegtreffer zu erzielen.

Gegen City kam auch Wohlwollen des Schiedsrichtergespanns hinzu. Dem 1:0 war jene Schlüsselszene vorangegangen, die der Auslöser für Guardiolas Ärger war: Eine Hereingabe von Bernardo Silva war im Strafraum an den abgespreizten Arm von Liverpool-Verteidiger Trent Alexander-Arnold geprallt. Es hätte durchaus Elfmeter für City geben können, doch der Pfiff blieb aus. Im Gegenzug überrannte Liverpool City, und es fiel das 1:0 - weil Guardiolas Spieler, allen voran Sergio Agüero, verharrten, um zu reklamieren. "Wir hören auf zu spielen", kritisierte der deutsche City-Profi Ilkay Gündogan, "Sergio hätte den Ball eventuell noch querlegen können nach dem Handspiel, aber auch er hat komplett aufgehört." Gündogan selbst war aber auch nicht unschuldig am 0:1, er bereitete Fabinhos Schuss mit einem missglückten Klärungsversuch vor. "Es ist eine dieser Szenen, wo du einfach weiterspielen musst", sagte Liverpools Handballer Alexander-Arnold nach dem Spiel.

Ein zweites Handspiel von Alexander-Arnold steigerte Guardiolas Wut. Seine Mannschaft gab seit dem 1:3 den Ton an, der Ball rotierte fast ausschließlich durch die Reihen der Himmelblauen. Doch als Raheem Sterling den Ball aus kurzer Distanz dann wieder an Alexander-Arnolds Hand schoss, gab es abermals keinen Elfmeterpfiff, diesmal zu Recht - Guardiola aber war außer sich.

Er streckte zwei Finger in die Höhe: zweimal Hand, zweimal kein Strafstoß, wollte er damit signalisieren. Die Times schrieb: "Guardiola kocht über!" Der Katalane weigerte sich nach dem Spiel, seine Meinung zu den Elfmeterszenen kundzutun. Stattdessen lobte er seine Mannschaft in höchsten Tönen. Und er fügte trotzig an: "Wenn Liverpool den Titel gewinnt, dann werde ich ihnen als Erster gratulieren. Aber es sind noch sieben Monate zu spielen."

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