Fußball in England:"Wenn es gut läuft, ist man hier der König"

Fußball in England: "Die Leute leben hier für den Fußball": Ron-Thorben Hoffmann fühlt sich wohl beim englischen Drittligisten Sunderland, er ist Stammtorhüter und sein primäres Ziel ist der Aufstieg.

"Die Leute leben hier für den Fußball": Ron-Thorben Hoffmann fühlt sich wohl beim englischen Drittligisten Sunderland, er ist Stammtorhüter und sein primäres Ziel ist der Aufstieg.

(Foto: Richard Lee/Shutterstock/Imago)

Ron-Thorben Hoffmann wurde vom FC Bayern an den englischen Drittligisten AFC Sunderland ausgeliehen. Im Interview spricht der 22-Jährige über seinen turbulenten Sommer, das anstehende Pokalspiel beim FC Arsenal und eine mögliche Rückkehr.

Von David Hopper

Obwohl Ron-Thorben Hoffmann erst 22 Jahre alt ist, hat er in seiner jungen Karriere schon einiges erlebt: Nach Stationen bei Hansa Rostock, Hertha BSC und RB Leipzig landete er 2015 in der Nachwuchsabteilung des FC Bayern. 2018 unterschrieb er dort seinen ersten Profivertrag. Bis 2021 spielte er regelmäßig für die zweite Mannschaft, mit ihr stieg er nach der überraschenden Drittligameisterschaft 2020 in der vergangenen Saison in die Regionalliga ab. Im Sommer wechselte Hoffmann auf Leihbasis zum englischen Drittligisten AFC Sunderland.

SZ: Herr Hoffmann, kurz vor dem Ende des vergangenen Transferfensters hat der FC Bayern Ihren Vertrag bis 2023 verlängert und Sie für die Saison 2021/2022 zum AFC Sunderland in die dritte englische Liga verliehen. Was waren die Hintergründe des Wechsels?

Ron-Thorben Hoffmann: Ich habe abgewogen, was das Beste für meine Entwicklung ist. Dieses Jahr ist für mich das Wichtigste, auf einem guten Level regelmäßig Spiele zu absolvieren. Auch der FC Bayern wollte, dass ich regelmäßig auf hohem Niveau spiele, Selbstvertrauen sammle und mich weiterentwickle. Daher haben wir gemeinsam beschlossen, uns nach Leihmöglichkeiten umzusehen. Die Verantwortlichen von Sunderland haben mir das Projekt in den Gesprächen sehr gut vermittelt. Das ist ein riesengroßer Verein mit perfekten Rahmenbedingungen. Ich habe außerdem schon lange davon geträumt, einmal in England zu spielen. Der englische Fußball hatte für mich immer einen besonderen Reiz.

Im Sommer verweigerte der FC Bayern Ihnen wegen der angespannten Torhüter-Situation in der Vorbereitung die Freigabe für die Olympischen Spiele. Wie enttäuschend war das für Sie?

Die Olympischen Spiele sind ein Riesenereignis. Es ist für jeden deutschen Sportler eine große Ehre, daran teilzunehmen. Vor meiner Einladung habe ich mich bei Niklas Süle und Serge Gnabry (Olympiateilnehmer 2016, d. Red.) erkundigt. Als dann klar war, dass es nicht klappt, war ich schon traurig. Ich hätte sehr gerne mein Land repräsentiert, vor allem, weil ich im Frühjahr schon die U21-EM wegen einer Verletzung verpasst habe.

Haben Sie die Entscheidung verstanden?

Ja, ich konnte die Perspektive des FC Bayern nachvollziehen. Die Situation war damals sehr angespannt, weil Sven Ulreich und ich zu dem Zeitpunkt die einzigen Torhüter waren, die zur Verfügung standen.

Sie haben sich dem FC Bayern bereits in der Jugend angeschlossen, bis zu Ihrem Leihwechsel waren Sie sechs Jahre im Verein. Was nehmen Sie aus Ihrer bisherigen Zeit in München mit?

Ich war 19 Jahre alt, als ich beim FC Bayern meinen ersten Profivertrag unterschrieben habe. Ich war unheimlich dankbar für die Chance, in der ersten Mannschaft regelmäßig zusammen mit einem Torhüter wie Manuel Neuer trainieren zu dürfen. Dadurch habe ich unheimlich viel gelernt. Außerdem habe ich die "Bayern-Mentalität" erlebt. Das ist kein Mythos, sie existiert tatsächlich. Dieser unbedingte Wille zu gewinnen, selbst im Training. Jemand wie Joshua Kimmich wird richtig sauer, wenn er ein Trainingsspiel verliert. Beim FC Bayern herrscht einfach ein unfassbar großer Ehrgeiz. Den nehme ich mit. Man darf nie satt sein - egal, in welchem Alter man ist. In der dritten Liga konnte ich mit der zweiten Mannschaft außerdem regelmäßig auf hohem Niveau spielen.

Mittlerweile sind Sie seit knapp vier Monaten in England. Sie sind Stammspieler, stehen in jedem Ligaspiel im Tor. War der Wechsel nach Sunderland die richtige Entscheidung?

Absolut. Die regelmäßige Spielzeit hilft mir unheimlich. Ich nehme hier außerdem eine ganz andere Rolle in der Mannschaft ein. Auch wenn ich relativ jung bin, gehöre ich in Sunderland zu den Leistungsträgern. Das war am Anfang nicht einfach für mich. Ich komme in die Rolle aber zunehmend rein. Um bei Sunderland regelmäßig zu spielen, habe ich natürlich auf das hohe Trainingsniveau beim FC Bayern verzichtet. Das ist es mir aber wert.

Der AFC Sunderland hat in den vergangenen Jahren viel durchgemacht: 2017 stieg er von der Premier League in die zweitklassige Championship ab. In der chaotischen Saison 2017/2018, die in der bekannten Netflix-Dokumentation "Sunderland 'til I Die" festgehalten wird, folgte direkt der Absturz in die drittklassige League One. Wie erleben Sie den Verein in Ihren ersten Monaten?

Ich habe mir die Doku nach meiner Ankunft auch angesehen. Es ist schon kurios, weil ich aktuell wenig davon im Verein wiedererkennen kann. In der jüngeren Vergangenheit hat sich hier personell einiges verändert. Im Verein arbeiten sehr gute Leute. Sie haben das Gesicht der Mannschaft im Vergleich zu den Vorjahren entscheidend verändert. In dieser Saison sind viele junge Spieler wie ich im Verein. Spieler, die von großen Vereinen ausgebildet wurden und jetzt am Anfang ihrer Karriere stehen. Zusammen mit einigen erfahrenen Spielern, die genau wissen, worauf es in dieser Liga ankommt, ergibt das aktuell eine sehr gute Mischung.

Während Sie beim FC Bayern II im Grünwalder Stadion oft vor einigen Hundert Zuschauern gespielt haben, kommen in das Heimstadion des AFC Sunderland, das "Stadium of Light", regelmäßig knapp 30 000 Zuschauer. Was macht das für einen Unterschied?

Egal, ob erste, zweite oder dritte Liga - die Leute leben hier für den Fußball. Das ist wirklich beeindruckend. Im "Stadium of Light" zu spielen, ist ein richtiges Erlebnis. Kurz vor dem Anpfiff singen die Fans "Can't Help Falling in Love" von Elvis Presley. Im Anschluss schreien sie "Sunderland!" - und zwar so laut, dass für einen Moment das ganze Stadion bebt. Da kriege ich jedes Mal Gänsehaut. Außerdem sind viele der englischen Stadien sehr eng. Wir hatten vor kurzem ein Auswärtsspiel in Portsmouth. Da saßen die Zuschauer gefühlt einen Meter hinter meinem Tor. Das kannte ich aus Deutschland so nicht, das war für mich komplett neu.

Kann so ein Umfeld eine Mannschaft auch hemmen?

Die Wucht, die ein Verein wie Sunderland ausstrahlt, geht in beide Richtungen. Wenn es gut läuft, ist man hier der König. Wenn es schlecht läuft, kommt sehr schnell Unzufriedenheit auf. Als wir zwischenzeitlich drei Spiele in Folge verloren haben, wurden die Fans unruhig. Man muss seiner Linie treu bleiben und versuchen, sich weder von den positiven noch von den negativen Nebengeräuschen zu sehr ablenken zu lassen. Insgesamt bin ich sehr froh, dass ich diese Fankultur erleben darf.

Für die zweite Mannschaft des FC Bayern zwei haben Sie zwischen 2018 und 2021 insgesamt 46 Spiele in der Dritten Liga absolviert, für den AFC Sunderland kommen Sie in der drittklassigen League One aktuell bereits auf 16 Einsätze. Ist das Niveau der beiden Ligen vergleichbar?

Beide Ligen haben Ihren Reiz. Das Niveau in der League One ist auf jeden Fall sehr gut. Die Intensität, mit der hier Fußball gespielt wird, ist sehr imposant. Die Spieler sind physisch alle sehr stark, die Spiele nehmen sich keine Pausen. Jeder kann in dieser Liga jeden schlagen, die Qualität der Mannschaften liegt sehr dicht beieinander. Für mich ist das als Torwart gar nicht so leicht, auch mental. Ich bin die ganze Zeit gefordert.

In der Liga steht der AFC Sunderland aktuell auf dem dritten Platz. Im League Cup, einem der beiden englischen Pokalwettbewerbe, ist Ihre Mannschaft relativ überraschend ins Viertelfinale eingezogen. An diesem Dienstag gastieren Sie im "Emirates-Stadium" beim großen FC Arsenal. Was versprechen Sie sich von dem Spiel?

Das ist wie David gegen Goliath. Bei einem der Top-Teams der Premier League gastieren zu dürfen, ist eine große Ehre. Wir werden alles versuchen, um Arsenal das Leben so schwer wie möglich zu machen. Daran, dass wir es im League Cup soweit geschafft haben, sieht man, welche Qualität unsere Mannschaft hat. Das ist schön, das ist für den Klub eine gute Aufmerksamkeit. Aber das große Ziel ist der Aufstieg in die Championship.

Wenn dieser am Ende der Saison gelingt, besitzt der AFC Sunderland eine Kaufoption für Sie. Können Sie sich aktuell vorstellen, nochmal zum FC Bayern zurückzukehren?

Ja, das kann ich. Der FC Bayern ist neben meinem Heimatverein Hansa Rostock mein Lieblingsverein und wird es immer bleiben. Letztlich ist die Perspektive entscheidend - für beide Seiten. Ich komme jetzt an einen Punkt in meiner Karriere, an dem es wichtig ist, Aussicht auf Spiele zu haben. Ich bin aber der Allerletzte, der Spiele beim FC Bayern einfordert. Das wäre an dem Punkt, an dem ich in meiner Karriere bin, total vermessen.

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