Fußball in England:Klopp rät Liverpool: "Bleibt cool"

Jürgen Klopp versucht, die Euphorie beim neuen englischen Tabellenführer zu bremsen. Keine leichte Aufgabe: In Liverpool läuft für ihn manches noch besser als in Dortmund.

Von Sven Haist, London

An diesem Wochenende hat die Premier League ein Meisterstück abgeliefert. Nach elf Spieltagen liegen die ersten vier Vereine an der Tabellenspitze lediglich zwei Punkte und drei Tore auseinander - einen solchen Stau hat der größte britische Unterhaltungszirkus seit der Gründung 1992 lediglich einmal fabriziert. Vor 20 Jahren trennten den FC Arsenal zwei Punkte und fünf Tore vom viertplatzierten FC Wimbledon. Meister wurde aber letztlich der Fünfte Manchester United.

In den vergangenen Spielzeiten hielt sich die Titelspannung in Grenzen. Stattdessen kreiste die Aufmerksamkeit zuletzt um den 5000:1-Außenseiter Leicester City, der sich gegen jede Prognose die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte sicherte. Viele Menschen auf der Insel halten das mittlerweile für eine Fata Morgana, weil Leicester nach der ersten Heimpleite (1:2 gegen West Brom) dort angelangt ist, wo die Mission der Foxes begonnen hat: in der Abstiegszone. Der Rückstand auf die Spitze beträgt 14 Punkte.

Vorne weg stürmt jetzt der FC Liverpool, gefolgt vom FC Chelsea, Manchester City, FC Arsenal und Tottenham Hotspur. Das 6:1 über den FC Watford ist der vorläufige Höhepunkt in der Ära von Jürgen Klopp. Die Reds sind nach 914 Tagen zurück auf Platz eins der Premier League. In den englischen Medien heißt es deshalb: Klopp is on top. "Bleibt cool", sagt der nur: "Wer denkt, einen Punkt Vorsprung zu haben nach elf Spielen, ist ein großes Zeichen, dem kann ich nicht helfen. Das einzige, was wir haben, ist eine ziemlich gute Fußballmannschaft."

Klopp geht schon als Einheimischer durch

In dem Gewusel um Titelhochrechnungen ging der Fakt verloren, dass Jürgen Klopp, 49, der erste Deutsche ist, der als Trainer mit einem englischen Verein an der Tabellenspitze steht. Vor ihm gelang es überhaupt bloß Felix Magath, einen Premier-League-Klub zu trainieren. Klopps Coup nahm auch deshalb keiner wahr, weil er längst als Einheimischer durchgeht. Sehnsüchtig haben die Liverpudlians auf jemanden gewartet, der sie im Herzen bewegt und deshalb, so scheint es, den Schwaben schnell für sich adoptiert.

In Tränen aufgelöst war ja der rote Teil Liverpools, als die Reds am 05. Mai 2014 in den Schlussminuten ein 3:0 gegen Crystal Palace verspielten und die Tabellenführung abgeben mussten. An die damalige Tristesse erinnerte am Sonntag nur noch Lucas Leiva. Der Defensivspezialist ist der einzige Spieler, der es aus dem damaligen Kader in die Gegenwart unter Klopp geschafft hat. So viel hat sich verändert in Anfield, seit der deutsche Heilsbringer vor 13 Monaten die Arbeit aufnahm.

Klopp hat seine Idee des Fußballs aus Dortmund mitgenommen. Sein Team jagt noch immer dem Ball nach, wie das sonst nur Hunde tun, wenn sie ein rohes Stück Fleisch entdecken. Was die Liverpooler Mannschaft jedoch vom BVB unterscheidet, ist die Tatsache, dass es Klopp gelang, ebenso eine Strategie in Ballbesitz zu entwerfen, mit der destruktiv verteidigende Gegner ausgehebelt werden können.

Klopp lobt die Gegner an der Tabellenspitze

Die Verpflichtung des Innenverteidigers Joel Matip im Sommer hat da keinen unwesentlichen Anteil. Die Vorzüge Matips machen sich besonders im Spielaufbau bemerkbar. Die Dynamik von Emre Can ergänzt sich im Mittelfeld mit den strategischen Fähigkeiten von Jordan Henderson. Die Weggänge der Angreifer Raheem Sterling und Luiz Suarez sind mittlerweile aufgefangen. Eine neue Jugendgruppe ist nämlich gerade dabei, auf sich aufmerksam zu machen.

Die Harmonie und Interaktion zwischen Sadio Mane, Coutinho und dem ehemaligen Hoffenheimer Firmino lassen die Reds dahin schmelzen. Vier von sechs Toren schossen die drei Angreifer am Sonntagnachmittag. Mit Antrittsschnelligkeit und technisch feinen Füßen ausgestattet kombinierten sie Löcher in Watfords Defensive und sprinteten dann dort selbst hinein. Nur José Mourinho, der Meister des antizyklischen Vorgehens, stoppte den besten Sturm der Liga beim 0:0 in Anfield.

"Wir haben überhaupt keinen Druck"

Der Elan und die Nachhaltigkeit, mit der Liverpool agiert, weckt die Sehnsucht, dass die Warterei auf eine Meisterschaft bald ein Ende nimmt. Seit dem Gewinn 1990 hechelt Liverpool der Ligatrophäe hinterher. "Wir haben überhaupt keinen Druck", findet Klopp: "Der FC Chelsea und Manchester City spielen sehr beeindruckend. Tottenham hat ein gutes Team und Manchester United darf man nie abschreiben."

Der englische Rekordmeister hat sich mit einem 3:1 von den jüngsten Querelen erholt, hat aber bereits acht Punkte Rückstand angesammelt. Immerhin verfügt die Mannschaft von ManUnited über reichlich Titelerfahrung. Die können in Liverpool nur Kapitän James Millner und eben Klopp aufweisen. Die Erfolge mit Borussia Dortmund sorgen bei den Fans für die Hoffnung, dass er auch ihren Klub oben halten kann. Die Rhetorik der Unterbewertung hat Klopp zumindest mitgenommen an die Mersey. "Als ich hier ankam, habe ich um Zeit und Geduld gebeten. Nach elf Spieltagen fragt ihr jetzt nach Garantien und die sind nicht da." Als garantiert gilt in der Premier League gerade nur, dass Leicester City nicht noch mal Meister wird.

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