Fußball in der Türkei:Die alten Reflexe

Dank eines hoch dotierten Fernsehvertrages investieren die türkischen Klubs große Summen in neue Spieler. Der Fußball am Bosporus steht vor einer richtungsweisenden Saison - erstmals seit 26 Jahren kommt der Titelverteidiger der SüperLig nicht aus Istanbul.

Tobias Schächter

Einen Pass aus dem Fußgelenk präzise in den Lauf des Mitspielers zu spielen als habe ein Mathematiker diesen vorher berechnet, das gehört zum Standardrepertoire von José Maria Gutiérrez, genannt Guti. Sein Fußballerleben lang zelebrierte der Spanier diese Kunst bei Real Madrid, bevor er im Sommer zu Besiktas Istanbul wechselte. Seine Zeit war abgelaufen in Madrid, bei Besiktas aber löste die Verpflichtung des 33-jährigen Guti eine selbst für türkische Verhältnisse überbordende Euphorie aus.

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Neu bei Besiktas Istanbul: Der Spanier Guti, der von Real Madrid kam.

(Foto: AFP)

Über 15.000 Fans kamen zu seiner Vorstellung ins Inönü Stadion und als er am Samstag bei der Ligapremiere im Atatürkstadion von Izmir ausgewechselt wurde, feierten ihn die Besiktas-Fans mit langgezogenen "Guti, Guti"-Rufen. Ein Pass Gutis und der anschließende Torschuss von Bobo hatten genügt, um Besiktas das 1:0 zum Saisonstart bei Aufsteiger Bucaspor zu sichern. Es war ein Arbeitssieg für Besiktas und seinen neuen Trainer Bernd Schuster.

Schmach Bursaspor

Der türkische Fußball steht in vielerlei Hinsicht vor einer richtungsweisenden Saison, erstmals seit 26 Jahren kommt der Titelverteidiger der SüperLig nicht aus Istanbul. Der Meisterschaftscoup von Bursaspor bedeutete für die Istanbuler Großklubs Fenerbahce, Galatasaray und Besiktas eine historische Schmach, empfinden sie doch die Klubs aus Anatolien nur als Staffage im Ringen um Titel, Ruhm und Ehre.

Doch die Voraussetzungen im türkischen Fußball haben sich geändert: In einem aberwitzigen Bieterverfahren trieben im Januar die konkurrierenden Fernsehsender den Preis für die TV-Rechte bis 2014 in nie für möglich gehaltene Höhen. Am Ende erhielt wieder Digiturk den Zuschlag und zahlt 321 Millionen Dollar - pro Jahr. Und das staatliche Sportwetten-Unternehmen Spor Toto sicherte sich für 125 Millionen Dollar die nächsten vier Jahre die Namensrechte an der SüperLig. Die höheren Ausschüttungen helfen auch den Klubs aus der Provinz.

Zeitwende angebrochen?

"Das spannendste Titelrennen seit Jahren" erwartet deshalb die Zeitung Hürriyet. Doch ob tatsächlich eine Zeitenwende anbricht im türkischen Fußball, stellen viele Beobachter in Frage. Statt Geld in die vielerorts noch brachliegende Jugendausbildung zu stecken, investieren es die Klubs in teure Profis. Wie lukrativ mittlerweile auch ein Engagement bei einem Klub außerhalb Istanbuls ist, zeigt das Beispiel des ehemaligen Nürnbergers Robert Vittek. Seit der WM ist er begehrt, er hatte Offerten aus anderen Ligen, aber er blieb bei Ankaragücü.

Bei den Istanbuler Klubs löste der Titelgewinn von Bursaspor nur die alten Reflexe aus. Fenerbahce zwang Trainer Christoph Daum nach einem unwürdigen Ringen zur Vertragsauflösung. Nur Frank Rijkaard durfte bei Galatasaray seinen Job behalten; am Samstag verlor der Niederländer aber gleich bei Sivasspor (1:2). Bernd Schuster gilt mit Besiktas als Titelfavorit, der ehemalige Trainer von Real Madrid konnte in Guti nicht nur einen alten Schützling aus Spaniens Hauptstadt begrüßen, in Ricardo Quaresma von Inter Mailand kam für 7,3 Millionen Euro Ablöse ein weiterer "Superstar" (Hürriyet). Der 26-jährige Portugiese, den sie wegen seiner Schnelligkeit "Mustang" nennen, soll nach Stationen in Barcelona, beim FC Chelsea und bei Inter Mailand am Bosporus wieder zur alten Klasse finden.

Bislang 280 Zugänge

Fenerbahce-Trainer Aykut Kocaman steht schon stark unter Druck, zumal er in der Champions-League-Qualifikation an Young Boys Bern scheiterte. Kein Istanbuler Klub wird in Europas Eliteklasse vertreten sein, nur Bursaspor ist als Meister qualifiziert. In dem Slowaken Miroslav Stoch schnappte Fenerbahce Galatasaray ein Offensivtalent vor der Nase weg, und verkündete zudem am Wochenende die Verpflichtung des Senegalesen Mamadou Niang von Olympique Marseille, der als Torschützenkönig der Ligue1 an den Bosporus kommt.

Noch ist das Transferfenster offen, dennoch haben die 18 Klubs bislang 280 Spieler gekauft und 225 verkauft. Liga-Neuling Bucaspor führt mit 23 Zugängen diese zweifelhafte Statistik an. Ob eine erneute Meisterschaft möglich ist, wurde Bursaspors Offensivkraft Volkan Sen gefragt. "Warum nicht", antwortet er selbstbewusst. Der Klub konnte alle Umworbenen halten und verpflichtete unter anderem den Argentinier Federico Insua, einst bei Mönchengladbach unter Vertrag. Bernd Schuster übrigens will noch einen Stürmer verpflichten. Im Gespräch ist der Bayern-Profi Roque Santa Cruz von Manchester City.

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