Süddeutsche Zeitung

Zuschauer-Frage:Notfalls vor Gericht

Fußball-, Handball-, Basketball- und Eishockeyligen haben eine Protestnote ans Kanzleramt und die Ministerpräsidenten geschickt: Sie wollen wieder vor mehr Zuschauern spielen. Und sie wollen Antworten.

Von Philipp Selldorf, Köln

Beim Saisonprolog des Kölner Eishockey Clubs Anfang September hatten einige der 2981 Zuschauer Tränen in den Augen. Nicht wegen des 4:1-Siegs im Test gegen den Krefelder EV, sondern weil sie das Wiedersehen mit anderen Haie-Fans so sehr berührte. Anderthalb Jahre hatten sich wegen der zugesperrten Hallen viele Eishockey-Freunde nicht mehr gesehen, die sonst jede Woche bei den Heimspielen zusammentreffen.

Seit jenem Sommertag gehen die Kölner Haie durch komplizierte Zeiten: sportlich - zuletzt acht Niederlagen hintereinander -, aber vor allem wirtschaftlich und organisatorisch. Das wechselhafte politische Management der Pandemie hat die Klub-Verwalter an den Rand ihrer Kräfte geführt - und an einen Punkt, an dem sie den Gehorsam verweigern möchten. Während anfangs 11 400 Zuschauer in die Arena durften, sind es nun die einheitlich in Nordrhein-Westfalen zugelassenen 750. "Wir hatten in dieser Saison acht verschiedene Verordnungen und Regelungen einzuhalten", sagt Geschäftsführer Philipp Walter und beklagt willkürliches Vorgehen: "Die politischen Entscheidungen haben sich an vielen Stellen von der Faktenlage abgekoppelt, und das wird einem - nicht offiziell, aber im direkten Gespräch - auch deutlich gesagt: Dass es nicht mehr um Logik, sondern um Politik und Symbolik geht, weil bei Sportveranstaltungen sogenannte Bilder entstehen. Das ist nicht zu akzeptieren."

Auch auf der anderen Rheinseite wird zur Gegenwehr aufgerufen. Alexander Wehrle, Geschäftsführer des 1. FC Köln, hält die aktuellen Restriktionen für "völlig unverhältnismäßig und rational nicht mehr nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass wir seit Monaten ein schlüssiges Hygienekonzept haben: mit 2G, der digitalen Verfolgbarkeit der Infektionskette, Abstand und Maske, Time-Slots beim Zutritt. Über Monate haben wir bewiesen, dass unsere Veranstaltungen keine Hotspots erzeugen. Dass man jetzt auf den Anfangsstand zurückkehrt, hat mit den realen Verhältnissen nichts zu tun. 750 Zuschauer bedeuten 1,5 Prozent Auslastung, das kommt einem Lockdown gleich. Das ist nicht mehr gerechtfertigt, und das muss man auch aussprechen."

Das vereinte Aufbegehren lässt erkennen, dass sich die Klubs nicht mehr zur Dankbarkeit verpflichtet fühlen

Fußball-, Handball-, Basketball- und Eishockeyligen haben eine entsprechende Protestnote bereits an das Kanzleramt und die Ministerpräsidenten gerichtet, pünktlich zur nächsten Gipfel-Konferenz am Montag. Das vereinte Aufbegehren lässt erkennen, dass sich die Klubs nicht mehr zu Dankbarkeit und Gefolgschaft verpflichtet fühlen, weil man sie den Spielbetrieb weiterführen lässt.

Inzwischen wollen sie klare Antworten und dafür notfalls vor Gericht gehen: "Ich glaube nicht, dass diese Ungleichbehandlung standhalten würde, wenn man klagen würde", meint Wehrle. KEC-Chef Walter zieht auch einen "psychologischen Effekt" heran: "Uns wird gesagt: Mach das, mach das, mach das, und du machst es - und zur Belohnung wird dein Laden abgeschlossen. Als ob die Fakten nicht mehr von Bedeutung wären." Bei den Haien wird am Spieltag 80 Prozent des gesamten Umsatzes gemacht. Schon in der vorigen Saison ging es nur deshalb weiter, weil Spieler auf bis zu 60 Prozent Lohn und die Dauerkarten-Inhaber auf einen Millionen-Betrag verzichteten.

Die steigenden Ansteckungszahlen sind den Kölner Sportmanagern bewusst, die rigide Publikumsbeschränkung halten sie trotzdem nicht für gerechtfertigt. "Man sieht an Ländern wie Dänemark, England oder Italien, dass die Zahlen exorbitant steigen, die Hospitalisierung aber nicht. So ist es auch in NRW: Seit zehn Wochen liegt der Wert bei 2,5 bis 3,5", sagt Wehrle. "Wir erwarten, dass es ab Montag wieder eine einheitliche Lösung für die Auslastung bei Veranstaltungen geben wird und nicht diese willkürliche Handhabung wie zurzeit. Die Zahlen für die Zuschauer-Zulassungen sehen ja aus, als ob da jemand sitzt und würfelt." Unterstützung kommt vom bayrischen Ministerpräsidenten. Markus Söder, der dem bayrischen Sport seit Dezember einen kompletten Geisterspiel-Betrieb verordnete, will sich am Montag für eine "substanzielle" Publikumsöffnung einsetzen.

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