HSV-Sieg im Nordderby gegen Bremen:In jeder Sekunde ist die Hitze des Nordens zu spüren

Werder Bremen - Hamburger SV

Tore gegen den Erzrivalen schmecken noch süßer: Die Hamburger David Kinsombi (Mitte) und Bakery Jatta (rechts) feiern mit Robert Glatzel die Führung.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Dieser Klassiker funktioniert auch in Liga zwei: Der Hamburger SV gewinnt in einem wilden Spiel 2:0 gegen den alten Rivalen Werder. Es ist ein Erfolg, der noch lange nachhallen wird.

Von Thomas Hürner, Bremen

Es lassen sich leicht Witze darüber reißen, dass sich die beiden einstigen Nordgiganten nun als Zweitligisten gegenüberstehen, zum ersten Mal in ihrer Geschichte. Und natürlich wurde das auch gemacht, so ticken die sozialen Netzwerke, so funktioniert aber auch der Schutzmechanismus verletzter Fanseelen.

Doch allen Sprücheklopfern und Freizeitsatirikern sei an dieser Stelle gesagt: Der Charakter eines jahrzehntelang gewachsenen Nordderbys zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV lässt sich nicht vertreiben, das war in jeder Sekunde zu spüren am Samstagabend. Es war hitzig, es ging richtig zur Sache in den Nahduellen und in der Luft, es wurde bisweilen unübersichtlich - und die Stimmung im Bremer Weserstadion kochte über. Es war also im Grunde: wie immer. Diesmal mit dem besseren Ende für den HSV, der auf dem Terrain des Erzrivalen einen 2:0-Sieg errang, der in der Hansestadt Hamburg noch länger nachhallen wird.

Den Bremer Attacken mangelt es an Koordination, die Struktur im Spiel geht allmählich verloren

Beide Klubs wollen der Realität in der zweiten Liga mit Offensivfußball begegnen, dafür steht Werder-Trainer Markus Anfang, in einer noch radikaleren Form steht dafür der HSV-Coach Tim Walter. Die Mannschaften sollen, so der Plan, ein Monopol auf den Ball erheben, ihn laufen lassen mit flotten Zirkulationen. So lassen sich die Fans mitnehmen auf den steinigen Weg zurück nach oben, und die mitgereisten Anhänger aus Hamburg waren bereits nach zwei Minuten in emotionaler Hochstimmung: Defensivallrounder Moritz Heyer flankte von der linken Seite auf den freistehenden Stürmer Robert Glatzel, der den Ball mit dem Kopf ins lange Eck hob - 1:0 für den HSV. Aber das war lediglich die Ouvertüre für die sich in der ersten Hälfte überschlagenen Ereignisse.

Die Bremer Anhänger, die bei jeder gelungene Aktion und jeder Grätsche vom Sitz aufschossen, ließen den Funken auf ihre Mannschaft überspringen. Die daraus resultierende Hitze unter den Spielern hatte jedoch auch seine Schattenseiten, den Attacken mangelte es an Koordination, die Struktur im Spiel ging allmählich verloren - und in der 31. Minute auch der Bremer Kapitän Christian Groß, der, obwohl bereits verwarnt, auf der Jagd nach dem Ball mit beiden Beinen in HSV-Torwart Daniel Heuer-Fernandes hineinsprang. Groß sah Gelb-Rot, eine klare Sache.

Dann folgten knifflige Szenen für Schiedsrichter Sascha Stegemann: Werder-Angreifer Marvin Ducksch kam im Laufduell mit HSV-Kapitän Sebastian Schonlau im Strafraum zu Fall, die Bremer Zuschauer forderten Elfmeter und Rot, doch Stegemann ließ die Szene weiterlaufen und auch Videoschiedsrichter Matthias Jöllenbeck beließ es bei der Entscheidung.

Weiser verhindert mit einem Aussetzer den Ausgleich seiner Mannschaft

Jetzt war von den Rängen einiges an Frust gegenüber den Unparteiischen zu vernehmen. Und aus Frust wurde in der 42. Minute schäumende Wut: Werder-Stürmer Marvin Ducksch hatte einen Freistoß ins Netz gezirkelt, das Weserstadion bebte. Allein: Der Treffer wurde aberkannt, weil sich Werder-Verteidiger Mitchell Weiser in die Mauer des HSV geschlichen hatte.

Eine richtige Entscheidung von Schiedsrichter Stegemann, so sind nun mal die Regeln seit inzwischen zwei Spielzeiten. Weiser hatte seinem Team durch dieses sinnfreie Vergehen einen Bärendienst erwiesen, denn der Freistoß war perfekt getreten und wäre auch so im Tor gelandet. "Ich kannte das einfach nicht. Es ist traurig. Es tut weh für die Mannschaft", sagte Weiser. Zu allem Überfluss kam kurz darauf eine zusätzliche Quittung: Heyer erzielte nach einer Flanke von Backery Jatta das 2:0 für den HSV.

Alles vorbei für Werder? Mitnichten. Mit Beginn der zweiten Halbzeit rannte die Anfang-Elf unermüdlich an. Und die Tür öffnete sich mehr als nur einen Spalt breit, als auch der Kapitän des HSV runter musste: Schonlau ließ den Bremer Angreifer Romano Schmid kurz vor dem Strafraum auflaufen, ein taktisches Foul, auch er sah Gelb-Rot. Es ging also weiter mit Zehn gegen Zehn, weshalb die Hamburger gut beraten waren, sich erst einmal auf die Neuorganisation der bis dahin soliden Defensive zu besinnen.

18.09.2021, Fussball 2. Bundesliga 2021/2022, 7. Spieltag, SV Werder Bremen - Hamburger SV, im Weserstadion Bremen. das

Unerlaubterweise in der gegnerischen Mauer: Mitchell Weiser (zweiter von rechts) sorgt dafür, dass ein Bremer Tor aberkannt wird.

(Foto: MIS/imago)

HSV-Coach Walter nahm Stürmer Glatzel vom Platz und brachte in Ludovit Reis einen ballfertigen Mittelfeldmann, wodurch die Gäste die ersten Druckwellen der Bremer überstehen konnten - und selbst mit überfallartigen Konter gefährlich blieben. Die beste Chance vergab der pfeilschnelle, aber nicht immer abschlusssichere Jatta, als er nach einem Steilpass allein vor dem Werder-Tor aufgetaucht war. Doch die Bremen ließen sich nicht hängen, angetrieben von den unermüdlichen Fans erarbeiteten sie sich ein Dauermomentum in der Schlussviertelstunde.

Der HSV wurde in die eigene Hälfte eingeschnürt, es gab kaum Entlastung mehr für die Auswärtself, wohingegen die Bremer ihre Chancen zum Anschlusstreffer ungenutzt ließen. Die besten Gelegenheiten vergab der eingewechselte Niclas Füllkrug: Einmal zögerte er zu lange und verpasste so den Querpass zu seinem freistehenden Stürmerkollegen Ducksch, später parierte der herausragende HSV-Torwart Heuer-Fernandes per Fußabwehr. Die eigentlich offensivgewaltige Walter-Elf verordnete sich einen hanseatischen Catenaccio, sie warf sich in jeden Zweikampf, sie hielt auch dem Feuer von den Rängen stand.

Und so waren es die HSV-Fans, die am Ende ihre "Derbysieger, Derbysieger"-Sprechchöre skandieren durften - zum ersten Mal in der zweiten Liga.

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