Mütter bei der Fußball-EM:"Ich liebe es. Es ist das tollste Gefühl der Welt"

Mütter bei der Fußball-EM: Mit Sohnemann bei der EM: die Isländerin Sara Björk Gunnarsdottir.

Mit Sohnemann bei der EM: die Isländerin Sara Björk Gunnarsdottir.

(Foto: Harriet Lander/Getty Images)

Mutter sein und Profifußball - das war und ist kein einfaches Thema. Doch viele Beispiele bei der EM zeigen, dass die Doppelrolle inzwischen besser funktioniert. Auch im deutschen Team gibt es Vorbilder.

Von Anna Dreher, London

Martina Voss-Tecklenburg zählte gerade zu den besten Fußballerinnen der Welt, als sie eine Pause einlegte. Dreimal in Serie hatte sie mit dem TSV Siegen die Meisterschaft gewonnen und 1991 mit Deutschland die EM. Aber jetzt war sie erstmal raus, denn 1993 wurde die heute 54 Jahre alte Bundestrainerin Mutter einer Tochter. Viel Zeit jedoch verging nicht, bis sie wieder zurückkehrte, auch ins Nationalteam. 1994 gewann sie mit Siegen erneut die Liga, 1995 wurde sie wieder Europameisterin. Und sie wusste: Sie hat es geschafft, mit 25, als nebenher arbeitende Bürokauffrau - und alleinerziehende Mama. "Das war wirklich schwierig", sagte Voss-Tecklenburg im SZ-Interview. Sie war damals eine der wenigen im Frauenfußball mit dieser Art von Doppelleben: "Mir haben viele Menschen ein schlechtes Gewissen einreden wollen: Du bist eine schlechte Mama, du bist ja nie zu Hause."

27 Jahre später gehört bei der EM in England mit Almuth Schult wieder eine Mutter zum deutschen Kader. Die Torhüterin brachte im April 2020 Zwillinge auf die Welt. Und nachdem von den DFB-Nationalspielerinnen zuvor beispielsweise Fatmire Alushi und Celia Sasic ihre Karrieren beendeten, um sich der Familienplanung zu widmen, wollte Schult ihre Karriere unbedingt fortsetzen - wie einige andere Spielerinnen, die an diesem Turnier gerade teilnehmen.

Die Belgierin Lenie Onzia, die Niederländerinnen Sherida Spitse und Stefanie van der Gragt, die Engländerin Demi Stokes, die Schwedinnen Lina Hurtig, Hedvig Lindahl, Elin Rubensson, die Nordirinnen Marissa Callaghan und Sarah McFadden sowie Schult: Bei dieser EM gibt es quer durch die Teams verteilt Spielerinnen, die selbst Kinder auf die Welt gebracht haben oder gemeinsam mit ihren Partnerinnen in den vergangenen Jahren Mütter geworden sind. Die meisten Mamas, fünf, gibt es im Kader von Island: Sara Björk Gunnarsdóttir, Dagný Brynjarsdóttir, Sif Atladóttir, Elísa Vidarsdóttir und Torhüterin Sandra Sigurdardóttir.

Die Zwillinge von Almuth Schult sind im Mannschaftshotel des DFB-Teams untergebracht.

Gunnarsdottir, früher Schults Mitspielerin beim VfL Wolfsburg, brachte im November einen Sohn zur Welt. Sie spricht offen über ihr Leben als Profifußballerin und Mutter und sie hat auch eine Dokumentation gedreht, in der sie Einblicke in ihren Alltag gibt: "Ich wollte öffentlich zeigen, dass es möglich ist, nach einer Schwangerschaft in den Leistungssport zurückzukehren", sagte die 31-Jährige. Vier Monate nach der Geburt spielte sie wieder für Olympique Lyon und gewann im Mai die Champions League, wenn auch auf der Bank. "Es ist schwierig - das Schwierigste, was ich je gemacht habe", sagte Gunnarsdottir, deren Lebensgefährte Arni Vilhjalmsson ebenfalls Fußballprofi ist, über die Doppelbelastung der BBC: "Gleichzeitig liebe ich es. Es ist das tollste Gefühl der Welt."

Mütter bei der Fußball-EM: Mutter von Zwillingen: die deutsche Torhüterin Almuth Schult.

Mutter von Zwillingen: die deutsche Torhüterin Almuth Schult.

(Foto: Memmler/Eibner/Imago)

Bei der EM gehen die Verbände unterschiedlich mit Müttern im Kader um. Bisweilen dürfen Kinder mit ins Teamhotel, Schults Zwillinge sind zum Beispiel in derselben Unterkunft wie die DFB-Auswahl untergebracht. Zur Unterstützung kommt erst Schults Schwester und später wohl ihr Mann hinzu. Der Deutsche Fußball-Bund übernimmt die Kosten für An- und Abreise, Unterkunft mit Vollpension und Transfers für eine Begleitperson und die Kinder. Auch Gunnarsdottir kann ihren Sohn laut Verbandsregel bei sich im Hotel haben, weil er noch kein Jahr alt ist, und erhält Geld für eine Begleitperson.

Im Fall von älteren Kindern ist zumeist die Zeit an freien Tagen vorgesehen, an denen sie auch andere Familienmitglieder und Freunde treffen können. "Um ehrlich zu sein, bin ich etwas gestresst wegen der EM, weil wir eine Weile weg sein werden", sagte vor dem Turnier Brynjarsdottir, die 2018 einen Sohn zur Welt brachte: "Ich habe das Gefühl, dass wir beide noch sehr aneinander hängen. Zu wissen, dass mein Sohn bei mir sein will und nicht kann, ist schwierig für mich."

Regeln der Fifa garantieren 14 Wochen Mutterschaftsurlaub mit Lohnfortzahlung.

Nach einer Geburt in den Hochleistungssport zurückzukehren, ist immer noch eine enorme Herausforderung. Aber im Gegensatz zu früher erhalten die Spielerinnen heute mehr Hilfe. Der Weltverband Fifa hat Bestimmungen zum Mutterschutz in sein Regelwerk aufgenommen, seit Januar 2021 gelten diese Mindeststandards: 14 Wochen lang wird Spielerinnen ein Mutterschaftsurlaub garantiert, während dem sie zwei Drittel ihres Gehalts bezahlt bekommen müssen.

Die Klubs werden zudem verpflichtet, sie nach ihrer Rückkehr wieder einzugliedern und für eine "angemessene medizinische und physische Betreuung zu sorgen". All das soll zu einem besseren Arbeitsschutz beitragen und werdende Mütter vor einer Vertragsauflösung schützen. Die Europäische Fußball-Union Uefa hat ihren Klubs seit der Saison 2021/22 die Flexibilität zugesichert, ihre Kader während der Saison anzupassen. So soll auf schwangere, in den Mutterschutz gehende oder zurückkehrende Fußballerinnen reagiert werden können. 2017 hatte die Spielervertretung Fifpro veröffentlicht, dass fast die Hälfte ihre Karriere für einen Kinderwunsch beendet. Nur etwa zwei Prozent der Spielerinnen seien Mütter.

"Wenn man Vorbilder hat, die auf einem guten Niveau spielen, ein Kind bekommen und zurückkommen, obwohl sie noch im Nationalteam sind, hat das viel für mich bewirkt", sagte Gunnarsdottir. Beim DFB kommt bald ein weiteres Vorbild hinzu: Melanie Leupolz ist in England nur deshalb nicht dabei, weil sie schwanger ist. Die Frage, ob sie nach der Geburt in den Profifußball zurückkehrt, stellte sich für sie gar nicht. Die 28-Jährige musste zwar erst suchen, welche Rechte sie als Leistungssportlerin nun hat - und fand fast nichts. Aber mangelnde Unterstützung musste sie nicht fürchten. Dies, sagte ihr die Bundestrainerin, sei doch der beste Grund, um für ein Turnier abzusagen.

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