Deutschland bei der EM"Wooop! Wooop! Wooop!"

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Eine Runde weiter: Die deutschen Nationalspielerinnen Jule Brand, Tabea Wassmuth, Klara Bühl, Laura Freigang und Sydney Lohmann (v. l. n. r.)
Eine Runde weiter: Die deutschen Nationalspielerinnen Jule Brand, Tabea Wassmuth, Klara Bühl, Laura Freigang und Sydney Lohmann (v. l. n. r.) (Foto: Alex Pantling/Getty Images)

Das Ende der Wir-verabschieden-uns-im-Viertelfinale-Horror-Serie: Gegen sehr widerstandsfähige Österreicherinnen zeigt das deutsche Nationalteam wieder ein überzeugendes Spiel, zieht ins Halbfinale ein - und ist immer noch ohne Gegentor.

Von Anna Dreher, London

Der Abend war so gut gelaufen. Und dann verpasste ausgerechnet in diesem Moment der DJ seinen Einsatz. Die Spielerinnen des deutschen Fußball-Nationalteams hatten sich auf dem Rasen des Brentford Community Stadiums versammelt, einige hatten schon ihre mintgrünen Trainingsjacken über die weißen Trikots gezogen. Giulia Gwinn, Sara Däbritz, Merle Frohms und die anderen hüpften auf der Stelle hin und her und ließen dabei Handtücher oder Pullover über ihren Köpfen kreisen. Was fehlte, war die Musik. Also improvisierten sie mit ihren Stimmen: "Wooop! Wooop! Wooop!" Als der Stadion-DJ endlich die richtige Taste drückte und "Cotton Eye Joe" der Country-Dance-Band Rednex durch die Boxen schallte, war die Choreografie schon wieder vorbei.

Schon nach dem letzten Gruppenspiel dieser Fußball-Europameisterschaft hatten die Deutschen eine Mischung aus Line Dance und Schuhplattler getanzt. Fuß vor, zur Seite, zurück, die Sohle zur Hand, nach links, nach rechts. Zwischendurch Freestyle quer über die improvisierte Tanzfläche. Dieser erste Auftritt fand fern der Öffentlichkeit in der Kabine statt, aber es gibt ein Internet-Video davon. Dass die Darbietung am Donnerstagabend nun etwas simpler gehalten war, musste man verstehen: Das 2:0 (1:0) im Viertelfinale gegen Österreich war richtig harte Arbeit gewesen und die Beine danach müde. Da bot sich Auf-der-Stelle-Hüpfen mehr an als eine komplizierte Schrittfolge. Später, in der Kabine, wurde dann noch einmal getanzt, diesmal mit der gewünschten Musik.

Wobei sich die deutschen Spielerinnen bis zum Schluss gar nicht hatten sicher sein können, dass der Abend mit einem Freudentanz enden würde.

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"Das erwartet intensive Spiel" gegen "einen sehr hartnäckigen Gegner, der uns auch wehgetan hat" - so fasste Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg die Partie hinterher auf der Pressekonferenz zusammen. Die Österreicherinnen hätten "genau das reingeworfen, was wir erwartet hatten. Nicht nur mental, sondern auch, indem sie guten Fußball gespielt haben und einen klaren Plan hatten". Kurz vorher, nach dem Schlusspfiff, hatte die Bundestrainerin zunächst einfach nur dagestanden und versonnen in die Ferne geschaut, offenkundig ergriffen vom Halbfinaleinzug, während ihre Spielerinnen jubelnd auf den Platz gestürmt waren und sich im Überschwang teilweise umrannten.

Deutschland bleibt ohne Gegentor - aber auch dank Latte und Pfosten

Seit ihrem Olympiasieg 2016 in Rio hatten es die DFB-Frauen bei keinem großen Turnier mehr unter den besten Vier geschafft. Bei der EM 2017 und der WM 2019 war jeweils im Viertelfinale Schluss, Olympia 2021 wurde verpasst. Das war natürlich viel zu wenig Ausbeute für einen achtmaligen Europa- und zweimaligen Weltmeister, und auf gar keinen Fall durfte daraus eine dreiteilige Wir-verabschieden-uns-immer-im-Viertelfinale-Horrorserie werden.

Nun stehen die Deutschen im Halbfinale, der größte Druck ist weg, die Vorgabe von DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff - Deutschland solle bei großen Turnieren stets unter die besten Vier kommen - ist erfüllt. Und bei der EM 2022 findet langsam ein Rollenwechsel statt: So richtig wusste vorher ja niemand, wie dieses DFB-Team einzuordnen sein würde, wenn es sich nach der unfreiwillig langen Pause wieder auf der großen Bühne zeigt. Vier Spiele und vier Siege später gilt es als ernstzunehmender Titelanwärter und hat als einziger Teilnehmer noch kein Gegentor kassiert.

Österreichs Trainerin Irene Fuhrmann (links) und die deutsche Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg.
Österreichs Trainerin Irene Fuhrmann (links) und die deutsche Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Dass das nach dem Viertelfinale noch so ist, hatte auch mit Glück zu tun. Ein Kopfball von Marina Georgieva knallte an den Pfosten, ebenso wie ein Schuss von Sarah Puntigam. Und Barbara Dunst schoss aus mehr als 20 Metern an die Latte. Wobei Merle Frohms, die deutsche Torhüterin, sich da nicht so große Sorgen zu machen schien: "Ich habe schon im Ansatz gesehen, dass das ein typischer Dunsti werden könnte", sagte sie über die Szene, "da habe ich gemerkt, wenn ich das richtige Stellungsspiel habe und maximalen Abdruck, müsste der übers Tor gehen." Ging er dann ja auch fast.

In Sachen "Dunsti" wusste Merle Frohms so gut Bescheid, weil sie Barbara Dunst aus ihrer gemeinsamen Zeit bei Eintracht Frankfurt kennt - wie sich überhaupt quasi alle kannten: Die österreichische Start-Elf bestand am Donnerstag ausschließlich aus aktuellen oder ehemaligen Bundesliga-Spielerinnen, auch das machte dieses Viertelfinale zu einem besonderen. Am Ende standen Österreicherinnen wie Deutsche in kleineren, gemischten Gruppen zusammen, unterhielten, umarmten, trösteten oder beglückwünschten sich.

Popp erzielt ihr viertes Tor in ihrem vierten EM-Spiel

So klar, wie das Ergebnis es erscheinen lässt, war das Spiel allerdings nicht. Die Deutschen wirkten nervös und fast schon überrumpelt vom aggressiven Pressing - und gingen doch wieder mal früh in Führung: Klara Bühl setzte sich im Zweikampf gegen Carina Wenninger durch und leitete den Ball auf Lina Magull weiter, 1:0, 25. Minute. Ruhe in den Spielaufbau brachte dieser Treffer jedoch nicht. "Wir sind in der Spieleröffnung in der ersten Halbzeit nicht in die Räume gegangen, die wir eigentlich taktisch vorgegeben hatten, weil der Mut nicht da war", analysierte Voss-Tecklenburg. "Wir haben uns nicht so getraut. Aber dazu kann ich die Spielerinnen nicht zwingen."

Deutschlands Svenja Huth (links) und Lina Magull jubeln nach Magulls 1:0.
Deutschlands Svenja Huth (links) und Lina Magull jubeln nach Magulls 1:0. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Österreichs Auswahl ließ auch nach der Pause kein bisschen nach, aber nach der Einwechslung der beiden Achter Lena Lattwein und Linda Dallmann agierten die Deutschen souveräner - und nutzten im entscheidenden Moment einen Fehler aus. Als die Partie fast vorbei war, rauschte Alexandra Popp in einen Schuss der Torhüterin Manuela Zinsberger und lenkte den Ball über die Linie (2:0, 90.). Für die 31 Jahre alte Kapitänin war es das vierte Tor in ihrem erst vierten EM-Spiel. "Wir sind hier ins Turnier gestartet, wo jeder gedacht hat, dass wir nichts reißen", sagte Popp. "Jetzt stehen wir im Halbfinale, und das hat sich die Mannschaft unglaublich verdient."

Die Nachricht vom Tod Uwe Seelers schockiert das Team vor dem Spiel

Voss-Tecklenburg erzählte spät am Abend auch, wie schwierig der Tag für ihr Team durch die Nachricht von Uwe Seelers Tod gewesen sei. Sie habe das Glück gehabt, den Ehrenspielführer - mit einer Schweigeminute wurde seiner gedacht - und seine Familie mehrmals zu treffen. Physiotherapeut Kristof Meyer habe sehr eng mit Seeler in Hamburg zusammengearbeitet. "Wir haben viel über Uwe gesprochen, weil er immer geschrieben hat und wir wussten, dass er die Spiele schauen möchte, es gesundheitlich aber schwierig ist", sagte die Bundestrainerin. "Das hat uns heute emotional bewegt. Es war nicht so einfach, den Fokus aufs Spiel zurückzugewinnen." Aber es gelang.

Nun also das Halbfinale. Am kommenden Mittwoch geht es in Milton Keynes entweder gegen die starken Französinnen oder gegen Titelverteidiger Niederlande. Kommt dann der Mut zurück, den Voss-Tecklenburg diesmal phasenweise vermisst hat? "Wir haben gerade ein Weltklasseteam", findet jedenfalls Merle Frohms, die Nummer Eins: "Wir konzentrieren uns weiter nur auf uns." Im Idealfall ist es ja so: Wie bei einem Akku hat jede der bisher vier EM-Partien das deutsche Team mit ein bisschen mehr Energie und ein bisschen mehr Überzeugung aufgeladen. Und gegen Dänemark (4:0), Spanien (2:0), Finnland (3:0) und Österreich (2:0) haben die Spielerinnen eines definitiv gezeigt: dass sie gegen unterschiedliche Gegner mit unterschiedlichen Spielweisen jeweils die richtige Antwort finden. Auch, wenn das Team bisweilen etwas wackelt.

Martina Voss-Tecklenburg geht es bei all dem ja auch um eine langfristige Entwicklung. Aber erst mal, klar, geht es um das Finale am 31. Juli in Wembley. "Es wird immer größere Herausforderungen geben, je näher wir dem Ziel kommen", sagte die Bundestrainerin. Und bei einem ähnlichen Verlauf wie bisher "haben wir große Chancen, weiter von dem zu träumen, wovon wir vor der EM schon geträumt haben". Das Repertoire an Siegestänzen der deutschen Fußballerinnen ist inzwischen ja gewachsen.

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