Am Sonntag kommt also auch der Kanzler. "Das war eine großartige Leistung", schrieb Olaf Scholz auf Twitter, nachdem die Fußballerinnen das EM-Finale erreicht hatten. Er freue sich, nach London zu fahren und das deutsche Team im Wembley-Stadion zu unterstützen. Scholz war einer von mehr als zwölf Millionen Menschen, die sich den 2:1-Sieg gegen Frankreich vor dem Bildschirm angeschaut haben und Spielerinnen sahen, die mit ihrem Fußball und ihrer nahbaren, bodenständigen Art begeistern.
Das freut natürlich auch den Deutschen Fußball-Bund. Präsident Bernd Neuendorf befand: "Das sind Spielerinnen, die einer größeren Öffentlichkeit wahrscheinlich vor wenigen Wochen noch gar nicht so bekannt waren und die auf einmal in aller Munde sind. Das sind Botschafterinnen." Diese seien als prominente Vorbilder wie bei den männlichen Fußballern nötig, um mehr Kinder in die Vereine zu führen. Während der Verband seine Männer PR-tauglich jahrelang bis zu diesem Donnerstag "Die Mannschaft" nannte, füllen die Frauen dieses Bild ohne Spitznamen auf bestmögliche Weise aus. Was zuvorderst ihr Verdienst ist. Aber vor allem für eine Entscheidung kann auch der DFB gelobt werden.
Nach außergewöhnlich erfolgsverwöhnten Jahren mit zwei WM- und acht EM-Titeln sowie Olympia-Gold 2016 endeten die Turniere 2017 und 2019 schon im Viertelfinale, Tokio 2021 wurde verpasst. Die Entwicklung im Frauenfußball war vorangeschritten - und der DFB nicht gut genug darauf vorbereitet. Das erste Mal passte die Trainerin (Steffi Jones) nicht, das nächste Mal hatte die passende Trainerin (Martina Voss-Tecklenburg) nicht genug Zeit. Dass es in dieser Phase richtig und wichtig war, der erfahrenen und führungsstarken Voss-Tecklenburg langfristiges Vertrauen entgegen zu bringen, zeigt sich jetzt.
Während der dreijährigen EM-Vorbereitung lief nicht alles wunderbar. Aber auf einen Impuls von den Spielerinnen reagierte die Bundestrainerin nicht mit Angst vor Autoritätsverlust, sondern begriff die Rückmeldung für eine veränderte Herangehensweise als Chance. Auch das Trainerteam ging in Klausur. Voss-Tecklenburg, ihre Assistenten, Kapitänin Alexandra Popp&Co, sie alle haben sich intensiv miteinander auseinandergesetzt und klare Rollen festgelegt. Zeit allein reicht ja nicht, es braucht einen guten, klaren Plan und ein ernsthaftes Interesse füreinander.
Ohne diese Schritte und eine damit verbundene fußballerische wie mentale Entwicklung wäre Wembley 2022 nicht möglich gewesen. Taktische und personelle Entscheidungen gingen auf, mit jedem Sieg wuchs dieses Team weiter zusammen. Martina Voss-Tecklenburg hat schon erzählt, dass sie "eine Vision Richtung 2027" hat, wenn Deutschland mit den Niederlanden und Belgien die WM ausrichten möchte. Ihr aktueller Kontrakt endet nach der WM 2023, die Qualifikation hierfür ist reine Formsache - eine langfristige Vertragsverlängerung sollte es auch sein.