In der 76. Minute war es soweit. Da durfte endlich auch Laura Freigang den Platz im Trikot betreten. Die 24-Jährige war bis dahin die einzige deutsche Feldspielerin gewesen, die sich bei dieser Europameisterschaft noch nicht hatte zeigen können. Nun klatschte sie mit Linda Dallmann ab, rannte los und hätte neun Minuten später beinahe noch getroffen. So blieb es im dritten Gruppenspiel gegen Finnland vor 20 721 Zuschauer in Milton Keynes zwar beim 3:0 (1:0), das Selbstvertrauen des Nationalteams aber ist auch ohne vierten Treffer stark genug - die Bilanz sowieso. Als Gruppensieger mit neun Punkten und neun zu null Toren hat die DFB-Auswahl souverän das Viertelfinale erreicht.
"Wenn uns jemand vor dem Turnier gesagt hätte, dass wir zwei Siege nach zwei Spielen ohne Gegentor haben, hätten wir uns alle gekniffen", sagte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg vor der Partie. "Wir waren brillant und haben es uns verdient." Nach dem 4:0 gegen Dänemark und dem 2:0 gegen Spanien ging es gegen Finnland darum, im Rhythmus zu bleiben. Dass es dabei auf andere Spielerinnen ankommen würde, stand früh fest: Lena Oberdorf und Felicitas Rauch fehlten gegen Finnland gelbgesperrt. Zudem klagte Mittelfeldspielerin Lina Magull über Oberschenkelprobleme. Und so bekamen andere eine Chance, sich zu empfehlen: Für Rauch startete Sophia Kleinherne, statt Innenverteidigerin Kathrin Hendrich kam Sara Doorsoun. Oberdorf und Magull wurden ersetzt durch Lena Lattwein und Linda Dallmann - nur die Besetzung der Offensive blieb mit Klara Bühl, Alexandra Popp und Svenja Huth unverändert. Das Tor mit Merle Frohms sowieso.
In der ersten Halbzeit aber wollte und wollte der Ball zunächst nicht über die Linie, so hartnäckig es die Deutschen auch versuchten. Es dauerte keine 30 Sekunden, bis sie im gegnerischen Strafraum auftauchten. Kapitänin Popp versuchte es per Kopfball aus aussichtsreicher Position, zielte aber deutlich drüber. In der sechsten Minute zog Sara Däbritz von der Strafraumgrenze ab, auch das hätte gut gehen können, wieder schoss der Ball übers Ziel hinaus. Nach einer Viertelstunde waren so viele Versuche zusammengekommen, dass Voss-Tecklenburg zwar applaudierte, aber die Backen aufblies, als sie sich Richtung Bank umdrehte.
In der ersten halben Stunde hatten die Deutschen 35 Ballaktionen im gegnerischen Strafraum - Bestwert
Die Finninnen, denen neben Kapitänin und Torhüterin Tinja-Riikka Korpela diverse Spielerinnen krank oder verletzt fehlten, machten hinten dicht so gut sie konnten. "Wir hatten uns das Ziel gesetzt, ins Viertelfinale zu kommen, und es ist enttäuschend, dass wir keine Chance haben, dafür zu spielen", hatte Nationaltrainerin Anna Signeul gesagt. "Wir wollen hier mit etwas Großartigem abschließen." In der 25. Minute sah sie etwas, das ihr ein wenig Hoffnung auf ein Erfolgserlebnis gemacht haben dürfte: Emma Koivisto rannte auf das Tor zu, Doorsoun war die einzige, die neben ihr sprintete - und schließlich den Schuss von Koivisto abblockte.

Auf der anderen Seite ging die DFB-Torversuchsreihe munter weiter. In der ersten halben Stunde hatten die Deutschen 35 Ballaktionen im gegnerischen Strafraum, so viele, wie bei diesem Turnier noch kein anderer Teilnehmer. Popp hatte noch zwei gute Chancen - bis es in der 40. Minute klappte mit dem ersten Treffer: Giulia Gwinn spielte von rechts eine präzise Flanke in den Strafraum, wo am hinteren Pfosten Lattwein und Kleinherne lauerten. Lattwein sprang, aber Kleinherne sprang höher, ohne Bedrängnis und erwischte den Ball genau richtig für ihr erstes Länderspieltor ins linke Eck. Voss-Tecklenburg riss die Arme nach oben, endlich war es da, das 1:0.
Die Finninnen geben nicht auf, aber ausgerechnet mit ihrer Hilfe gelingt der nächste Treffer
Die zweite Halbzeit beobachteten Abwehrchefin Marina Hegering, einmal gelbverwarnt, und Giulia Gwinn von der Bank aus. Für sie kamen Nicole Anyomi und Innenverteidigerin Kathrin Hendrich. Und wie schon in den vorherigen Partien zeigte sich die große Qualität im deutschen Kader. Anyomi spielte den entscheidenden Pass auf Hendrich, die wiederum ideal in den Strafraum flankte, wo Popp ihr Markenzeichen zeigte: Kopfball, Tor, 2:0. Im erst dritten EM-Spiel der 31-Jährigen war es ihr drittes EM-Tor, zum dritten Mal per Kopf. Damit hat die Stürmerin vom VfL Wolfsburg als erste deutsche Fußballerin in allen drei EM-Gruppenspielen einer Endrunde getroffen.

Die Finninnen gaben nicht auf, aber ausgerechnet mit ihrer Hilfe gelang der nächste Treffer, bei dem Anyomi erneut ihre Qualität zeigte. Als rechte Außenverteidigerin eingewechselt hielt sie den Druck aufrecht, als Torhüterin Katriina Talaslahti den Ball nach vorne spielte und Kapitänin Emmi Alanen letztlich im Strafraum eine Vorlage für Anyomi gab. Die 22-Jährige von Eintracht Frankfurt zog flach diagonal zum 3:0 ab (63. Minute). Mit Blick auf die nächste Aufgabe wechselte Voss-Tecklenburg noch einmal durch: Svenja Huth und Klara Bühl verließen den Platz, Tabea Waßmuth und Jule Brand kamen rein, wenige Minuten später Freigang.
In der ersten K.o.-Runde bekommt es Deutschland nun mit einem Team zu tun, in dem die wohl beste Stimmung herrscht und das für sich schon jetzt Besonderes geleistet hat. Zum zweiten Mal hintereinander hat Österreich ein EM-Viertelfinale erreicht. Das entscheidende 1:0 gegen Norwegen feierten die Spielerinnen so ausgelassen, als gebe es schon dafür eine Trophäe - mit Polonaise durchs Stadion sowie Tanz- und Gesangseinlage auf der Pressekonferenz. Fußballerisch sind die Deutschen ihren Nachbarinnen überlegen, unterschätzen sollten sie diese dennoch nicht. In ihren vergangenen acht EM-Partien haben die Österreicherinnen nur zwei Gegentore kassiert. Defensiv sind sie bestens organisiert. Deutschlands Offensive aber hat sich längst warmgeschossen.